Man kann es ja mal versuchen, dachte sich das der Bundesarbeitsagentur angegliederte Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und berechnete das Substituierbarkeitspotenzial von Arbeitsplätzen auf Länderebene. Substitution heißt in diesem Fall: Wie viele Arbeitsplätze könnten heute schon durch Computer oder computergesteuerte Maschinen erledigt werden? Aber: Werden sie es auch?

Und: Ist die Rechnung so einfach? Aktuell erleben wir ja wieder einen regelrechten Hype um die Computerisierung. Jeden Tag werden neue „Zukunftsstories“ erzählt über Jobs, die schon bald von Maschinen erledigt werden können.

Ob es so kommt, wird daran liegen, ob einige der daran interessierten Konzerne auch die entsprechenden Marktzugänge bekommen – und bislang waren deutsche Länderregierungen immer sehr entgegenkommend bei dem Thema. Und es liegt natürlich an der Branche.

Denn: Der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die in einem Beruf arbeiten, in dem mehr als 70 Prozent der Tätigkeiten bereits heute von Computern oder computergesteuerten Maschinen erledigt werden könnten, unterscheidet sich deutlich und liegt zwischen 8 Prozent in Berlin und mehr als 20 Prozent im Saarland. Und hier geht es vor allem um Tätigkeiten im verarbeitenden Gewerbe.

Je größer die Bedeutung des verarbeitenden Gewerbes in einem Bundesland, desto höher ist tendenziell der Anteil der Beschäftigungsverhältnisse, die zu mehr als 70 Prozent durch Computer oder computergesteuerte Maschinen übernommen werden könnten, stellen die IAB-Forscherinnen Tanja Buch, Katharina Dengler und Britta Matthes fest. So liegt in Ländern mit überdurchschnittlich vielen Beschäftigten in den Fertigungs- und fertigungstechnischen Berufen der Anteil von Jobs mit hohem Substituierbarkeitspotenzial über dem Bundesdurchschnitt von 15 Prozent: im Saarland bei 20 Prozent, in Thüringen bei 19 Prozent und in Baden-Württemberg bei 17 Prozent.

In den Dienstleistungsmetropolen Berlin und Hamburg mit einem geringeren Anteil an Beschäftigten in den Fertigungs- und fertigungstechnischen Berufen ist dieses Substituierbarkeitspotenzial mit 8 und 9 Prozent vergleichsweise niedrig. In diesen Bundesländern arbeiten viele Beschäftigte in Berufen der Unternehmensführung und -organisation bzw. in unternehmensbezogenen Dienstleistungsberufen – in Berufen also, die ein deutlich niedrigeres Substituierbarkeitspotenzial aufweisen als Fertigungs- und fertigungstechnische Berufe.

Was die Arbeitsagentur Sachsen schon jetzt sehr besorgt macht, denn wegrationalisiert werden da vor allem Helferberufe mit geringem Qualifikationsprofil. Wohin mit den Leuten, wenn sie nicht mal hier mehr Arbeit finden?

Aber genau die blanke Warnung, die die sächsische Arbeitsagentur hier herausliest, ist falsch. Das stellen selbst die Autorinnen fest, die sehr wohl die unterschiedlichen Rechenweisen zum Substitutionspotenzial infrage stellen.

„Aus solchen Befunden wird mitunter geschlossen, dass mit der fortschreitenden Digitalisierung ein Beschäftigungsabbau in dieser Größenordnung einhergeht. Jedoch werden keinesfalls alle Tätigkeiten, die von Computern oder computergesteuerten Maschinen erledigt werden könnten, tatsächlich ersetzt. Dies hängt von ethischen und rechtlichen Hürden, aber auch von den Lohn- und Investitionskosten ab. Es ist durchaus möglich, dass die Digitalisierung sogar zu einem Beschäftigungsaufbau führt: Die computergesteuerten Maschinen und Geräte müssen entwickelt und gebaut werden. Es werden Fachkräfte gebraucht, um die dazugehörige Software zu programmieren. Die Maschinen und Geräte müssen gesteuert, kontrolliert und gewartet werden.“

Das Fazit, das sie daraus ziehen könnten, lautet eigentlich: Wenn Sachsen sein Bildungssystem nicht endlich modernisiert, bekommt es richtig Probleme. Denn die digitalisierte Arbeitswelt kann mit Schulabbrechern nichts anfangen.

„Jedes Bundesland muss sich demnach damit auseinandersetzen, wo Substituierbarkeitspotenziale vorhanden sind oder in Zukunft entstehen könnten“, schreiben die IAB-Forscherinnen Buch, Dengler und Matthes. Generell könnten jedoch Bildung und Weiterbildung als wichtige Handlungsfelder identifiziert werden. „Lebenslanges Lernen muss sowohl für Arbeitskräfte aller Qualifikationsniveaus als auch für Arbeitgeber zur selbstverständlichen und dauerhaften Investition werden“.

Denn tatsächlich hat die Digitalisierung nur dieselben Effekte wie alle anderen technischen Innovationen der Vergangenheit auch: Die schafften nicht einfach nur Arbeitsplätze ab, sie schufen Raum für neue Entwicklungen. Oder noch einmal aus der Studie zitiert: „Außerdem können hohe Substituierbarkeitspotenziale auch als Signal für hohe Produktivitätspotenziale verstanden werden, die es auszuschöpfen gilt: Weil Berufe aus substituierbaren und nicht-substituierbaren Tätigkeiten bestehen, könnten Beschäftigte in Berufen mit hohen Substituierbarkeiten – mit der Unterstützung von Computern – ihre Produktivität erhöhen. Daraus können Preissenkungen für die hergestellten Produkte und erbrachten Dienstleistungen folgen, die wiederum gerade bei innovativen Gütern eine steigende Nachfrage und damit mehr Beschäftigung erzeugen können.“

Das heißt auch für die 15,9 Prozent der Arbeitsplätze in Sachsen, die möglicherweise substituierbar sind: Ersetzt werden sie nur, wenn das wirtschaftlich auch Sinn macht. Und beim Umbau dieser Tätigkeitsfelder ist es sehr wahrscheinlich, dass wieder neue Arbeitsfelder entstehen – mit höherem Qualifikationsniveau.

Da braucht man – wer hätte das gedacht – mehr Lehrer. Wer ist da nur auf die dumme Idee gekommen, man könnte Lehrer einsparen in einem Land wie Sachsen?

Die IAB-Studie zum Nachlesen.

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