Es ist gut möglich, dass Stadtrat Jens Herrmann-Kambach, als er am 19. Juni die schriftliche Antwort auf seine zweite Nachfrage zum 10-Minuten-Takt der Straßenbahn am Wochenende bekam, ziemlich sauer war. Auch auf einen Kollegen bei den LVB, der sich regelrecht einen Spaß daraus gemacht hat, die Anfrage des verkehrspolitischen Sprechers der Linksfraktion ganz bewusst misszuverstehen. Entsprechend schräg war dann die Antwort.

Seine fünfte Frage hatte Hermann-Kambach so formuliert: “Gibt es eine volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung des 10-Minuten-Taktes gegenüber dem 15-Minuten-Takt für das Stadtgebiet? Wenn ja, mit welchem Ergebnis? Wenn nein, warum eigentlich nicht?”

Der unvoreingenommene Leser sieht die Formel “Kosten-Nutzen-Rechnung”. Vielleicht ist er durch das Wort “volkswirtschaftliche” etwas irritiert. Aber normalerweise gehört eine Kosten-Nutzen-Rechnung aus LVB-Sicht ja einfach dazu: Was kostet der zusätzliche Aufwand? Was hat er für finanzielle Effekte? Und dann kann man noch versuchen auszurechnen, welche Effekte das Ganze darüber hinaus für die Stadtumgebung hat.

Aber wie gesagt: Der Mann, der die Frage von Seiten der LVB für das Stadtplanungsdezernat beantwortete, wollte wohl die Frage unübersehbar falsch verstehen.

Das Ergebnis liest sich so: “Eine gesamtwirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung, d. h. eine Analyse möglicher Nutzenbeiträge, die außerhalb einer betriebswirtschaftlichen Kalkulation bei den LVB entstehen (z. B. vermiedene PKW-Betriebskosten, vermiedene Unfallkosten, vermiedene Kosten für Parkraumbereitstellung in der Innenstadt) hat es für die Taktverdichtung am Samstag nicht gegeben. Solche Nutzenbeiträge sind für die betriebswirtschaftliche Kalkulation der LVB und damit für die Entscheidung, ob das neue Angebot umgesetzt wird, nicht relevant. Gesamtwirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnungen werden üblicherweise mit der Absicht angestellt, Investitionsfördermittel des Bundes oder der Länder in Anspruch zu nehmen. Dadurch können bei gegebenem gesamtwirtschaftlichen Nutzenüberschuss mögliche betriebswirtschaftliche Nachteile für den Betreiber kompensiert werden. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.”

Man sieht: Der Mann wollte die Frage nicht wirklich beantworten. Denn auch seine Erklärung ist falsch. Auch bei einer “gesamtwirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Rechnung” werden die eigentlichen Kosten und Einnahmen des eigentlichen Projekts nicht weggelassen. Worauf sollten sich die Umgebungskosten und der Nutzgewinn für die Gemeinschaft denn sonst beziehen?

Dass die Verdichtung der Taktzeiten positive Effekte hat, das gesteht man auch im Hause LVB zu. Das kann man zum 2012 gestalteten Testprojekt auf den Linien 3, 12 und 7 (im Gohliser Teil) schon sagen. Hier gab es durch die Taktverdichtung am Samstag eine Nachfragesteigerung von 17 Prozent. Was natürlich eindeutig heißt: Taktverdichtung erhöht die Attraktivität des ÖPNV und animiert mehr Menschen zum Einsteigen. Wenn dann auch noch das Umsteigen flutscht, bekommt der ÖPNV richtig Glanz. Das weiß man auch bei den LVB, wo man Herrmann-Kambach durchaus zugesteht, dass der Effekt für die 3, 4 und 1 sogar noch höher wäre, wenn am Samstag alle Straßenbahnen im 10-Minuten-Takt führen: “Dass der Nachfragezuwachs bei netzweiter Einführung des 10-Minuten-Taktes auch auf diesen Linien noch höher ausfallen würde, ist eine nachvollziehbare These, die sich jedoch nur unzureichend belegen lässt und darum bei der Nachfrageprognose unberücksichtigt blieb.”Heißt wohl: Rauskriegen kann man das erst, wenn man’s auch macht. Genug Fahrzeuge für einen 10-Minuten-Takt am Samstag haben die LVB: “Der 10-Minuten-Takt am Samstag lässt sich ohne Investitionen in zusätzliche Fahrzeuge und erweiterte Infrastruktur realisieren. Es werden keine höheren Kapazitäten benötigt, als sie an Werktagen (Montag bis Freitag) ohnehin erforderlich sind.”

Und dann hat Herrmann-Kambach wieder die bekannte weiche Stelle erwischt, als er fragte: “Wieso müssten bzw. müssen die LVB davon ausgehen, dass die Einführung eines flächendeckenden 10-Minuten-Taktes finanziell durch die Stadt nicht unterstützt wird? Wer hat wann welche diesbezüglichen Aussagen als Vertreter der Stadt Leipzig getroffen?”

Die Antwort ist so lakonisch wie vielsagend: “Der Finanzierungsbetrag, den die LVB über die LVV erhalten (derzeit 45 Millionen Euro pro Jahr), ist im Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrag geregelt und unabhängig davon, ob im Straßenbahnnetz der Übergang zum 10-Minuten-Takt am Samstag vollzogen wird oder nicht.”

Womit man bei der Parallel-Anfrage von Jens Herrmann-Kambach zu diesen 45 Millionen Euro Zuschuss wäre, der selbst nach Aussage der Stadtverwaltung viel niedriger ist, als er nach EU-Recht sein dürfte. Der Zuschuss hat sich aus einem Instrument der qualitativen Steuerung zu einem Anreizinstrument zum Sparen verwandelt. Wenn der Stadtrat über den Zuschuss qualitativ steuern wollte, käme er sofort in Konflikt mit der Spardoktrin, mit der dieser Zuschuss derzeit gekoppelt ist.

Mal ganz abgesehen davon, dass der Stadtrat sich durch die Verwandlung der LVV in eine Management-Holding im Fall der Kommunalbetriebe selbst entmachtet hat. Er kann zwar am Ende absegnen, ob es bei den LVB mehr Angebote auch am Wochenende gibt. Aber wirklich bestimmen kann er das nicht. Die Entscheidung fällt woanders.

Herrmann-Kambach hat schon zu recht gefragt: “Inwieweit wird der Stadtrat in die angekündigte interne Entscheidungsfindung zur Einführung eines 10-Minuten-Taktes im Herbst 2014 eingebunden werden?”

Das ist die zweite Frage, bei der dann der Antwortgeber bei den LVB sich so recht einen Spaß gemacht hat nach dem Motto: “Mensch Jens! Dat weißte doch!”

Die Antwort lautet: “Entsprechend den Regelungen zur Betrauung trifft ausschließlich der Stadtrat die Entscheidung, ob eine Leistungsmehrung von über 2 Prozent im Straßenbahnnetz umgesetzt werden soll. Die in der Antwort zur Anfrage F 1165/14 benutzte Begrifflichkeit ‘interne Entscheidungsfindung’ ist insofern unglücklich. Sollte von Seiten der LVB und der Verwaltung die Einführung eines 10-Minuten-Taktes am Samstag für umsetzbar erachtet werden, wird eine entsprechende Vorlage für den Stadtrat erstellt.”

Womit der Antwortgeber, nachdem er Herrmann-Kambach mit der “unglücklich gewählten Begrifflichkeit ‘interne Entscheidungsfindung'” erst mal verulkt hat, genau das betont: Die Entscheidung wird intern getroffen – im Zusammenspiel von LVB-Management und Verwaltung. Erst wenn man dort der Meinung ist, ein genereller 10-Minuten-Takt am Samstag (und noch lange nicht am Sonntag oder in den Abend- und Morgenstunden) sei umsetzbar, bekommt der Stadtrat die Vorlage auf den Tisch.

Die ganze Antwort auf Herrmann-Kambachs zweite Nachfrage: http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/B7E6C27C8B82D885C1257CFC004A5DE6/$FILE/V-f-1178-antwort.pdf

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