2014 waren ja bekanntlich die wichtigsten Sprecher der sächsischen Gastronomie damit beschäftigt, mit allen Registern gegen den Mindestlohn zu kämpfen. Sie malten die düstersten Bilder zur Zukunft der Branche. Aber ein Jahr Mindestlohn hat nun gezeigt: Auch diese Branche war reif für den Mindestlohn - die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) zieht für Leipzig eine positive Bilanz.

“Zum ersten Mal haben alle Beschäftigten einen festen Lohnsockel unter den Füßen – von der Küchenhilfe bis zur Verkäuferin im Backshop: Wer arbeitet, muss dafür mindestens 8,50 Euro pro Stunde bekommen“, sagt Jörg Most. Für den Geschäftsführer der NGG Leipzig-Halle-Dessau ist der gesetzliche Mindestlohn der „Einstieg in den Lohn-Aufstieg für Menschen, die zuvor mit Niedrigstlöhnen abgespeist wurden“.

Vom „Schreckgespenst Mindestlohn“, vor dem die Arbeitgeber auch in Leipzig noch vor einem Jahr gewarnt hätten, sei nichts übrig geblieben: Der Mindestlohn sei weder „Konjunktur-Bremser“ noch „gefährlicher Job-Killer“. Die NGG legte dazu jetzt eine aktuelle „Mindestlohn-Analyse“ vor, die das renommierte Pestel-Institut (Hannover) im Auftrag der Gewerkschaft gemacht hat.

Die Wissenschaftler werteten dabei auch die Beschäftigungssituation in der Stadt Leipzig speziell aus, die natürlich gegenüber vielen touristischen Regionen in Sachsen den Vorteil hat, dass hier das ganze Jahr über Tourismus stattfindet – man ist weder von Schnee noch von sommerlichen Temperaturen abhängig. Städtetourismus ist aufs engste mit dem deutschlandweit beliebten Kulturtourismus verquickt. Das schafft hohe Auslastung nicht nur in den Hotels das ganze Jahr über, sondern auch in der Gastronomie. Der eine oder andere berühmte Leipziger Gastronom malte dann zwar trotzdem ein schwarzes Szenario in der Zeitung aus, dürfte aber längst schon die Pläne in der Schublade gehabt haben, seinen Personaleinsatz umzustrukturieren. Denn gerade die schlecht bezahlten Arbeitskräfte waren ja diejenigen, die erst das Ausweiten von Küchen- und Öffnungszeiten weit über Mitternacht hinaus ermöglichten. Da stellte sich schon die Frage, ob Service auch wirklich ein ökonomisch sinnvoller war.

Und siehe da:

“Anstatt Servicekräfte oder Küchenpersonal zu entlassen, haben Leipziger Hotels, Pensionen, Restaurants und Gaststätten neue Kräfte eingestellt. Insgesamt arbeiteten dort im Juni vergangenen Jahres immerhin 9.127 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte – und damit zehn Prozent mehr als noch im Vergleichsmonat des Vorjahres, als es den gesetzlichen Mindestlohn noch nicht gab“, stellt Most nun fest.

Nach Angaben der NGG Leipzig-Halle-Dessau hat der Mindestlohn dazu geführt, dass etliche Arbeitgeber aus Mini-Jobs reguläre Stellen gemacht haben. Das gelte nicht nur für die Gastro-Branche.

„Viele Mini-Jobs waren besonders schlecht bezahlt. Durch den Mindestlohn sind die Mini-Jobber dann über die 450-Euro-Grenze gerutscht. Und das sind jetzt sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Diese Menschen haben damit etwas Besseres als den Mini-Job. Das ist ein Riesenerfolg“, sagt Jörg Most.

Gleichzeitig nahm die Arbeitslosigkeit im „Mindestlohn-Jahr 2015“ ab: Im letzten Dezember waren rund 25.500 Menschen in Leipzig ohne Beschäftigung – und damit drei Prozent weniger als noch ein Jahr zuvor. Auch die Beschäftigtenzahl insgesamt hat sich mit dem gesetzlichen Mindestlohn positiv entwickelt: Im Sommer des vergangenen Jahres gab es in der Stadt gut 7.900 Menschen mehr, die einen Job hatten, als noch im Sommer des Vorjahres.

Dabei habe auch der Staat vom Mindestlohn profitiert. Er musste weniger Menschen unterstützen und sparte bei den Hartz-IV-Ausgaben. Denn die Zahl der Aufstocker ist zurückgegangen.

“Im Juni vergangenen Jahres gab es in Leipzig 1.200 Aufstocker weniger – ein Rückgang um 7,4 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Diese Menschen können nun von ihrer Arbeit leben. Sie sind nicht länger auf die ‚Stütze vom Staat‘ angewiesen“, so Jörg Most.

Diese Zahlen liefern für den Geschäftsführer der NGG Leipzig-Halle-Dessau eine „klare Botschaft“: „Der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde hat den Beschäftigten gut getan. Und er hat der Wirtschaft nicht geschadet.“

Im Gegenteil: Das Lohn-Plus habe der Stadt Leipzig eine höhere Kaufkraft beschert, von der insbesondere auch die heimische Wirtschaft profitiert habe. „Denn Beschäftigte, die den gesetzlichen Mindestlohn bekommen, haben das zusätzlich verdiente Geld nahezu eins zu eins in den Konsum gegeben“, so Most.

Um diesen Menschen die Chance zu geben, auch Geld für größere Anschaffungen auf die hohe Kante zu legen, müsste der Mindestlohn allerdings steigen.

“Unser Ziel ist es, ihn möglichst rasch in einem ersten Schritt auf 10 Euro pro Stunde anzuheben“, macht der Gewerkschafter deutlich. Die NGG habe einen ganz wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland vor einem Jahr überhaupt eingeführt worden sei. Jetzt werde die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten ebenso hartnäckig daran arbeiten, ihn schrittweise „zu liften“.

Denn die Erhöhung des Mindestlohns hat natürlich auch Auswirkungen auf die Renten-Berechnung: Um eine Rente von mindestens 769 Euro pro Monat – also gerade einmal die Grundsicherung im Alter – zu bekommen, müsse ein Beschäftigter immerhin mindestens 11,50 Euro pro Stunde verdienen. Und das 45 Jahre lang bei einer Vollzeitstelle.

Davon sind Menschen, die jetzt 8,50 Euro bekommen, sichtlich noch meilenweit entfernt.

„Ein Leben lang arbeiten und dann doch nur ‚Alters-Hartz-IV‘ bekommen – das kann und das darf es nicht sein. Der gesetzliche Mindestlohn steckt noch in den Kinderschuhen. Aber wir werden ihn groß bekommen“, findet Jörg Most.

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