Für FreikäuferLEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 71, seit 27. September im Handel Nach den Olympischen Spielen 2020 wird Leipzig nicht mehr Bundesstützpunkt für die Sportart Judo sein. Kerstin Thieles Silber-Medaille 2012 in London war die letzte Leipziger Judo-Medaille in einem hochrangigen internationalen Wettbewerb. Udo Quellmalz, Leipziger Olympiasieger von 1996 und zweimaliger Weltmeister (1991, 1995), ist nun der Hoffnungsträger für den Judo-Sport in Leipzig. Warum im Judo in den letzten Jahren nicht viel zusammenlief, was sich ändern muss und was bei weiterer Erfolglosigkeit die Konsequenzen sein werden, erklärt Quellmalz detailliert im Interview mit der LEIPZIGER ZEITUNG.

Herr Quellmalz, nach Olympia 2020 verliert Leipzig den Status als Bundesstützpunkt in der Sportart Judo. Was sind die Folgen für den Judosport in der Stadt?

Eines ist klar: Leipzig ist dann immer noch ein „Landesstützpunkt mit herausragender Bedeutung“ mit dem Schwerpunkt Nachwuchs. Der Deutsche Judo-Bund (DJB) wird uns auch weiterhin fördern. Aber man muss auch deutlich sagen: Dieser Schritt ist nicht überraschend. Das Prädikat Bundesstützpunkt hat das Ziel, dass Olympiamedaillen rauskommen. Das ist längere Zeit nicht passiert. Kerstin Thiele ist die Letzte aus Leipzig, die 2012 mit Silber eine Olympia-Medaille geholt hat.

Das ist ein Fakt, und die logische Konsequenz ist, dass dann Dinge hinterfragt werden. Wir können froh sein, dass Leipzig weiter gefördert wird. Die Voraussetzungen in Leipzig sind sehr gut: Kurze Anbindung mit der Sportschule, gute Trainingsbedingungen. Aber wie in anderen Sportarten auch, ist es im Judo schwer, ganz oben anzukommen. Man braucht eisernen Willen und eine qualitativ starke Trainingsgruppe, die an einem Strang zieht.

Woran lag es denn, dass dies in der Vergangenheit nicht mehr der Fall war?

Es gab in der Vergangenheit häufige Trainerwechsel. Das lässt Athleten zweifeln, und sie verlassen den Stützpunkt. Die große Herausforderung ist generell, den Sportlern nach Abschluss der Schule die Möglichkeit zu geben, Sport und Beruf vereinbaren zu können. Aber das ist schwer: Sie sollen einerseits trainieren wie die Vollprofis mit totaler Hingabe und Enthusiasmus, aber sie müssen ja auch studieren oder arbeiten. Das lässt sich nicht so leicht einrichten und ist ein Problem für viele Sportarten im Leistungsbereich.

Udo Quellmalz ist noch immer Feuer und Flamme für den Judo-Sport. Foto: Jan Kaefer
Udo Quellmalz ist noch immer Feuer und Flamme für den Judo-Sport. Foto: Jan Kaefer

Es gibt ohne Weiteres Talente, aber man muss es schaffen, dass sie dabeibleiben. Die Talente müssen einfach den Hunger haben, lange dabei zu sein. Es gibt zeitig in der Karriere extrem viel Training, und es gibt viele, die sind dabei, weil sie dabei sind. Die Frage: „Warum mach ich das?“, stellt sich nicht jeder mit der Antwort: „Ich will eine Medaille im Topbereich gewinnen“.

Gleichzeitig erwartet jeder Trainer 150 Prozent. Man muss die Balance finden, zwischen hoher Belastung und Lockerheit. Das ist kein Aufruf zur Faulheit, sondern so gemeint, dass die Athleten nicht einpacken, wenn es drauf ankommt.

Wenn Leipzig als Landesstützpunkt mit besonderer Bedeutung für den Nachwuchs nicht liefert, wird es auch diesen Status verlieren?

Korrekt. Der Verlust des Status als Olympiastützpunkt hat aktuell noch keine Auswirkungen auf die Finanzen, also beispielsweise die Trainerfinanzierung. Die ist noch ein paar Jahre gesichert. Logischerweise muss man aber irgendwann liefern. Wenn man in den nächsten vier, fünf Jahren keine Sportler an die Weltspitze heranführt, wird sich das ändern.

Es dauert aber auch sehr lange, Talente auszubilden. Dazu kann es auch Verletzungen geben, die einen riesigen Rückschlag auch für den Stützpunkt bedeuten.

Ich würde mir wünschen, dass ich es hinkriege, hier in Leipzig ein paar Talente in die nationale und internationale Spitze hochzubringen. Nächstes Jahr im März sind U18 Deutsche Meisterschaften in Leipzig. Das ist ein nationaler Schwerpunkt. Es wäre natürlich wünschenswert, wenn ein paar Talente aus Leipzig ganz vorn dabei sind.

Welche Rolle spielen Sie in diesem Bereich als Trainer?

Ich versuche, das Selbstständige zu fördern, sodass die Athleten wissen, was sie wollen und warum sie das machen. Ich wäre froh, wenn es ein paar schaffen, was ich als Sportler geschafft habe, egal ob Athlet oder Trainer. Als Trainer habe ich schon einiges gewonnen mit Österreichern und Briten, und selbst war ich 1996 in Atlanta Olympiasieger. Ich habe mich immer an der nächsthöheren Altersgruppe orientiert, um dort mitzumischen. Ich war nicht der Sprücheklopfer, sondern habe mein Zeug gemacht, beispielsweise an meiner physischen Fitness gearbeitet.

Die Bedingungen hier sind sehr gut. Die Talente müssen den Glauben haben, dass sie es schaffen können, sonst ist das, was wir machen, nur Beschäftigungstherapie. Es ist absolut notwendig, positives Denken und gesundes Selbstbewusstsein zu vermitteln, ohne abgehoben zu sein. Wer in der U18 ist, sollte dann auch Siege in der U21 anpeilen.

Zaubern kann ich natürlich nicht, der Sportler muss allein trainieren. Im Leistungssport machen nicht alle Dinge Spaß, man muss auch mal über seine Grenzen hinausgehen – und das ist hart. Da muss man schon aus einem gewissen Holz geschnitzt sein, um das zu schaffen. So eine Truppe braucht man eben.

Sie trainierten bis 1990 in Leipzig. Hat sich seitdem viel in der Trainingsinfrastruktur verändert?

Man kann meine Zeit nicht mit heute vergleichen. Die ganze Infrastruktur ist sehr, sehr gut. Die Matten, der Kraftraum, die Judohalle an sich. Das ist was ganz anderes. Aber: Viele wissen das gar nicht so schätzen, denn sie kennen es nicht anders. Das herauszustellen nützt nichts, denn die Geschichten von früher kann man mal erzählen, aber sie bewirken nichts. Ich hatte das Glück, zu sehen wie woanders gearbeitet wird und weiß es einzuschätzen.

Der Titel der neuen LEIPZIGER ZEITUNG: Jetzt überall im Handel
Der Titel der neuen LEIPZIGER ZEITUNG: Jetzt überall im Handel

Als Sie mit dem Leistungssport anfingen, war die Wiedervereinigung nicht abzusehen. Es war klar: Wer erfolgreich ist, kann im Gegensatz zu vielen anderen die weite Welt sehen. Dafür mussten Sie kämpfen. Fehlt heutigen Generationen so ein Antrieb?

Natürlich. Wenn ich finanziell nicht so schlecht gestellt bin, buche ich eine Reise und los geht’s. Aber das ist nicht der einzige Grund, weswegen es der Spitzensport schwer hat. Dazu kommt die Reizüberflutung, diese verschiedenen Freizeitangebote, die es heute gibt, machen es schwer und man muss heutzutage alles schnell erreichen können.

Am besten gucke ich mir ein YouTube-Video an und übe dreimal, und dann kann ich es. Ein Fitnesslevel zu verbessern ist aber nicht so leicht zu machen. Das sind viele Blöcke, und das dauert seine Zeit. Das ist aber nicht nur im Judo so. Das macht eben nicht immer Spaß.

Wie kommt es, dass Sie nach Engagements in Katar, Österreich oder auch Großbritannien nun nach Leipzig zurückgekehrt sind?

Ich bin seit zwei Jahren wieder in Leipzig, habe zuvor noch an internationalen Schulen gearbeitet. Meine Familie wohnt hier in Leipzig, auch meine Eltern. Daher bin ich zurückgekommen. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich es schaffe, den aktuellen Talenten zu helfen. Dazu kommt, dass Leipzig eine schöne Stadt ist. Ich bin hier geboren und aufgewachsen, und da lag es nahe.

Was sind Ihre Aufgaben als Sportkoordinator?

Ich bin nicht nur Sportkoordinator, sondern auch Trainer. Nur am Schreibtisch sitzen, E-Mails schreiben und telefonieren … Das ist zwar auch notwendig, aber es wird dann schwer, Leute hinter dem Ofen hervorzulocken. Logischerweise bin ich nicht so fit wie vor 23 Jahren als ich Olympia gewonnen habe. Aber es reicht noch, um ein paar Sachen mitzumachen. Als Beispiel voranzugehen ist nicht unbedingt schlecht. Es wird sonst schwer, die extremen Sachen von Sportlern zu verlangen.

Braucht der Judosport ein Scouting-System für den Nachwuchs?

Es ist nicht so, dass alles auf Null ist. Es gibt eine Kooperation mit dem Sportgymnasium/der Sportmittelschule, inklusive Sichtungssystem. Es gibt in Leipzig eine Menge Judoclubs. Natürlich, wenn sich die Sportler entscheiden, den Sport weiterzuführen, gibt die eine Möglichkeit, Talente zu sichten. Der Schritt von „Ich mach das einmal die Woche“ bis „Ich mache Leistungssport“ ist aber groß. Besonders bitter ist es, wenn Sportler dann vor den Senioren aufhören, weil sie es schon lange genug gemacht haben. Da kann man zwar Gespräche führen, aber mit Zwang geht nichts.

Die Leipziger Zeitung, Ausgabe September 2019 ist am 27. 09. 2019 erschienen und hier zu kaufen.

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