Dass sich ein paar Leipziger Autonome die Taten aus der Nacht vom 31. Juli zum 1. August zuschreiben, wurde erst am 6. August bekannt, als sie in einem Bekennerschreiben auch die Anschläge auf einen Polizeiposten und das Firmenbüro von AfD-Chefin Frauke Petry als ihre Taten rühmten. Aber warum glauben diese Leute eigentlich, mit Feuer und Gewalt die Finanzierungsprobleme der LVB lösen zu können? Tatsächlich geht es auch nur um sie selbst.

Das ist das Frustrierende an diesen Zeichensetzern aus einem Spektrum, das sich gern als links definiert, aber eigentlich nur ans eigene Wohlergehen denkt. Denn wie soll eigentlich ein ÖPNV funktionieren, wenn es alle den Möchtegern-Schwarzfahrern nachmachen und keine Tickets mehr kaufen und gar noch die Kontrolleure schikanieren?

Es verblüfft schon, dass die nächtlichen Bekenner von verstärkten Kontrollen in den Straßenbahnen berichten, die zum Jobcenter fahren. Entweder werden sie tatsächlich regelmäßig bei ihren Fahrten zum Jobcenter beim Schwarzfahren erwischt. Oder sie sind nur zu dieser Gelegenheit in der Straßenbahn unterwegs. Wer regelmäßig mit Bus und Bahn fährt, weiß, dass die Kontrolleure auch auf den seltsamsten Linien auftauchen, manchmal regelrecht geballt. Auf der Linie 7 genauso wie auf der Linie 70, in fröhlichen Straßenbahnhopping zwischen Linie 9, 2 und 12.

Dass immer mehr Leipziger sich die steigenden Fahrpreise in Bussen und Bahnen nicht mehr leisten können oder leisten wollen, darüber hat die L-IZ mehrfach berichtet. Auch über die vergeigte Chance, das Leipziger Verkehrsunternehmen wieder auf feste finanzielle Füße zu stellen, die der Leipziger Stadtrat eigentlich eingefordert hat. 2014 wollte er schon belastbare Vorschläge für die künftige Finanzierung der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) vorgelegt bekommen – und bekam stattdessen ein Gutachten, das alles bestätigt, was vorher schon diskutiert wurde.

Aber so gibt es auch mal die Premiere, dass sich der Verkehrsclub Deutschland (VCD), Landesverband Elbe-Saale, zu den seltsamen Weltsichten der nächtlichen Brandbeschleuniger äußert. Denn dem ÖPNV und den Fahrgästen helfen die zerstörten Fahrscheinautomaten und die seltsamen Aufforderungen im Bekennerschreiben überhaupt nicht. Denn das Thema muss politisch geklärt werden. Mit Gewalt ist noch nie etwas geklärt worden. Und einen Vorschlag zur Lösung des Problems haben die Bekenner auch nicht geliefert. Wäre ja mal was Neues gewesen.

Den Druck zur Änderung der Problemlage, den bauen andere auf, indem sie nämlich wie der VCD – mit Ökolöwe, Bund, Pro Bahn und teilauto zusammen –  losgehen und Unterschriften sammeln für eine Petition, die die handelnde Politik dazu bringen soll, den ÖPNV endlich wieder ordentlich zu finanzieren.

Laurenz Heine, Vorsitzender des VCD Elbe-Saale: “Wir vom VCD bedauern die Tariferhöhung des MDV zum 1. August sehr, da wir in den ersten Monaten dieses Jahres über 8.000 Unterschriften gegen die weitere Fahrpreisspirale gesammelt haben. Das darf aber kein Grund sein, Brandanschläge gegen die Fahrkartenautomaten zu verüben!”

Die Antwort auf die jährlichen Preisaufschläge könne nicht Gewalt sein, sagt Heine. Es müssten neue Ideen für die Finanzierung her.

Matthias Reichmuth, Ansprechpartner für die ÖPNV-Finanzierung beim VCD, führt dazu aus: “Auch wenn wir die Preiserhöhung noch nicht verhindern konnten, haben wir den kommunalen Politikern doch bewusst gemacht, dass die Fahrgäste weitere Preiserhöhungen nicht hinnehmen werden. Unser Vorschlag ist u.a. die indirekten Nutznießer des öffentlichen Nahverkehrs in die Finanzierung einzubeziehen. Dieser und weitere Ideen des VCD werden vom MDV inzwischen auch aufgegriffen. Was wir jetzt brauchen, ist der Mut der Politiker, auch über Grundsteuern, Parkgebühren und andere Quellen zur Sicherung der Nahverkehrs-Finanzierung nachzudenken.”

Vorsitzender Heine: “Mit der Reparatur oder gar Neuanschaffung der zerstörten Automaten werden jetzt nur die Kosten hochgetrieben. Die Brandanschläge sind
daher doppelt sinnlos.”

Was natürlich das Dilemma nicht klärt. Schon 2013 hatte der Kreistag des Landkreises Leipzig ein Tarifmoratorium beschlossen, das trotzdem nicht umgesetzt wurde, weil die Gesellschafter des Mitteldeutschen Verkehrsverbundes (MDV) keine Lösung gefunden haben. Stattdessen weisen die Landkreise und auch die Stadt Leipzig darauf hin, dass das vom MDV 2014 vorgelegte Gutachten nun Grundlage für eine Lösungssuche für 2016 sei, die eventuell 2017 umgesetzt würde.

Was natürlich Unfug ist. Denn die Diskussion um ein Fahrpreismoratorium von 2013 hat ja gezeigt, dass das Problem längst akut ist und viele ÖPNV-Nutzer längst finanziell überfordert. Schon 2014 waren die Stimmen zur nächsten geplanten Fahrpreiserhöhung deutlich lauter.

Laurenz Heine deutet es zu Recht an: Eigentlich können die Verantwortlichen 2016 nicht einfach so weitermachen. Sie können auch nicht bis 2017 mit Lösungsvorschlägen warten. Und sie können auch nicht immer nur auf die fehlende Finanzierung aus Dresden verweisen – obwohl es höchste Zeit wäre, dass sie ihren Parteigenossen in Dresden Beine machten. Nur: Davon hört man nichts.

Noch immer tun die wichtigsten Akteure so, als hätten sie noch ein paar Jahre Zeit und dann würde ihnen jemand eine Art Wunderfinanzierung zusammenzimmern.

Doch die Finanzierungen für 2016 müssen jetzt geklärt werden – mit schwerhörigen Verkehrsministern und mit den kommunalen Bedenkenträgern. Denn eines stimmt nun einmal: Die Fahrpreise steigen nicht wirklich in diesem Maß, weil Öl und Fahrpersonal so teuer geworden sind. Sie steigen so, weil derzeit allein die Fahrgäste die Mehrkosten tragen müssen.

Nur steigen die meisten dann lieber aus und um aufs Fahrrad und gehen dem ÖPNV verloren, als dass sie sich an Fahrkartenautomaten und Kontrolleuren vergreifen.

Denn mit einem hat der VCD recht: Mit diesem Fahrpreisauftrieb geht es nicht weiter. Die Schmerzgrenze ist erreicht.

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Über die Jahre gesehen, wurden immer mal Automaten gesprengt, ohne dass gleich von “Autonomen” die Rede war. Wird jetzt überhaupt in Erwägung gezogen, dass die Autoren des Bekennerschreibens sich nachträglich mit dieser Tat brüsten, sie aber gar nicht verübten? Der ÖPNV ist eigentlich kein typisches Thema von Autonomen…

Oder stellt diese konzertierte Gewaltaktion ein weiteres Rätsel dar wie die vor ein paar Wochen stattgehabte Randale nahe dem Johannapark?

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