Leserclub3,9 Kilometer bis Clara-Zetkin-Park. Das las sich wie ein kleiner Stadtparcours mit gut geharkten Wegen. Aber Pustekuchen ist. Auch wenn das nächste Wegstück direkt am Elsterbecken hübsch asphaltiert ist. Auch das ist im Zuge der Hochwasserschutzmaßnahmen der Landestalsperrenverwaltung (LTV) passiert. Rechterhand hat sie ein Mäuerchen gebaut, damit das Wasser mal nicht ins Klärwerk laufen kann.

Wenn es hier mal zu hoch ankommt. Die Gefahr droht immer wieder. Auch von der anderen Seite, wie wir inzwischen wissen: Auch ein Hochwasser der Parthe könnte die großen, rührigen Klärbecken des Klärwerks gefährden. Immerhin liegt es am tiefsten Punkt der Stadt. Und bei Hochwasser wird in der Regel das Palmgartenwehr aufgerissen und die Wassermassen stürzen ins Elsterbecken.

Heute sind sie friedlich. Es geht nicht mal ein Hauch. Und so glatt wie das Elsterbecken kurz vor der Landauerbrücke liegt, kann man sich gut vorstellen, dass hier mal Ruderwettkämpfe stattfinden sollten. Das war ja bekanntlich auch zur Leipziger Olympiabewerbung für das Jahr 2012 mal wieder so in der Überlegung. Mit großen Überbauten über das Elsterbecken. Dazu kam es ja bekanntlich nicht.

Lang genug ist das Becken für solche Wettkämpfe: 2.650 Meter. Nur das mit der veranschlagten Tiefe von 1,50 Meter auf der ganzen Länge hat so nicht funktioniert. Denn wenn die Wasser der Weißen Elster über das Palmgartenwehr gestürzt sind, verlieren sie an Schwung – und an Transportmaterial.

Ein Paradies für Schwemminseln: Krähe am Elsterbecken mit Palmgartenwehr im Hintergrund. Foto: Ralf Julke
Ein Paradies für Schwemminseln: Krähe am Elsterbecken mit Palmgartenwehr im Hintergrund. Foto: Ralf Julke

Innerhalb weniger Tage bilden sich Schwemminseln, die von der Landestalsperrenverwaltung jedes Jahr aufs Neue teuer abgesaugt werden müssen. Freilich nicht für irgendeine Art Bootsverkehr – eher selten sieht man hier mal ein kühnes Schlauchboot kreuzen. Aber um die Durchlassfähigkeit des Beckens einigermaßen zu erhalten. Was selbst in der Stadtverwaltung längst die Erkenntnis hat reifen lassen: den teuren Spaß kann man sich eigentlich nicht leisten. Die Weiße Elster braucht wieder einen Fluss. So dass es zumindest die Vereinbarung mit der LTV gibt, die Alte Elster irgendwann wieder zu öffnen. Die war zwar auch eine künstlich begradigte Elster, zweigte hinterm Schreberbad nach Norden ab und kürzte damit ihre ursprünglichen Mäander, die tief ins heutige Waldstraßenviertel reichten, ab. Aber sie nahm ihr Schwemmgut wenigstens mit – so, wie das jeder natürliche Fluss tut.

Es sei denn, er ist zum Kanal begradigt wie die Neue Luppe, dann fräst er sich sogar in den Untergrund und lässt erst recht nichts liegen.

Da ist also bei den großen Flussregulierungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts einiges schiefgegangen.

Das Elsterbecken ist übrigens 1913 bis 1917 gebaut worden. Man könnte den 100. Geburtstag im nächsten Jahr also mit einer Art Schlammparty feiern. Was sich freilich verbietet. Den Grund sieht, wer ab und zu mal durch die Bäume schaut aufs Elsterbecken: Hier tummelt sich die Wasservogelwelt. Und siehe da: Das Elsterbecken ist Vogelschutzgebiet.

Die eher primitive Straßenquerung an der Landauerbrücke. Foto: Ralf Julke
Die eher primitive Straßenquerung an der Landauerbrücke. Foto: Ralf Julke

Wir fahren wirklich die kompletten 2,6 Kilometer immer an diesem Becken entlang. Aber erst einmal müssen wie an der Landauerbrücke, die früher mal Hindenburgbrücke hieß nach dem völlig vergreisten Feldmarschall, der Hitler zum Reichskanzler gemacht hat, über die Straße. Logisch, dass die Leipziger ihm 1945, nachdem Hitlers idiotischer Krieg zu Ende war, die Brücke wegnahmen und sie nach dem 1919 ermordeten Gustav Landauer benannten, Schriftsteller und Mitglied der bayerischen Räterepublik. Ein bisschen Revolution muss sein. Seit ein paar Jahren gibt es an der Straße Am Sportforum, die hier in die Hans-Driesch-Straße nach Leutzsch übergeht, wenigstens eine Querungsinsel, sonst stünde man noch viel öfter da und würde vom Rasen besoffenen Autofahrern zugucken, wie sie es genießen, hier ungebremst durchzurauschen.

Eigentlich ist das eine Stelle, die nach einer sinnvollen Brückenunterquerung schreit. Denn hier merkt man spätestens, dass der Elsterfernradweg im Stadtinneren eine stark befahrene Route ist, weil es die einzige verlässliche Radverbindung außerhalb des autodominierten Straßennetzes ist, die von West nach Ost die ganze Stadt durchquert. Hat man die Querung an der Landauerbrücke lebend und ohne Achsbruch hinter sich gebracht (denn für Radfahrer hat man nicht wirklich eine barrierefreie Querung hingekriegt), dann ist man auf der Schnellpiste am Sportforum, auf der man zumindest in früher Stunde auch noch hört, welcher Vogelreichtum hier zwitschert, keckert, pfeift und lästert. Man muss trotzdem aufpassen, weil der Asphalt an mehreren Stellen aufgerissen oder löcherig ist.

Das Planetensystem am Elsterbecken. Foto: Ralf Julke
Das Planetensystem am Elsterbecken. Foto: Ralf Julke

Es ist tatsächlich so: Je mehr man sich dem Stadtinneren nähert, umso schlechter wird der Elsterradweg. Man sollte trotzdem nicht rasen. Sonst verpasst man diese seltsamen Betonklötzer auf der Westseite des Weges. Die stammen noch aus einer Zeit, als auch Leipziger Lehrer noch die Träume der Weltraumfahrt und die Schönheit der Astronomie vermittelten. Denn den kleinen blanken Kugeln auf den Sockeln (einige sind von dummen Zeitgenossen verschmiert worden) zeigen – um ein Vielfaches im Maßstab verknappt – die Entfernungen der Planeten von der Sonne. Jeder pfiffige Astronomielehrer versucht es seinen Schülern irgendwie zu zeigen, was für gewaltige Entfernungen da schon allein in unserem Planetensystem zu überwinden sind. Dazu reicht, wenn er mit Sonne, Merkur und Venus angefangen hat, in der Regel bald der Klassenraum, die Schule und der Schulhof nicht mehr aus. Man wanderte also in diesen frühen kosmonautischen Zeiten ans Elsterbecken und ließ die Kinder selbst erleben, wie weit es bis zum Mars, zum Jupiter und zum Saturn ist.

Das steht leider auch nicht dran. So beginnt Vergesslichkeit: mit Ignoranz.

Was man nicht sehen kann, weil es unter Grün und Asphaltweg verschwunden ist, ist das einst hier gelegene Flussbad. Kaum zu glauben, aber wahr: Bevor die großen Industriekomplexe im Kohle-und-Teer-Revier die Weiße Elster und die Pleiße in Kloaken verwandelten, haben die Leipziger in ihren Flüssen gebadet. Auch hier im Elsterbecken. Stadtnah, kostenlos.

Da darf man dann entsprechend verwundert unter der Zeppelinbrücke durchfahren, auf der hier die Jahnallee den Elsterradweg überquert. Meistens hört man, wenn man drunter durchfährt, oben die Straßenbahn drüberbrummen. Und muss auf der anderen Seite aufpassen. Nicht weil hier der nie vollendete Richard-Wagner-Hain beginnt, sondern weil die 1933 hingeschmissenen Platten für das geplante Richard-Wagner-National-Denkmal sich wölben und biegen, manche auch zerbrochen sind. Wie eben ein überflüssiger Appellplatz nach 80 Jahren aussieht, ohne dass jemals jemand die Mühe auf sich genommen hat, die Dinger zu beseitigen und einen belastbaren Weg zu bauen. Denn das Geschüttel hört ja auch nicht nach den Platten auf. Im Gegenteil. Hier sind tiefe Löcher ausgefahren und der blanke Schotter liegt da.

So stellt man sich nicht unbedingt einen Radweg in einer Großstadt vor.

Aber es soll ja zumindest am anderen Ende des Richard-Wagner-Hains endlich etwas passieren. Kurzes Zwischenfazit: Seit der Gundorfer Linie haben wir schon sechs Höhenmeter überwunden. Und jetzt kommt tatsächlich der erste Buckel auf der Strecke. Wer vorher Kraft tanken will, stellt sich am Verkaufswägelchen von „Zierlich Manierlich“ an. Dumm nur: Um diese frühe Morgenstunde hat das auch noch nicht geöffnet.

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