Turbulent ging es zu am Mittwoch, 16. September, als der Leipziger Stadtrat den Antrag der Linksfraktion abschmetterte, die Linie 9 bis Markkleeberg zu erhalten. Selbst für die Beobachter auf den Rängen war spürbar, wie Oberbürgermeister Burkhard Jung Druck aufgebaut hatte. Als erste knickte die SPD-Fraktion ein, die ihren Änderungsantrag zurückzog.

Dass sich Franziska Riekewald, verkehrspolitische Sprecherin der Linksfraktion, nach der Abstimmung über das Kneifen von SPD und Grünen ärgerte, ist nachvollziehbar. Auch die Grünen hatten zuvor postuliert, sie wollten eine Lösung für den Erhalt der Linie 9 haben.  Und der SPD-Änderungsantrag hat den Linke-Vorstoß nur modifiziert.

Hier ist der SPD-Antrag noch einmal in Gänze:

“Beschluss: Der Beschlussvorschlag wird wie folgt geändert:

Die Straßenbahnlinie 9 wird auf dem Streckenabschnitt Connewitz Kreuz – Stadtgrenze, mindestens bis zur Haltestelle Wildpark, auch nach dem Fahrplanwechsel Ende November 2015 bis mindestens zur Beschlussfassung des fortzuschreibenden Nahverkehrsplanes weiter betrieben.

Begründung:

Um eine umsteigefreie Verbindung vom Leipziger Zentrum bis zum Wildpark bzw. bis zum Wohngebiet „Am Wolfswinkel“ und damit eine attraktive ÖPNV-Anbindung auch weiterhin zu ermöglichen, soll die derzeit durch die LVB-Tramlinie 9 bediente Streckenverbindung auch künftig erhalten bleiben. Damit ist auch weiterhin eine gute und attraktive ÖPNV-Verbindung im westlichen Teil von Connewitz, der in den vergangenen Jahren insbesondere viele Familien angezogen hat, gewährleistet.

Nach den erfolgten Beschlüssen der Stadt Markkleeberg und des Landkreises Leipzig ist eine Einkürzung der LVB-Tramlinie 9 zum Fahrplanwechsel Ende November 2015 offensichtlich unvermeidlich.

Eine Streckenführung der LVB-Tramlinie 9 ab Connewitzer Kreuz bis zur Wendeschleife Klemmstraße parallel mit der LVB-Tramlinie 11 bedeutet eine deutlich schlechtere Anbindung an den ÖPNV für viele Menschen in Connewitz, die westlich der Wofgang-Heinze-Straße beheimatet sind, für die Bewohner des Wohngebietes „Am Wolfswinkel“ sowie für viele Gäste des Wildparks.”

So weit die SPD.

Am Mittwoch hat sie dann – wider besseren Wissens – den eigenen Antrag zurückgezogen und gegen den der Linken gestimmt.

Da haben Leser durchaus Recht, wenn sie sagen: So macht sich Politik unglaubwürdig.

Und Verwaltungen machen sich unglaubwürdig, wenn sie tricksen. Den Verwaltungsstandpunkt zum Linke-Antrag gab es erst am Vortag, gespickt mit den Behauptungen und Zahlen, die OBM Burkhard Jung dann auch in der Ratsversammlung vorbrachte – die dann zwar heftig hinterfragt wurden. Als es ihm zu eng wurde, drohte Burkhard Jung mit finanziellen Konsequenzen: “Wenn eine Leistung nicht bestellt wird, tritt doch die eine Körperschaft nicht für die andere ein. Ich behalte mir vor, bei Beschluss diesem zu widersprechen. Wirtschaftlich ist er im Haushalt für 2016 nicht berücksichtigt.“

Doch was er nicht sagte: Mit der Einstellung der Linie 9 tritt schon eine Körperschaft für die andere ein. Denn die LVB bleibt ja auf den Kosten sitzen, auch wenn sie die Linie 70 anstelle der 9 betreibt.

250.000 Euro für fünf zusätzliche Busse

Dafür hat sie extra fünf Busse gekauft, wie Carsten Schulze vom Fahrgastverband Pro Bahn herausbekommen hat: 250.000 Euro hat sie dafür bezahlt. Die fünf Busse zusätzlich braucht sie, um künftig den Streckenabschnitt in Markkleeberg zu betreiben. Und das mit – wie vom MDV hochgerechnet – bis zu 25 Prozent weniger Fahrgästen plus wahrscheinlich noch einmal 30 Prozent weniger, weil eine Buslinie weniger attraktiv ist als eine Straßenbahn. Carsten Schulze hat aber einfach mal die 30 Prozent auf die bisherigen Fahrgäste gerechnet und kommt auf das Ergebnis: Die Strecke generiert künftig 300.000 Euro weniger an Fahrgasteinnahmen.

300.000 Euro weniger Einnahmen auf der künftigen Linie 70 in Markkleeberg

Heißt im Klartext: Die LVB haben die Betriebskosten für fünf zusätzliche Busse plus das zusätzliche Fahrpersonal – und sie werden dazu noch Einnahmeverluste in der Höhe von 300.000 Euro verbuchen müssen.

Indirekt finanzieren sie damit das verbesserte Stadtbusnetz in Markkleeberg. Der Landkreis Leipzig kann das Geld, das er bisher zum Betrieb der Linie 9 beigesteuert hat, in das Busnetz umleiten und damit seinen Kostenaufwand gleich halten, die Leipziger Verkehrsbetriebe verlieren.

Klammer auf: Gewinnen würden sie nur, wenn es ihnen gelingt, die Linie 70 so attraktiv zu machen, dass dabei sogar die bisherigen Fahrgastzahlen weiter gesteigert werden – auf mindestens 4.000 pro Tag.

Doch das sieht nicht mal die Planung des MDV vor.

Können die LVB mit der Einkürzung der Strecke eigentlich etwas gewinnen?

Nicht wirklich, hat Carsten Schulze mal durchgerechnet. Künftig fährt die Linie 9 ja dann zur Klemmstraße. Die Strecke ist etwas kürzer, also reichen statt der jetzt eingesetzten 12 Straßenbahnen auf Linie 9 auch 10. Fahrzeuge spart man nicht ein, denn die zwei zusätzlichen Fahrzeuge werden längst auf anderen stark frequentierten Strecken gebraucht. Zwei Fahrer weniger sind auf der Strecke unterwegs, die aber keine zusätzlichen Fahrgeldeinnahmen generiert, denn sie fährt auf derselben Strecke wie die Linie 11. Und wenn der Takt so bleibt, wie er jetzt ist, fahren die beiden Straßenbahnen in Connewitz meist hübsch hintereinander.

Und wie ist das mit den 10 oder 25 Millionen Euro, von denen Burkhard Jung als großer Steuermann des Stadtkonzerns gesprochen hat? Und von der nicht zu erwartenden Förderung bei der Modernisierung der Gleise in Markkleeberg?

Die Behauptung steht tatsächlich so in der Stellungnahme der Stadt, obwohl das Verhandeln von Fördergeldern sich praktisch jedes Jahr verändert. Wenn die Stadt dem Land eine Notwendigkeit für die Modernisierung der Trasse bieten kann, dann gibt es auch Fördergelder, erst recht, wenn die Modernisierung tatsächlich die Attraktivität der Strecke erhöht.

Denn die Strecke ist ja gar nicht attraktiv.

Es gibt auf dem ganzen Ast keine barrierefreie Haltestelle. Tatsächlich hat man hier in den vergangenen 25 Jahren alles beim Alten gelassen. Und seit 2009, seit die Manager im Leipziger Stadtkonzern immer öfter von der Einstellung der Linie 9 redeten, erst recht.

Übrigens auch das eine Falschbehauptung am Mittwoch: Der Stadtrat hat 2009 keine Einstellung der Linie 9 beschlossen. Das wollte nur der OBM. Der Stadtrat hat ihm eigentlich einen Prüfauftrag verpasst, dessen Ergebnisse bis heute nicht vorliegen.

25 Millionen Euro – das wären die Kosten für einen Gesamtneubau der Strecke bis zur Endhaltestelle der Linie 9 in Markkleeberg-West – was kein Mensch will. Die desolatesten Gleisabschnitte liegen alle südlich der Wendeschleife Parkstraße in Markkleeberg.

Wenn man nur das von der Linksfraktion beantragte Stück bis zur Wendeschleife betrachtet, kommt man in der Summe auf 10 Millionen Euro. Aber auch nur, wenn man das ganze Stück in einem Aufwasch baut. Was gar nicht nötig ist. Die Strecke kann auch stückweise saniert werden und ist gerade im Leipziger Teil noch gut befahrbar. Erstaunlicherweise hat man in Leipzig gelernt, lange Straßen lieber in Abschnitten zu sanieren (wie in der Georg-Schwarz-Straße oder der Georg-Schumann-Straße), warum sollte das ausgerechnet in der Koburger Straße nicht gehen?

Und ebenfalls von niemandem berechnet ist der Effekt, was passiert, wenn man den Gleisabschnitt von Connewitz bis zur Parkstraße tatsächlich modernisiert – mit barrierefreien Haltestellen (auch und erst recht am Wildpark) und zusätzlichen Haltestellen Am Wolfswinkel (zu Fuß zum Connewitzer See) und am S-Bahnhof Markkleeberg-Nord (dann sind es nämlich keine 500 Meter mehr bis zur S-Bahn, sondern nur noch 50).

Die Stellungnahme der Stadtverwaltung liest sich im Grunde wie eine komplette Denkverweigerung.

Die am Ende sogar heftige Mehrkosten für die LVB bedeutet. Denn sie muss ja nicht nur den Betrieb der Linie 70 nach Markkleeberg finanzieren, sondern auch den Betrieb der Linie 9 zur Klemmstraße. Das kann man irgendwie als “Attraktivitätssteigerung” für Connewitz verkaufen, wird aber vor allem dazu führen, dass die Leipziger den höheren Betriebskostenaufwand dann wieder als Fahrpreiserhöhung serviert bekommen.

Die nicht wirklich transparente Stellungnahme der Stadt.

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Es zeigt sich wieder einmal, dass der OBM überhaupt keine persönliche Agenda hat, die eine Signalwirkung hätte und mit der man ihn später “identifizieren” würde, so wie Herrn Tiefensee mit der Olympiabewerbung. Oder später Herrn Rosenthal mit der Wasserstadt Leipzig (obwohl Rosenthal “nur” ein Dezernent [hier: “Bürgermeister” ] ist).

Stattdessen ruiniert der OBM, der sich anscheinend nur als Verwaltungschef sieht, unter Anleitung von Partikularinteressen die Stadt Leipzig.

Ich wusste schon, warum ich ihn nicht gewählt habe.

Dass er nun ein solches Geschacher von jahrelanger Untätigkeit bis hin zur Androhung eines Vetos treibt in einer wichtigen Sache wie dem ÖPNV, halte ich für seine Position unwürdig. Er könnte ruhig über einen Rücktritt nachdenken.

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