Die lange diskutierte Abwrackprämie für Pkw war dann zum Glück nicht mehr Bestandteil des am 3. Juni bekannt gegebenen Konjunkturpakets der Bundesregierung. Da dürften auch die Autor/-innen eines Positionspapiers der Friedrich-Ebert-Stiftung aufgeatmet haben, die schon befürchteten, dass nun wieder Milliarden in den Verbrenner investiert werden, die dringend für eine richtige Mobilitätswende gebraucht werden. Den Corona-Shutdown hatten sie zur Gelegenheit genommen, dieses Papier zu verfassen.

Denn der Shutdown machte nicht nur sichtbar, wie wichtig der Radverkehr in den Städten ist als wirklich ernstzunehmende und saubere Alternative sowohl zum Auto als auch zum ÖPNV. Aber auch der ÖPNV zeigte seine Stärken, auch wenn das in vielen Medien gar nicht so klang, wo man eher – gleich wieder mit sehr autoverliebten Tönen – das Ende der Gemeinschaftsmobilität sang. Denn es stimmt ja: Auch Bahnen und Busse leerten sich mit Verkündung der Shutdown-Verfügungen, erst recht, weil auch Schulen und Kitas schlossen.

Aber die Nutzer stiegen eben nicht aufs Auto um, auch wenn das immer wieder so behauptet wurde. Im Gegenteil: Die leeren Züge machten erst einmal deutlich, wie viele Menschen in normalen Zeiten im Pendlerverkehr jeden Tag unterwegs sind. Und oft gar nicht anders vom Wohnort zur Arbeit kommen als mit Zug, Bus oder Straßenbahn. Würden sie auch noch das Auto nehmen, würden gerade westdeutsche Großstädte regelrecht im Stau ersticken.

Die ÖPNV-Unternehmen dünnten die Fahrpläne aus. Auch weil sie natürlich durch den Shutdown Erlöseinbußen hatten.

Das ist die eine Facette des Bildes, das das FES-Positionspapier zeichnet: „Der ÖPNV hat in den vergangenen Wochen drei Viertel seiner Fahrgäste verloren. Die Gründe dafür liegen zunächst in den verfügten Kontaktbeschränkungen. Der Schülerverkehr fiel praktisch völlig aus, und viele Menschen fuhren nicht zur Arbeit. Freizeitaktivitäten waren fast unmöglich, Fahrten zum Einkaufen etc. nur in geringem Maße nötig bzw. erforderlich. Durch den Rückgang der Fahrgastzahlen werden bundesweit nach Berechnungen des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und anderer Verbände rund 5–7 Milliarden Euro an Fahrgeldeinnahmen für 2020 fehlen.“

Die andere Seite war auch ein massiver Rückgang des Pkw-Verkehrs. „Die Wege im MIV gingen in den Wochen der harten Beschränkungen zum Teil um 50 Prozent zurück. Wer nicht zur Arbeit fährt und keine Freizeitaktivitäten durchführen kann, lässt den Pkw eben öfter stehen. Gerade bei dieser Personengruppe macht sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die Möglichkeit zum Arbeiten im Homeoffice bemerkbar.

Bereits seit Mitte Mai und mit den ersten Lockerungen des Shutdowns ist aber zu verzeichnen, dass der MIV wieder spürbar zulegt. Viele Arbeitgeber/-innen und auch die Medien verstärken diese Tendenz durch die Erzählung von der ,Renaissance des Pkw‘, der jetzt seine Stärke zeige, weil man sich alleine in seinem privaten Auto eben nicht anstecken kann.“

Aber diese Erzählung stimmt so nicht.

Denn das Image des Automobils war schon vor Ausbruch der Coronakrise angeknackst. Die sinkenden Zulassungszahlen im März und April gehen auch auf die Entwicklung vor Corona zurück: „Derweil sind die Absatzzahlen im Automobilbereich deutlich gesunken. Waren bereits im ersten Quartal – und daher ohne Corona als eindeutigem Grund – 20 Prozent weniger Pkw in Deutschland zugelassen worden, sanken die Zulassungen im April sogar um 60 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Reflexartig fordert die Automobilindustrie jetzt u. a. Kaufprämien von der Bundesregierung, will aber gleichzeitig an Dividendenausschüttungen festhalten.“

Diese Kaufprämien („Abwrackprämien“) aber sind nun doch nicht Bestandteil des Konjunkturpakets geworden.

Möglicherweise auch, weil die Forderungen der Auto-Manager schlicht überzogen waren und auch von den Verhandlungsparteien als ziemlich dreist empfunden wurden, weil die Angebotspalette einiger dieser Riesenkonzerne ganz und gar nicht den EU-Vorgaben entspricht. Gerade der Dauer-Skandal-Konzern VW hat bis heute keine E-Auto-Flotte im Angebot.

Und der Klimawandel ist weiter in vollem Gang, Deutschland weit davon entfernt, seine Klimaschutzziele zu erreichen, auch wenn der Corona-Shutdown das 2020 vielleicht noch geradeso möglich macht. Aber das ist witzlos, wenn nach Corona einfach alles so weiterläuft wie zuvor.

Und so warnen mehrere Verkehrsexpert/-innen in dem Positionspapier der AG „Sozialdemokratische Verkehrspolitik“ der Friedrich-Ebert-Stiftung: eine Rückkehr zum verkehrspolitischen business-as-usual darf es nach Corona nicht geben. Die Eindämmung des Coronavirus führt zu Kollateralschäden im Mobilitätssektor. Während sich der PKW-Verkehr schnell wieder erholen dürfte, hat ausgerechnet der ÖPNV mit langwierigen Auswirkungen zu kämpfen. Die Verkehrswende droht auf den Kopf gestellt zu werden!

Die zentrale Forderung: Den ÖPNV stärken

Gerade in der Krise habe der ÖPNV seine soziale Funktion besonders unter Beweis gestellt, indem er für viele Menschen den zuverlässigen Weg zum Arbeitsplatz, zum Arzt oder zum Einkaufen sichern konnte. Unverantwortlich deshalb die Verunsicherung, die in Teilen der Medien, aber auch durch einige Politiker wegen einer angeblich erhöhten Ansteckungsgefahr im ÖPNV geschürt wurde.

Die Warnungen seien der Versuch einiger Interessengruppen, für eine Renaissance des Pkw zu werben. Der Pkw ist aber nicht Teil der Lösung für Klimakrise und Verkehrskollaps in den Städten, sondern steht im Zentrum des Problems und einer sozialen und nachhaltigen Mobilität im Weg, stellen die Autoren in ihrem Positionspapier fest.

Deshalb sei es wichtig, auf eine Kaufprämie für Pkw mit Verbrennungsmotoren zu verzichten, stattdessen ÖPNV, Rad- und Fußverkehr zu fördern und die Umverteilung des öffentlichen Raums in den Städten zugunsten dieser umweltfreundlichen Verkehrsmittel zügig voranzutreiben. Gerade die deutliche Verbesserung der Luftqualität, die Reduzierung von Lärmbelästigung und der wahrscheinliche Rückgang von Verkehrsopfern in den vergangenen Wochen haben gezeigt, wie segensreich eine Reduzierung des Pkw-Verkehrs wirken kann. Diese positiven Effekte müssen nach der akuten Coronakrise durch die richtigen verkehrspolitischen Entscheidungen verstetigt und verstärkt werden.

Das Papier „Mit oder ohne Corona: Mobilitätswende – weiter geht’s“ stellt eine Reihe kurz- und mittelfristiger Forderungen auf, damit die Mobilitätswende trotz Corona-Pandemie im verkehrspolitischen Fokus bleibt und insbesondere die soziale Funktion des ÖPNV gesichert wird.

Andererseits ist ÖPNV Länder- und Kommunalangelegenheit. Und einige Städte haben den Shutdown bekanntlich genutzt, schon ein paar Weichen zu einer faireren Raumaufteilung auf den Straßen zu stellen.

Selbst Leipzig hat zwei kleine Verbesserungen hinbekommen (am Connewitzer Kreuz und auf der Zeppelinbrücke).

Andererseits hat Leipzig die Verkehrswende auch längst mit Stadtratsbeschlüssen unterfüttert. Stichwort: „Nachhaltigkeitsszenario“. Noch fehlen die konkreten Schritte, wie vor allem die LVB ihren Teil an diesem Szenario umsetzen wollen. Aber die Richtung ist klar: dichtere Takte, mehr Fahrzeuge und auch neue Verbindungen.

Offen ist noch das Radverkehrsentwicklungskonzept, das aber, wenn man OBM Burkhard Jung ernst nimmt, noch in diesem Jahr vorgestellt werden soll. Anders als es die Autofahrer-Versteher einiger großer Zeitungen glauben, ist die Art der Mobilitätswahl der Deutschen keine Glaubenssache. Sie wägen sehr wohl ab, welche Art Mobilität sie wirklich brauchen. Gerade für jüngere Großstadtmenschen ist das Auto auch kein Prestigeobjekt mehr.

Der Appell des FES-Positionspapiers ist trotzdem wichtig, denn ohne von Bund und Länder gut finanzierter Investitionsprogramme werden es die Kommunen allein auch nicht schaffen. So gesehen ist das Papier auch eine Mahnung an die Regierung, sich von den deutschen Automanagern, die die Antriebswende in ihren Unternehmen so gründlich vergeigt haben, nicht unter Druck bringen zu lassen.

Antrag der AfD-Fraktion zur Aufhebung der Leipziger Umweltzone macht nicht mal aus Gesundheitsgründen Sinn

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