Im Grunde war am 8. Oktober bei der Informationsveranstaltung im Neuen Rathaus das Wesentliche schon gesagt. Auch wenn es so spektakulär nicht klang, als der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Norman Volger, danach fragte, ob die Einstellung einer Straßenbahnstrecke in Leipzig nun beratungspflichtig sei oder nicht. Die klare Antwort von Michael Jana, Leiter des Verkehrs- und Tiefbauamtes der Stadt: Ja, ist sie.

Beratungspflichtig heißt: Wenn in der Stadt eine Straßenbahnlinie eingestellt werden soll, muss die Verwaltung dafür eine Vorlage an den Stadtrat erarbeiten, in der die Einstellung ausführlich begründet wird, die Ratsversammlung muss darüber mindestens einmal ausführlich beraten und er muss am Ende darüber abstimmen, ob die Linie eingestellt wird oder nicht. Und wie die Alternative aussehen soll.

Das soll jetzt zwar am 28. Oktober geschehen. Aber schon das Datum ist eine Herausforderung, denn einen wirklichen zeitlichen Spielraum, über die Vorlage zu diskutieren, hat der Stadtrat nicht. Tatsächlich sind sogar schon Tatsachen geschaffen worden, die eigentlich ohne Stadtratsbeschluss keine Grundlage haben: Schon am 28. November soll die Linie 9 auf dem Ast nach Markkleeberg durch Busse der Linie 70 ersetzt werden. Und die notwendigen Busse haben die Leipziger Verkehrsbetriebe schon im Sommer gekauft, zu einem Zeitpunkt, an dem es weder eine Ratsvorlage in Leipzig gab, noch eine Diskussion.

Wären nicht die LVB verpflichtet gewesen, da irgendwie aktiv zu werden?

Nein, so sei der politische Meinungsbildungsprozess nun mal nicht organisiert, bestätigt Marc Backhaus, Pressesprecher der LVB: “Das Verfahren zur Einbindung des Leipziger Stadtrates liegt in der Verantwortung der Stadtverwaltung. Die Vorlagen für den Stadtrat erstellen auch nicht die LVB, sondern die Verwaltung, die LVB agieren hier nur als Fachberater, wie in dem gesamten Prozess.”

Sechs Jahre für eine Leipziger Willensbildung wurden einfach verschenkt

Heißt im Klartext: Die Verwaltung hätte – entweder parallel zur Willensbildung im Landkreis Leipzig und in Markkleeberg – eine Vorlage für die Leipziger Stadträte erstellen müssen, die spätestes im Februar oder März hätte verteilt werden müssen. Denn die Kreisräte im Landkreis und die Stadträte in Markkleeberg hatten ihre Entscheidungsgrundlagen alle auf dem Tisch. Dort ging es um das neue Verkehrskonzept für Markkleeberg und den Beteiligten war klar, dass man die runde halbe Million Euro Zuschuss, die die LVB zum Betrieb der Linie 9 bekommen, dringend braucht, wenn man innerhalb Markkleebergs mehr Busse fahren lassen möchte.

Mit den LVB war man im Gespräch, denn tatsächlich wollte man auf die Strecke, die die Linie 9 bedient, nicht wirklich verzichten. Deswegen plante man dort von vornherein die Verlängerung der Buslinie 70 mit ein.

Aber wie gesagt: Das ist der Markkleeberger Teil. Und entsprechend grimmig kommentierte Norman Volger dann auch, dass die Stadtratsvorlage, die am 28. Oktober nun den Leipziger Teil behandeln soll, zur Hälfte nur vom Markkleeberger Verkehrskonzept handelt. Wo ist der Leipziger Teil, war die logische Frage.

Wo ist die Vorlage zum Leipziger Teilstück?

Und auch das wurde am 8. Oktober recht deutlich: Es gibt ihn eigentlich nicht. Es hat ihn auch niemand beauftragt. Es gibt keine Variantenuntersuchung mit Erhalt der Straßenbahn auf Leipziger Gebiet, auch keine Untersuchungen, wie das Teilstück zwischen Connewitz und Forsthaus Raschwitz aufgewertet werden könnte.

Warum nicht?

Die Antwort konnte am 8. Oktober nicht gegeben werden. Nur die erhellende Erkenntnis gab es, dass zumindest im Verkehrs- und Tiefbauamt niemand die Einstellung der Straßenbahnstrecke sinnvoll findet.

Deutlich wurde freilich: dass die Stadt nur noch Beschlüssen folgt, die andere getroffen haben – den Beschlüssen des Landkreises und der Stadt Markkleeberg aus dem Juni und dem Juli.

Tatsächlich hat Leipzigs Verwaltung damit sechs wertvolle Jahre verschenkt, denn 2009 wurde die Linie 9 zwischen Connewitz Kreuz und Markkleeberg letztmalig als Untersuchungsstrecke benannt. Und zwar nicht, weil sie miserable Fahrgastzahlen gehabt hätte, sondern weil man annahm, sie könnte mit der Inbetriebnahme des S-Bahn-Netzes deutliche Fahrgastrückgänge verzeichnen, so dass sich der Betrieb nicht mehr rechnet. 2009 war hingegen das Teilstück zwischen Bayrischem Bahnhof und Connewitz Kreuz als Untersuchungsstrecke aufgehoben worden, weil hier im Gegenteil eine Aufhebung des Straßenbahnbetriebs teurer geworden wäre.

Welche Fahrgastzahlen wurden gezählt?

Weil aber nicht wirklich darüber diskutiert wurde, ab wann man den Betrieb der Linie 9 für unrentabel hält, stehen jetzt die Zahlen im Raum, wie sie am 8. Oktober publik gemacht wurden, Marc Backhaus: “In der Bürgerinformationsveranstaltung war die Entwicklung der Fahrgastzahlen im Vergleich der 1. Quartale 2012 und 2014 dargestellt; die Zahlen sind durchschnittliche tägliche Einsteiger an einem Werktag (Mo-Fr) in Fahrtrichtung Stadtmitte. Als Vergleichsjahr wurde 2012 gewählt, da 2013 wegen der vorbereitenden Arbeiten zur MDSB besondere Bauzustände bei der S-Bahn und beim S-Bahn-Ersatzverkehr in Markkleeberg herrschten. Die Vergleichsbasis bilden die Zählungen aus dem automatischen Fahrgastzählsystem jeweils im ersten Quartal (Q1).”

Zur Erinnerung: In der Endphase der netzergänzenden Maßnahmen rund um den City-Tunnel wurde der Bahnverkehr vom Hauptbahnhof nach Markkleeberg über die Umleitung Plagwitz / Kleinzschocher geführt. Um Reisenden nach Markkleeberg diesen Umweg zu ersparen, fuhren die LVB Ersatzverkehr mit einer verlängerten Buslinie 70. Deswegen ging nicht das Jahr 2013 in die Zählung ein, sondern das Jahr 2012.

Da die Strecke aber 2009 wieder als Untersuchungsstrecke benannt wurde, wollten wir gern auch die Fahrgastzahlen für dieses Jahr haben. Aber die gibt es leider nicht. Marc Backhaus: “Für das Jahr 2009 haben wir keine Auswertung mit exakt derselben Methodik ad hoc verfügbar, so dass wir kein hundertprozentiges Matching zu den 2009er-Daten anbieten können.”

Auf Leipziger Gebiet gab es keinen Fahrgastrückgang

Bleiben also die Zahlen für 2012 und 2014 als Vergleichszahlen für die ersten Quartale, jeweils Durchschnittswerte. Nur dass die bisher immer wieder genannten Werte von 25 Prozent Fahrgastrückgang vor allem für das Markkleeberger Gebiet gelten. Im Leipziger Teil der Strecke haben sich die Fahrgastzahlen sogar leicht erhöht, so dass am Connewitzer Kreuz dann noch ein durchschnittlicher Fahrgastrückgang von 19 Prozent registriert wurde.

“Zu interpretieren ist das wie folgt”, erklärt Marc Backhaus noch: “Die Zahl der Einsteiger ist der Zahl der betroffenen Fahrgäste gleichzusetzen; geht man davon aus, dass jeder Einsteiger auch wieder zurückfährt, haben Sie in der Gegenrichtung (also Fahrtrichtung Markkleeberg-West) eine entsprechend hohe Zahl an Aussteigern.”

Die Einsteigerzahlen sind konkret im Abschnitt südlich des Connewitzer Kreuzes von 2.738 pro Werktag im 1. Quartal 2012 auf 2.248 pro Werktag im 1. Quartal 2014 gesunken. “Im 1. Quartal 2015 waren es 2.302 Einsteiger pro Werktag”, teilt Marc Backhaus mit, womit sich der Fahrgastverlust im Bereich Connewitz auf rund 16 Prozent reduziert hat. Was verständlich ist, denn Berührung mit dem S-Bahn-Netz hat die Linie 9 nur zwei Mal in Markkleeberg – in Markkleeberg-Mitte und in Markkleeberg-Nord. Auf Leipziger Gebiet hat die Strecke keine S-Bahn-Berührung, sie ist also für die Anwohner im Einzugsbereich das Hauptverkehrsmittel.

In der Diskussion am 8. Oktober wurde auch gesagt, der Einzugsbereich in Connewitz sei nicht wirklich ein wahrnehmbares Wachstumsgebiet. Was so schlicht falsch ist. Auch wenn man dort keine großen Bauvorhaben sieht, verdichtet sich der Stadtteil immer mehr. Hatte Connewitz im Jahr 2012 noch 17.679 Einwohner, waren es im Folgejahr schon 17.971 und 2014 schon 18.177. Dass die Fahrgastzahlen da gerade auf Connewitzer Gebiet sichtlich anstiegen, ist logisch.

Gründe also genug, dass über die Zukunft dieses Streckenabschnitts irgendwann in den zurückliegenden sechs Jahren im Stadtrat hätte diskutiert werden müssen. Aber genau das ist nicht passiert. Und zu Recht fühlten sich etliche Stadträte auch am 8. Oktober überrumpelt und hatten das dumme Gefühl, dass irgendjemand in der Verwaltung entweder komplett geschlafen hat oder schlichtweg keine Diskussion über die Zukunft dieser Teilstrecke wollte.

Natürlich haben wir auch noch einmal nach den möglichen Kosten gefragt.

Mehr dazu gleich an dieser Stelle.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Es gibt 2 Kommentare

Bei den diversen Ein- und Umsteigerzahlen, die in einem der letzten Absätze breit wie Quark getreten werden und trotzdem vermutlich nicht valide sind aufgrund einer immer noch ziemlich grobmotorischen Messmethodik, fehlt jeder Vergleich mit anderen Außenästen. Die Schwankungsbreiten, mit denen gearbeitet wird, dürften erheblich sein; gut möglich, dass 100 Fahrgäste im statistischen Rauschen untergehen. Und so weiter, und so fort.
Als Signal wird nur genommen, dass es einen vordergründige Rückgang gibt. Es wird nicht verglichen, ob auf anderen Außenästen oder im gesamten Netz es einen Rückgang gab. (Den es gab!)

Die LVB wären gut beraten, sich mit ihren Fahrgastzahlen nicht noch länger zu blamieren.

>die LVB agieren hier nur als Fachberater, wie in dem gesamten Prozess

Da muss ich ja mal breit grinsen. “Fachberater”. In Wirklichkeit haben die LVB neben ihrer Unterminierung ihrer eigenen Betriebsmittel einfach nur schnöde Lobbyarbeit betrieben durch Aufbauschen und Rückhaltung von Sachinformationen. Dass Stadtverwaltung und Stadtrat keine Ahnung vom ÖPNV und speziell vom Leipziger Stadtverkehr haben, ist ein äußerst günstiger Faktor.

Schreiben Sie einen Kommentar