Anfang Oktober sorgte ein eingestürztes Haus in der Rosa-Luxemburg-Straße für Verkehrschaos im Leipziger Osten. Vor allem Menschen, die auf die Straßenbahn angewiesen sind, mussten mehrere Tage lang mit dem Fahrrad oder zu Fuß ihre Wege bestreiten. Die Probleme waren nach knapp einer Woche behoben. Doch was ist mit den Menschen, für die Bus- und Bahnfahren immer eine Herausforderung ist? Inwiefern engagiert sich die Stadt Leipzig im Bereich der Mobilität für Teilhabe?

Gunter Jähnig, Geschäftsführer des Behindertenverbandes Leipzig, findet eine klare Antwort: „In den letzten 30 Jahren hat sich für Menschen mit Behinderung sehr viel getan. Dass Leipzig bis 2022 eine komplett behindertengerechte Stadt wird, wie es im Teilhabeprozess angestrebt wurde, sehe ich jedoch nicht.“ Mit den verfügbaren Haushaltsmitteln baut Leipzig jährlich bis zu 20 Haltestellen barrierefrei aus. Außerdem sorgen gesonderte Taster mit einem Rollstuhl-Symbol dafür, dass Fahrzeugtüren länger geöffnet bleiben und auch die Fahrkartenautomaten werden nach und nach für mobilitätseingeschränkte Menschen angepasst. Hinzu kommen LVB-Angebote wie ein Begleitdienst, ein sogenanntes Mobilitätstraining und das Anruflinientaxi ALITA, das zum MDV-Tarif fährt.

Mit einem Schwerbehindertenausweis können zudem sogenannte Nachteilsausgleiche in Anspruch genommen werden: beispielsweise eine unentgeltliche Beförderung im ÖPNV, die BahnCard zum ermäßigten Preis oder die kostenfreie Mitnahme einer Begleitperson. Auch der Gebäudenavigator der Stadt ist ein hilfreiches Tool, das über Zugänge und Barrieren von über 2.600 Gebäuden informiert. Konkret geht es dabei um Eingangsbereich, Aufzüge, Toiletten und Behindertenparkplätze.

Trotzdem gibt es laut Jähnig noch einige Baustellen – im wahrsten Sinne des Wortes: „An vielen S-Bahn-Haltestellen mangelt es an Aufzügen.“ So gibt es in Markkleeberg noch keinen Aufzug für Menschen mit Gehbehinderung, bei der Messe sind zwei im Neubau und einer defekt.

Dadurch müssen die Betroffenen teilweise eine Station zurückfahren, umsteigen und wieder zur gewünschten Endhaltestelle fahren, um auf einem Gleis mit Aufzug anzukommen. Das größte Problem, so Jähnig, sind hierbei die fehlenden Informationen. Hinweise der LVB zu defekten oder im Bau befindlichen Aufzügen könnten solche Umwege verhindern.

Während die Stadt in ihrer Mobilitätsstrategie vor allem Gehbehinderungen mitbedenkt, müssen aber auch hör- und sehgeschädigte Menschen sowie solche mit geistigen Behinderungen stärker in den Fokus geraten.

Der Ausbau der Lichtsignalanlagen für blinde Personen, akustische Informationen in den Fahrzeugen der LVB sowie das Blindenleitsystem in der Stadt und die Blindenpunkte an Haltestellen sind erste Schritte. Dennoch müssen Hinweise rund um den ÖPNV immer sowohl akustisch als auch optisch aufbereitet sowie in einfacher Sprache formuliert werden, erklärt Jähnig.

Doch nicht nur körperliche Einschränkungen können in Sachen Mobilität zum Hindernis werden: Seit Jahren steigen die ÖPNV-Preise und für viele Menschen wird die tägliche Busfahrt zur finanziellen Mehrbelastung. Laut dem Sozialamt der Stadt Leipzig wurde hierfür die Leipzig-Pass-Mobilcard eingeführt. Sie ist Teil des Leipzig-Passes, der Einwohner/-innen mit geringem Einkommen eine kostengünstige Nutzung von kulturellen und sportlichen Aktivitäten und Einrichtungen ermöglicht.

Mit der Mobilcard kostet ein Monatsticket 35 Euro. Die Leipziger Bahnhofsmission heißt diese Entwicklung im Teilhabeprozess willkommen, weist aber darauf hin, dass ihre Klient/-innen trotz dieses Angebotes oft weniger mobil sind als der Durchschnitt: „Auch die 35 Euro für eine Monatskarte sind ein Beitrag, den sich viele nicht leisten können. Hinzu kommt, dass die Übernachtungshäuser für Männer und Frauen ja auch weit von der Innenstadt entfernt sind, sodass man quasi gezwungen ist, Bahn zu fahren.“

Ebenfalls auf die Bahn angewiesen sind oftmals Pendler/-innen. Zwar sind umliegende Gemeinden wie Grimma, Delitzsch und Wurzen laut eigener Aussagen gut angebunden. Ein Problem wäre da jedoch: Die Stadt Grimma gibt an, dass im Umfeld des Bahnhofs nicht genügend Park-and-Ride-Plätze vorhanden sind. Und auch die Stadt Wurzen muss nach eigenen Angaben aufrüsten, was vor allem kostenlose Parkplätze angeht.

„Das Grundproblem dabei ist aber die Funktionstrennung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit in räumlich weit voneinander entfernten Orten“, kommentiert der Leipziger Ökolöwe den Umwelteinfluss des Pendelns. Städte müssten dafür sorgen, dass Wohnen, Arbeiten und Freizeit stärker am jeweiligen Lebensmittelpunkt vereint werden können, um die Autonutzung zu minimieren.

In Leipzig sei das trotz aller Lippenbekenntnisse aber nicht der Fall: „Da werden zum Beispiel monofunktionale Eigenheimsiedlungen im Südraum ausgerollt und im Norden werden die großen monofunktionalen Gewerbegebiete wie eine Perlenschnur entlang der Autobahn aufgereiht.“

„Stadt für alle oder Stadt für einige: Wie Menschen mit Behinderungen, niedrigem Einkommen oder langen Arbeitswegen in Leipzig vorankommen“ erschien erstmals am 29. Oktober 2021 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 96 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

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