Hat der arbeitsmarktpolitische Sprecher der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages, Alexander Krauß, Recht, wenn er sagt: „Im Vergleich zu den anderen ostdeutschen Ländern haben wir zwar die geringste Kündigungsquote, der Wert ist aber immer noch viel zu hoch. Jeder gekündigte Ausbildungsplatz ist eine verlorene Chance.“? - Wahrscheinlich nicht.

Nach einer aktuellen Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit wird mehr als jeder vierte Ausbildungsvertrag in Sachsen vorzeitig aufgelöst. 2014 waren es 26,7 Prozent. Das sind jetzt die aktuellsten Zahlen, mit denen das IAB in seiner Studie arbeitet. Am wahrscheinlichsten sei laut Studie die Lösung des Ausbildungsvertrages zu Beginn der Ausbildung, ein Drittel erfolge in der Probezeit.

Die Gründe, wie sie Alexander Krauß aus der 36-seitigen Studie liest, seien vielfältig, meint er: „Lehrlinge, die ihren Ausbildungsvertrag kündigen, geben am häufigsten ein schlechtes Betriebsklima und Konflikte mit dem Ausbilder an. Wenn mehr zwischen Ausbilder, Lehrling und Berufsschullehrer gesprochen wird, ließen sich Abbrüche verhindern.“

Die Schuld für den Abbruch könne man weder den Auszubildenden noch dem Ausbildungsbetrieb allein in die Schuhe schieben, meint er. Und versucht, das Ganze auf einen einfachen Nenner zu bringen: „Manche Lehrlinge bräuchten mehr Sozialkompetenz und müssten auch einmal die Zähne zusammenbeißen. Auf der anderen Seite ist eine abwechslungsreiche Arbeit und ein Lob gegenüber dem Lehrling motivierend.“

Schön gesagt. Schön einfühlsam.

Aber das ist dann wohl der Traum von einer heilen, esoterischen Arbeitswelt. Dass sowohl Ausbilder wie Lehrlinge die Konflikte im Unternehmen als Grund für die Auflösung des Vertrages angeben, ist weder neu, noch hat es mit den letzten Jahren zugenommen. Es ist eigentlich sogar so etwas wie eine Standardbegründung (eine von mehreren), mit denen beide Seiten versuchen, die Auflösung zu begründen.

Andere Gründe sind viel entscheidender. Darauf geht das IAB auch in seiner Studie ein. Denn die scheinbar so hohe Auflösungsquote ist mitnichten etwas Negatives und beschreibt auch keine Generation von ausbildungsunwilligen Azubis.

Darin spiegelt sich nur eine deutlich komplexere Ausbildungswelt, als sie die CDU oft zu sehen bereit ist. Denn mit dem Beginn einer Ausbildung ist für viele junge Leute die Entscheidung über ihren künftigen Berufsweg überhaupt noch nicht gefallen. Und es kommt dazu, dass sich der Ausbildungsmarkt in Sachsen seit 2010 dramatisch verändert hat.

„Zwischen 2007 und 2013 nahm in Sachsen die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge stetig ab“, schreiben die Autoren der Studie. „2014 wurden mit 18.228 erstmals wieder etwas mehr neue Ausbildungsverträge als im Vorjahr gezählt. Ursächlich für den langjährigen Rückgang waren vor allem sinkende Bewerberzahlen. Während bei der Bundesagentur für Arbeit im Berichtsjahr 2001/2002 noch 59.786 Bewerber registriert waren, ist diese Zahl bis zum Berichtsjahr 2013/2014 auf nur noch 22.096 Bewerber zurückgegangen.“

Die Zahl der Azubis hat sich also mehr als halbiert. Was Folgen hat: Ausbildende Unternehmen konnten sich aus den Bewerbern nicht mehr die Goldstückchen heraussuchen. Im Gegenteil: Unternehmen, die heute Nachwuchs suchen, müssen damit rechnen, dass sie deutlich mehr Zeit und Energie in die Ausbildung ihrer Azubis investieren müssen. Ohne Garantie, dass sie auch dableiben. Denn nicht nur beim Lehrlingsnachwuchs haben sich die Zahlen halbiert. Jetzt ist auch die große Suche nach ausgebildeten Fachkräften entbrannt.

Mit den trockenen Worten der Studienautoren: „Da es bei der Anzahl der gemeldeten Ausbildungsstellen kaum Veränderungen gab, verringerten sich rechnerisch die Stellen/Bewerberrelation von fast eins zu drei auf gut eins zu eins.“

Dass die meisten Ausbildungsverträge schon in der Probezeit wieder aufgelöst werden, ist ja auch logisch. Dazu ist es nun einmal eine Probezeit. Nicht nur erfahren die Ausbilder in dieser Zeit, ob sie einen brauchbaren Lehrling bekommen haben. Die jungen Leute – die ja bekanntlich in den meisten sächsischen Schulen niemals mit der wirtschaftlichen Praxis in ihrer Heimat in Kontakt kommen (stattdessen sollen sie jetzt Programmiersprachen lernen) – erfahren meist erst in diesen ersten Praxiswochen, welche Ansprüche der gewählte Beruf überhaupt an sie stellt und ob es überhaupt einer ist, der zu ihnen passt. Das Unbehagen kann man dann leicht auf die Umgebungsbedingungen schieben, wenn es eigentlich nur die eigene Unsicherheit ist.

Wobei auffällt, dass Azubis, die schon im Betrieb sind, den Grund „falsche Vorstellung vom Beruf“ deutlich seltener nennen als Schüler, die zum Beispiel eine Berufsschule besuchen.

Und so schreiben denn auch die Studienautoren des IAB: „Zu Beginn der Ausbildung ist eine vorzeitige Lösung des Ausbildungsvertrages am wahrscheinlichsten. Ein Drittel aller vorzeitigen Vertragslösungen findet in der Probezeit statt.“

Wo ordnet man das dann ein?

„Im Vergleich zu allen Bundesländern verzeichnet Sachsen eine überdurchschnittliche Lösungsquote, aber die geringste innerhalb der ostdeutschen Länder. Im Bundesländerranking nimmt Sachsen den 7. Platz ein.“

26,7 Prozent sind dabei wirklich ein durchschnittlicher Wert.

Und man kann ihn auch so interpretieren: Für viele dieser jungen Leute gehört auch die Berufsausbildung noch zu einer Phase der Suche nach dem richtigen Weg für sich selbst.

Die Studie dazu: „Eine vorzeitige Lösung des Ausbildungsvertrages ist aber in den meisten Fällen nicht mit einem Ausbildungsabbruch gleichzusetzen. Nach Uhly (2013) verbleibt mindestens die Hälfte der Betroffenen im dualen System. Ein weiterer Teil entscheidet sich für die Aufnahme einer Ausbildung außerhalb der dualen Berufsausbildung. Nur das vollständige Einstellen aller (formalen) Bildungsanstrengungen steht oft mit sozialen Problemlagen in Verbindung (Althoff 1989 zitiert in Uhly 2015).“

Die jungen Leute lassen also in der Regel nicht die Ausbildung schleifen, sondern orientieren sich vor allem um.

Und dazu kommt noch – was dann die Prozentzahlen völlig unbrauchbar macht bei der Suche nach den eigentlichen Gründen: „Was ebenfalls in der öffentlichen Diskussion nur selten thematisiert wird, ist die positive Seite einer vorzeitigen Lösung des Ausbildungsvertrages. Wenn ein Auszubildender aufgrund seiner sehr guten Leistungen die aktuelle Ausbildung verkürzen kann, zählt das in der Statistik des Bundesinstitutes für Berufsbildung auch als vorzeitige Lösung. Ebenso werden Wechsel von einer öffentlich geförderten in eine betriebliche Ausbildung als vorzeitige Lösung klassifiziert.“

Was ja in der Summe nur heißt: Die 26 Prozent aufgelösten Ausbildungsverträge erzählen nicht von Ausbildungsabbrüchen, sondern von der Bewegung, die in dieser Ausbildungsphase der jungen Leute herrscht. Möglicherweise auch von einem klaren Versuch der Auszubildenden, ihre Ausbildungsbedingungen durch einen Wechsel noch während der Ausbildung zu verbessern – sei es beim Wechsel in einen Wunschbetrieb oder in ein angestrebtes anderes Ausbildungsfeld.

Es liegt also nicht so sehr – wie Alexander Krauß vermutet – an den grimmigen Ausbildern und der fehlenden Kommunikation. Möglicherweise steckt sogar eine sehr ausgiebige Kommunikation dahinter und da und dort wohl auch ein Ansporn des Ausbilders: „Mach’s einfach. Es ist dein Leben.“

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