Das transnationale Unternehmen „Serco“ übernimmt die „European Homecare GmbH“ (EHC), die bundesweit rund 120 Unterkünfte für Geflüchtete betreibt. Der Sächsische Flüchtlingsrat (SFR) übt heftige Kritik an dem Vorgehen. Dem weltweit agierenden Konzern werden unter anderem menschenunwürdige Zustände und Missbrauch in seinen Lagern und Abschiebegefängnissen vorgeworfen. Außerdem mache der Konzern Profite mit Militär und Rüstung: In einer Liste der 100 größten Rüstungskonzerne rangiert das Unternehmen auf Platz 62.

Zuletzt kam es in einem Lager in Kusel bei Kaiserslautern zum Tod des 25-jährigen kurdischen Geflüchteten Hogir A. aus der Türkei. Das Lager wurde laut SFR von Serco betrieben. In Medienberichten werden den Lagermitarbeiter*innen massive Versäumnisse vorgeworfen.

Flüchtlingsrat prangert Zustände an

„Das alles klingt nach einem florierenden Geschäft“, so Osman Oğuz vom SFR. „Zuerst arbeiten sie an der Schaffung von Fluchtursachen durch Kriege, dann beteiligen sie sich am Einfangen und Abschieben von Geflüchteten an den Grenzen und schließlich betreiben sie die Unterkünfte für Geflüchtete – in jedem Schritt im staatlichen Auftrag. Dabei machen sie einen Jahresumsatz von 4,5 Milliarden Dollar.

Doch in ihren Lagern herrschen meist elende Zustände. Das Prinzip heißt Profitmaximierung, also je weniger für die Menschen, desto mehr Profit für das Unternehmen. Was sie den ‚Markt der Migrationssicherheit‘ nennen, ist eines der dreckigsten Geschäfte unserer Zeit.“

In Leipzig sind neun größere und kleinere Gemeinschaftsunterkünfte von EHC betroffen. Die zuständigen Stellen wollen die heftige Kritik so nicht gelten lassen: Laut der Stadt ändere sich an den Betreiberverträgen nichts durch die Übernahme von Serco. Auch die Landesdirektion Sachsen (LDS), die für die lagerähnlichen Erstaufnahmeeinrichtungen (EAEs) zuständig ist, teilt mit, dass in Leipzig die EAE in Rötha betroffen sei.

Auch hier würden die Betreiberverträge bestehen bleiben, man rechne auch von einer Verlängerung bis zu sechs Jahre. In den Verträgen seien auch die (gesetzlichen) Standards für die Unterbringung festgelegt, für deren Einhaltung man schließlich zahle, so eine Sprecherin der LDS. Diese Standards illustriert der SFR mit einem Bild des „vertraglich festgelegten“ Kinderspielplatzes in einer EAE in Dresden.

Dieses Foto des SFR soll einen Kinderspielplatz einer Erstaufnahmeeinrichtung zeigen. Quelle: Sächsischer Flüchtlingsrat
Das Foto des SFR soll einen Kinderspielplatz einer Erstaufnahmeeinrichtung zeigen. Quelle: Sächsischer Flüchtlingsrat

SFR befürchtet Verschlechterung der Unterbringungszustände

Ohnehin gebe es laut SFR bereits zahlreiche Berichte über Missstände in den Einrichtungen der EHC. In einem der Lager des Unternehmens in der Bremer Straße in Dresden, das nun ebenfalls von Serco übernommen wird, herrschten wohl seit Jahren menschenunwürdige Zustände: Bewohner*innen berichteten von restriktivem Verhalten des Sicherheits- und Betreuungspersonals, schlechter Qualität aller Lebensmaterialien, räumlicher Enge und mangelnder Privatsphäre und Hygiene.

Inzwischen sei eine Verschlechterung der Zustände in den jetzt übernommenen Unterkünften zu befürchten. Die Entwicklung des „Marktes“ der Geflüchtetenunterbringung seit Beginn der 2000er Jahre bezeichnet auch Osman Oğuz vom SFR als erschreckend: „Was in diesem weit verzweigten Geschäft ‚gemanagt‘ und mit dem Ziel billigster Effizienz umgesetzt wird, entspricht vielen faschistischen Träumen von Internierung, Vertreibung und Ausbeutung. Ganz im Sinne des Zeitgeistes: nach der Logik eines neoliberalen, transnationalen Unternehmens.“

Es werde befürchtet, dass auch die Abschiebehaft in Dresden, aus der die Abschiebehaftkontaktgruppe von menschenverachtenden Zuständen berichtet, ebenfalls von Serco übernommen wird. „Es ist grotesk, wie große internationale Konzerne mit Leid und Rechtsbruch Milliardengewinne machen – übrigens ist das meiste davon mit Steuern bezahlt“, so Toni Kreischen von der Kontaktgruppe.

„Unmenschliche Zustände“ und Missbrauchsfälle

International werfen Human Rights Watch und Amnesty International unmenschliche Zustände in den Flüchtlingslagern Australiens vor. Ärzt*innen und Sozialarbeiter*innen meldeten zudem Fälle von sexueller Belästigung, nahezu endemischen Depressionskrankheiten und regelmäßigen Suizidversuchen in den Insellagern im Pazifik, so der SFR.

Auch in Großbritannien betreibt Serco viele Unterkünfte. Durch die Arbeit der Geflüchteten für symbolische Löhne habe das Unternehmen in einem Jahr rund 3 Millionen Pfund gespart. Auch in Deutschland gehört die Mitarbeit von Geflüchteten für einen Lohn von einem bis zwei Euro pro Stunde in ihren Unterkünften bereits zur Tagesordnung.

Außerdem macht der Konzern Geld in der Rüstungsbranche: Serco übernimmt im Auftrag verschiedener Staaten wie Großbritannien, USA oder Australien Aufträge in Bereichen wie Produktion und Management von Verteidigungstechnik, Entwicklung von Logistik und Management in Kriegsgebieten, unter anderem im Nahen Osten. Darüber soll das Unternehmen im Rüstungssektor tätig und an der Entwicklung, Produktion und Wartung von Atomwaffen beteiligt sein. Der Konzern selbst weist all die Vorwürfe zurück.

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“Außerdem mache der Konzern Profite mit Militär und Rüstung: In einer Liste der 100 größten Rüstungskonzerne rangiert das Unternehmen auf Platz 62.”
– Erinnert mich an die Ölkonzerne, die mit dem Verkauf von Öl UND der Einlagerung von CO2 Geld verdienen. Wir haben uns in eine Lage manövriert, in der solche perversen und menschen- und gesellschaftsschädigenden Geschäftspraktiken gefördert werden. Zum Glück sind wir auch schlau und kooperativ, so dass ich hoffe, dass wir da auch wieder rauskommen.

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