Fluggesellschaften müssen Passagiere bei Streik des Bodenpersonals am Startflughafen unter Umständen entschädigen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Flug abgesagt wurde, weil nicht alle Fluggäste das Gate streikbedingt rechtzeitig erreicht haben. Dies hat der Bundesgerichtshof entschieden.

Rechtsstreitigkeiten rund um Entschädigungsansprüche nach der Fluggastrechteverordnung der EU sind ein Dauerbrenner in Karlsruhe. Fluggäste haben bei Flügen, die innerhalb der EU starten oder landen, bei Verspätung ab drei Stunden Anspruch auf eine Entschädigung zwischen 125 und 600 Euro. Die Höhe hängt von der gebuchten Strecke ab. Viele Passagiere verkaufen ihre Ansprüche oder treten sie zur Durchsetzung an Inkasso-Dienstleister ab, die den Gang vor Gericht nicht scheuen. Deshalb haben sich die Gerichte seit Jahren mit Fragen rund um Entschädigungsansprüche auseinanderzusetzen.

Diesmal hatten der Kläger und seine Ehefrau für den 9. Februar 2015 einen Flug von Hamburg nach Lanzarote gebucht. Dort kam das Paar nicht an. Die Airline hatte den Flug kurzfristig annulliert, weil an dem Tag die Personenkontrollen am Hamburger Flughafen bestreikt wurden. Im Gegensatz zu anderen Passagieren erreichten die Eheleute rechtzeitig das Gate.

Die Fluggesellschaft argumentierte bei Gericht, die Annullierung sei auf außergewöhnliche Umstände zurückgegangen, weil von den massiven Störungen im Bereich vor den Kontrollstellen auch zahlreiche Passagiere des Flugs nach Lanzarote betroffen gewesen seien, die nicht rechtzeitig hätten kontrolliert werden können. Außerdem habe ein Sicherheitsrisiko bestanden. Der wachsende Andrang an den geöffneten Kontrollpunkten habe die Gefahr begründet, dass die Passagierkontrollen nicht mit der gewöhnlichen Sorgfalt durchgeführt würden.

Hatte die Klage in der Berufungsinstanz noch Erfolg, wies sie der Bundesgerichtshof zurück. Zwar erkannte der X. Zivilsenat an, dass ein Streik des Kontrollpersonals grundsätzlich geeignet sei, außergewöhnliche Umstände zu begründen, die ein Luftverkehrsunternehmen von der Verpflichtung zur Leistung einer Entschädigung befreien können. Dies setze nach der Fluggastrechteverordnung voraus, dass sich die Folgen des Ausstands nicht mit zumutbaren Maßnahmen abwenden lassen und diese Folgen die Absage des Flugs notwendig machen.

Die Airline sei aber nicht allein deshalb zur Annullierung gezwungen gewesen, weil zahlreiche Passagiere des gebuchten Flugs die Sicherheitskontrollen nicht rechtzeitig haben passieren können. Dass streikbedingt kein einziger Fluggast den Flug zum vorgesehenen Zeitpunkt hätte wahrnehmen können, hatte das Berufungsgericht nämlich nicht festgestellt.

Die Annullierung ist nach Ansicht der Karlsruher Richter auch nicht deswegen auf außergewöhnliche Umstände zurückgegangen, weil die abstrakte Gefahr bestanden habe, dass die Überprüfung der Fluggäste wegen des starken Andrangs nicht mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt worden sein könnte. Die Kontrolle der Fluggäste und ihres Gepäcks auf Gefahren sei Sache der zuständigen Luftsicherheitsbehörde und der zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben bestellten Personen. Jedenfalls ohne tatsächliche Anhaltspunkte für ein konkretes Sicherheitsrisiko könne ein Luftverkehrsunternehmen die Annullierung eines Flugs daher nicht mit Sicherheitsbedenken rechtfertigen.

BGH, Urt. v. 4. September 2018 – X ZR 111/17

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