Auch das ist durchaus eine neue Erfahrung für die Grünen im Sächsischen Landtag: Sie stellen einen Antrag zu einem sachsenweiten ÖPNV-Tarif - und bekommen sofort positives Echo aus der Regierungskoalition. Zwar nur vom kleineren Koalitionspartner, der SPD. Aber das will schon etwas heißen, nachdem der ÖPNV in den vergangenen Jahren am Katzentisch saß. Am Dienstag, 23. Juni, gab es im Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr des Landtags eine Anhörung.

Und zwar zum Antrag der Grünen-Fraktion “Sachsenweiten ÖPNV-Tarif und landesweite Ticketangebote für Schüler und Schülerinnen, Studierende, Seniorinnen und Senioren einführen”.

Das Thema, das im ganz Kleinen im Grunde etwas formuliert, was im Großen überfällig ist. Denn Schüler, Senioren und Studierende sind natürlich nur Teilgruppen. Oft gibt es für sie sogar schon Angebote, die über die örtlichen Tarifgrenzen hinausgehen, was wohl auch der Grund dafür ist, dass die SPD-Fraktion keine Probleme sieht, dem Grünen-Antrag, solche Tarife ab 2016 einzuführen,  zuzustimmen.

„Die Anhörung hat gezeigt, dass wir mit unseren zentralen Vorhaben zur Verkehrspolitik richtig liegen“, erklärt Thomas Baum, Sprecher für Verkehrspolitik der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag. „Die SPD Fraktion hat sich in den vergangenen Jahren dafür eingesetzt, dass der Öffentliche Personennahverkehr als wichtige Zukunftsfrage erkannt und entsprechend gehandelt wird. Unsere Vorstellungen von einem einheitlichen Sachsenticket für alle Verkehrsverbünde, für eine moderne und barrierefreie Infrastruktur und ein kostengünstiges sachsenweites Bildungsticket sind nunmehr im Koalitionsvertrag mit der CDU verankert.“

Was dann auch bedeutet, dass auch die CDU sich in den nächsten Wochen bekennen muss. Thomas Baum: “Gut, dass viele Sachverständige und der vorliegende Antrag der Grünen diese zentralen Festlegungen des Koalitionsvertrags unterstützen. Besonders ein einheitlicher, sachsenweiter Tarif würde den ÖPNV wesentlich attraktiver machen. Wir erwarten, dass mehr Menschen Bus und Bahn nutzen, wenn ein Sachsentarif eingeführt wird. Das ist wirtschaftlich und ökologisch vernünftig.“

Dass dieser “Sachsentarif” erst einmal nur ein Tarif für bestimmte Personengruppen ist, betont dann aber auch Henning Homann,  Sprecher für Arbeitsmarkt der SPD-Fraktion: “Die Anhörung hat uns in der Auffassung bestätigt, dass ein attraktiver landesweiter Sachsentarif einen Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit leitet. Vor allem Kinder, Jugendliche, Senioren und einkommensschwache Familien, die sich kein eigenes Auto leisten können, werden davon profitieren“, so Henning Homann. „Die Einführung eines kostengünstigen landesweiten Bildungsticket ist ein zentrales Projekt dieser Koalition. Wir werden es entschlossen vorantreiben. – Die Anhörung hat auch gezeigt, dass noch viele vor allem verwaltungstechnische Fragen zu lösen sind. Diese sollen in der kürzlich eingerichteten Expertenkommission ÖPNV geklärt werden. Den Ergebnissen dieser Kommission vorzugreifen, der übrigens auch die Grünen angehören, ist deshalb nicht zielführend. Schnellschüsse sind überflüssig.“

Dass es dabei erst einmal auch um Geld geht, wissen auch die Grünen. Denn andere “Fahrgastpotenziale”, wie es in der Fachsprache so schön heißt, bleiben erst einmal außen vor – man denke nur an die Pendler im Berufsverkehr, die dann doch lieber mit dem Auto fahren, weil das ÖPNV-System ein Flickenteppich lokaler Hoheitsgebiete ist. Da wartet eigentlich mal eine richtige Revolution, die auch mehreren Dutzend Lokalfürsten endlich ihre Blockademöglichkeiten nimmt. Vielleicht hat ja die einberufene ÖPNV-Kommision den Mumm, so weit zu denken.

Eva Jähnigen, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion: “Die heutige Anhörung hat die Aktualität des Themas noch einmal verdeutlicht. Wer Fahrgastpotenziale für Bus und Bahn stärker heben will, muss einen einfachen und kundenfreundlichen Zugang zum ÖPNV ermöglichen. Dazu gehört zwingend ein verständliches ÖPNV-Tarifsystem. Gerade bei Personengruppen, die nicht über detaillierte Ortskenntnis oder große Erfahrung mit dem ÖPNV verfügen, ist eine komplizierte Handhabung eine große Hürde für die ÖPNV-Nutzung. Ungewolltes Schwarzfahren durch gelöste Tickets, die eventuell auf Teilstrecken im Übergangsgebiet ungültig sind, erhöht den Ärger für Kunden und Personal.”

Und das macht eben nicht nur Senioren, Studierenden und Schülern Kummer.

Dass die Grünen eigentlich weiter denken als mit diesem Antrag, betont Eva Jähnigen extra: “Momentan herrscht besonders in den Übergangsgebieten zwischen den Verkehrsverbünden in Sachsen ein Tarifwirrwarr, der viele Nutzerinnen und Nutzer massiv überfordert. Hier sehen wir Handlungsbedarf. Die Einführung eines einheitlichen sachsenweiten Tarifs über die Grenzen der Verbünde hinaus, der nicht nur in Nahverkehrszügen, sondern von Tür zur Tür, also auch in Straßenbahnen, Bussen und auf Fähren gilt, kann helfen, die Nachfrage im öffentlichen Verkehr signifikant zu erhöhen.”

Verkehrswirtschaftler Jakob Kunze Senior, Consultant von Probst & Consorten, von der Grünen-Fraktion als Experte für die Öffentliche Anhörung benannt, ergänzt: “Das Beispiel Tirol zeigt, welches Potenzial an Neukunden für den ÖPNV gewonnen werden kann, wenn für einzelne Zielgruppen wie z.B. Senioren ein attraktiver landesweiter Tarif angeboten wird. Dort besitzt mittlerweile jeder siebte Einwohner über 61 Jahre eine Zeitkarte. Selbstverständlich braucht man dafür aber eine Anschubfinanzierung sowie grundsätzlich eine höhere finanzielle Förderung des ÖPNV als das bislang in Sachsen der Fall ist.”

Womit dann auch wieder die leidige Umverteilungspolitik des Freistaats in Sachen Regionalisierungsmittel angesprochen ist. 20 Prozent der Regionalisierungsmittel kommen der Finanzierung des regionalen ÖPNV gar nicht zugute. Was einer der Gründe dafür ist, warum in einzelnen Verkehrsverbünden völlig schräge Diskussionen über Fahrpreiserhöhungen und künftige ÖPNV-Finanzierungen entbrannt sind, während staatliche Instanzen ÖPNV weiterhin nur als Sparmodell betrachten und nicht als Investitionsprojekt für eine nachhaltigere Zukunft.

Den Grünen-Antrag.

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Und damit in Leipzig (und in Sachsen) das Rad nicht zum zweiten Mal, nämlich als Sechseck, erfunden wird, empfehle ich den Entscheidern, sich vorab gründlich mit dem Niedersachsen-Ticket (und dessen kleinen und großen Fallstricken) zu befassen. Lässt sich alles erguhgeln.

(Und nicht auf die LVB hören, die sind definitiv kein Ausbund an Kundenfreundlichkeit.)

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