Am Mittwoch, 3. August, hat das Regierungskabinett in Berlin den Bundesverkehrswegeplan beschlossen. Damit sind die Weichen wieder gestellt für die großen Verkehrsprojekte der nächsten Jahre. Was nicht unterm vordringlichen Bedarf gelandet ist, wird vor 2030 weder finanziert noch gebaut. Aber wer ist eigentlich schuld daran, dass Sachsen seine wichtigsten Schienenprojekte nicht dort unterbringen konnte?

Das Gesamtvolumen des BVWP 2030 beträgt rund 269,6 Milliarden Euro. 42,8 Milliarden fließen in die Abfinanzierung von Projekten, die schon im Bau sind. 141,6 Milliarden fließen in Bestandserhalt. Das ist in dieser Größenordnung ein neuer Wert. Die Zeit, dass man mit neuen Großprojekten die Gelder abfassen konnte, ist vorbei. Längst steht der Erhalt dessen, was in den vergangenen 60 Jahren gebaut wurde, ganz oben auf der Hausaufgabenliste.

Trotzdem steckt allein das Straßenbauprogramm noch immer voller neuer Ausbauten und Umfahrungen. Der sächsische Bundestagsabgeordnete Stephan Kühn (Grüne) schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.

„Die schwarz-rote Bundesregierung lässt Sachsen am langen Arm verhungern. Kein sächsisches Bahnprojekt hat es in den ‚vordringlichen Bedarf‘ des Bundesverkehrswegeplans geschafft“, stöhnt er. „Als ob es den UN-Klimagipfel in Paris nie gegeben hätte, wird die Schiene – anders als immer behauptet – weiter nachrangig behandelt und es bleiben zahlreiche sächsische Städte vom Fernverkehr abgehangen. Den Anforderungen an zukunftsfähige Verkehrspolitik genügt das Machwerk von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) nicht.“

Kein Saft für die Strecke Leipzig – Chemnitz

Sachsen hat drei große Schienenprojekte angemeldet: ganz dringend die Elektrifizierung der Strecke Dresden Görlitz und weiter nach Cottbus. Genauso dringend: die Elektrifizierung der Strecke Leipzig – Chemnitz. Sie ist nicht durchgekommen. Vielleicht auch, weil Sachsen gleich ein Mega-Projekt mit in die Anmeldung gedrückt hat: die Neubaustrecke Dresden – Prag.

Am Ende blieben alle drei Projekte in der Liste „Vorhaben des potentiellen Bedarfs“ stecken. Das heißt: Sie könnten nachrutschen, wenn auf der genehmigten Liste des „Vordringlichen Bedarfs“ ein Platz frei wird.

Aber irgendwie war im Bundesverkehrsministerium nicht vermittelbar, wie wichtig die Schienenverbindungen für sächsische Großstädte sind.

„Obwohl die Schienenprojekte bereits vor zwei Jahren in Berlin eingereicht wurden, war Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) bis heute nicht in der Lage, diese wie vorgesehen fachlich zu bewerten“, kritisiert Stephan Kühn den Bundesminister, der augenscheinlich die tragende Rolle des Schienenverkehrs überhaupt nicht versteht. „Bei den über 100 sächsischen Straßenprojekten war das allerdings kein Problem. Während zahlreiche Ortsumfahrungen mit zweifelhaften verkehrlichem Nutzen ‚vordringlich‘ sind, müssen die sächsischen Schienenprojekte – Elektrifizierung Dresden-Görlitz, Görlitz-Cottbus und Chemnitz-Leipzig – als sogenannter ‚potentieller Bedarf‘ eine Ehrenrunde mit völlig offenem Ausgang drehen.“

Was kann man tun?

In Vorleistung gehen, findet Kühn. „Dass die Bahnstrecke Chemnitz-Leipzig in den ‚potentiellen Bedarf‘ aufgenommen und nicht ganz rausgeflogen ist, sollte vom sächsischen Verkehrsminister Martin Dulig (SPD) zum Anlass genommen werden, die auf Eis gelegten Planungen wieder aufzunehmen. So kann dem wichtigen sächsischen Vorhaben mehr Nachdruck verliehen und die verloren gegangene Planungszeit wieder aufgeholt werden.“

Schienenprojekte ohne Bewertung, Bürgerbeteiligung nur als Alibi

Zwar sei mit der Einordnung in den „potentiellen Bedarf“ keines der Projekte formal aus dem Rennen, aber die Umsetzung verschiebe sich auf den Sankt-Nimmerleinstag. Ein Grund dafür – und das ist für den voreiligen Bundesverkehrsminister peinlich genug: Die Bewertung der Schienenprojekte soll frühestens im nächsten Jahr abgeschlossen werden.

Und dann kommt Kühn auf das Feigenblättchen zu sprechen, mit dem diesmal die Diskussion um die Projekte versehen war: „Der überarbeitete Bundesverkehrswegeplan zeigt ebenso, dass die Bürgerbeteiligung eine reine Alibiveranstaltung war. Über 39.000 Stellungnahmen wurden von Bürgerinnen und Bürgern sowie Verbänden abgegeben – davon zahlreiche auch aus Sachsen. Dass nur 10 Wochen nach Ende der Beteiligungsfrist die Regierung bereits den neuen Entwurf beschließt, lässt den Schluss zu, dass sich Verkehrsminister Dobrindt nicht ernsthaft mit den Einwendungen auseinandergesetzt hat“, sagt Kühn. Es war genau das, was Bürger immer öfter daran zweifeln lässt, ob Politiker überhaupt noch bereit sind, Transparenz herzustellen und einen Dialog auf Augenhöhe zuzulassen.

„Korrekturen am Bundesverkehrswegeplan können jetzt nur noch die Bundestagsabgeordneten vornehmen, wenn im Herbst über die aus dem Verkehrswegeplan abgeleiteten Schienen- und Fernstraßenausbaugesetze abgestimmt wird. Bis dahin müssen die sächsischen Abgeordneten ihre Kolleginnen und Kollegen überzeugen, dass die Bahnprojekte aus Sachsen in den ‚vordringlichen Bedarf‘ gehören“, so Kühn.

Und was sagt seine Kollegin im sächsischen Landtag dazu?

Sachsen sollte mitfinanzieren

Es ist gut, dass gegenüber dem ersten Entwurf des BVWP die Elektrifizierung von Chemnitz nach Leipzig nun im Plan berücksichtigt ist. Ebenso wie die Elektrifizierung der Strecke Dresden – Görlitz ist sie aber nur in der schwächsten Kategorie ‚Potentieller Bedarf‘  eingeordnet. Darum sehe ich keinen Anlass für ausgelassenen Jubel“, sagt Katja Meier, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. „Jetzt muss sich beweisen, dass diese Einordnung mehr als eine Gesichtswahrung für Bundes- und Landesregierung ist. In der Sache ist noch nichts gewonnen. Das jahrelange Trauerspiel um den Ausbau der Strecke Berlin – Dresden sollte uns Sachsen dabei eine Warnung sein. Jetzt heißt es für Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD), der Deutsche Bahn AG (DB AG) freundlich, aber bestimmt auf die Zehen zu treten. Die sächsische Staatsregierung muss sich mit dem aktuellen Fernverkehrskonzept der Bahn auseinandersetzen und die ablehnende Haltung der DB AG zum Streckenausbau Chemnitz – Leipzig ändern. Chemnitz und Südwestsachsen brauchen endlich einen Fernverkehrsanschluss.“

Sie schlägt – um die Chancen der Elektrifizierung der Strecken Dresden – Görlitz sowie Chemnitz – Leipzig zu erhöhen – sogar eine Mitfinanzierung vor, die die Staatsregierung dem Bund anbieten solle.

„Warum sollte beim Bahnverkehr in Sachsen nicht möglich sein, was der Freistaat beim Neubau der Autobahn A72 mit über 50 Millionen Euro schon getan hat. Auch die Länder Schleswig-Holstein, Bayern und Baden-Württemberg haben in der Vergangenheit Bahnprojekte schon mitfinanziert bzw. praktizieren dies aktuell“, sagt sie. „Im Landeshaushalt 2016 sind 4 Millionen Euro für Planungsleistungen zur Elektrifizierung der Strecke Chemnitz – Leipzig eingestellt. Ich erwarte, dass dieses Geld nach Einordnung des Projekts in den BVWP nun tatsächlich für die Planung ausgegeben wird.“

Ganz unschuldig sei die sächsische Regierung an dem Gemähre nicht, findet sie.

Ortsumfahrungen wichtiger als Zugverbindungen?
 
“Die Haltung ‚Abwarten und Hoffen‘ verbietet sich von selbst. Wirtschaftsminister Martin Dulig darf aber nicht nur nach Berlin schielen, sondern muss die von seinen Vorgängern sträflich verschlafenen Hausaufgaben machen und mehr Fahrgäste für den Bahnverkehr in der dicht bewohnten Region Südwestsachsens gewinnen. Mehr Fahrgäste und eine sächsische Mitfinanzierung sind zwei starke Argumente für die Realisierung der Projekte. Ziel muss sowohl für Dresden – Görlitz als auch für Chemnitz – Leipzig eine zügige Planfeststellung sein.“

Und auch sie fragt sich, ob im Bundesverkehrsministerium nur Autofahrer sitzen. Das Ergebnis legt es nahe.

„Im Straßenbau wurden einige geplante Ortsumfahrungen eine Kategorie aus dem ‚Weiteren Bedarf‘ in den ‚Vordringlichen Bedarf‘ hochgestuft. Die zur Verfügung stehenden Finanzmittel reichen nach bisheriger Erfahrung nicht einmal für die Projekte des sogenannten ‚Vordringlichen Bedarfs‘ aus. Die 19 sächsischen Straßenprojekte, die in die Kategorie ‚Weiterer Bedarf‘ eingeordnet wurden, haben überhaupt keine Chance, bis zum Jahr 2030 angegangen zu werden. In der Periode des bisherigen Bundesverkehrswegeplans im Zeitraum 2003 bis 2015 ist nicht ein einziges sächsisches Projekt aus dieser Kategorie realisiert worden. Selbst von den sächsischen Straßenprojekten aus der Kategorie ‚Vordringlicher Bedarf‘ wurde die Hälfte nicht gebaut“, stellt sie fest.

So steckt auch noch das 300-Millionen-Projekt B87 neu in der Wünsch-dir-was-Liste des „Weiteren Bedarf“. Also reine Zukunftsmusik und vor 2030 nicht mal denkbar. Die Chance, dieses Projekt auf den tatsächlichen Bedarf einzudampfen und damit auch bezahlbar zu machen, wurde vertan.

„Wir brauchen eine neue Ehrlichkeit in der Verkehrspolitik des Freistaats. Nun muss es darum gehen, sich von den unrealistischen Träumen zu verabschieden. Der Grundsatz ‚Erhalt vor Neubau‘ sollte auch in Sachsens Verkehrspolitik zur Prämisse werden. Ich ermuntere den Wirtschaftsminister, den betroffenen Kommunen Unterstützung für machbare verkehrsberuhigende und lärmmindernde Maßnahmen anzubieten“, sagt Katja Meier. „Dass auf die Kritik von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sowie dem Umweltbundesamt (UBA), dass dieser BVWP nicht zur Umsetzung wichtiger umwelt- und vor allem klimapolitischer Ziele beiträgt, keine grundlegende Überarbeitung folgte, macht deutlich, dass weiter eine Verkehrspolitik von gestern praktiziert wird. Eine Investitionsquote von 60 Prozent der Mittel für die Schiene wäre der richtige Schritt. Doch davon sind wir meilenweit entfernt.“

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