Es kam gar nicht gut an, als mit den beginnenden Haushaltsverhandlungen in der Regierungskoalition auf einmal Forderungen zu Kürzungen im Sozialbereich aufkamen. Das würde zum Beispiel auch die Finanzierung der 15 Schuldnerberatungsstellen der AWO betreffen. Und das in einer Zeit, wo – coronabedingt – deutlich mehr Sachsen in Einkommensprobleme und Finanzierungsschwierigkeiten rutschen. Menschen, für die niemand streikt. Machtlose Menschen.

In Sachsen driften die Einkommen schon seit längerem immer deutlicher auseinander. Und schon vor Corona war die Lage höchst prekär, steckten Tausende in Schuldenbergen, die sie nicht mehr abbezahlt bekamen, und die auch keine Chance hatten, sie künftig abzutragen. Denn der Niedriglohnbereich ist in Sachsen wie in ganz Deutschland wie festgemauert. Diese Menschen bleiben arm – auch mit Arbeit.

Sie haben auch nicht Teil an den von Gewerkschaften erstreikten Lohnzuwächsen, weil sie zumeist in prekären Jobs weitab jeglicher Tarifbindung tätig sind. Meist sind sie auch die ersten, die in einer Krise gefeuert werden und wieder beim Jobcenter landen. Und nie reicht das Geld, um Rücklagen zu bilden oder gar für Ernstfälle vorzusorgen, wo auf einmal größere Ausgaben dringend nötig sind.

Sie sind die ersten, die von Stromsperren und Kündigung betroffen sind.

Und oft ist der Weg zur Schuldnerberatung der einzige Ausweg, irgendwie aus den Schuldennöten herauszukommen.

So etwas ist gemeint, wenn in Sachsen von sozial geredet werden sollte.

Doch seit Jahren ist bekannt, dass der Bedarf nach Schuldnerberatung die Möglichkeiten in den Beratungsstellen bei weitem übersteigt. Nur 15 Prozent der betroffenen Haushalte haben Zugang zu einer kostenfreien Schuldnerberatung. Corona wird diesen Effekt noch einmal dramatisch verstärken, warnt der AWO Landesverbands Sachsen.

Durch die Pandemie haben sich wirtschaftliche Turbulenzen, unter anderem für Kleinunternehmer, Kulturschaffende und Gastgewerbe verschärft. Hinzu kommt, dass viele Arbeitnehmer/-innen Kurzarbeitergeld erhalten haben, was in vielen Haushalten langfristig zu einer Unterfinanzierung führt. Vielen Betroffenen droht zudem der Verlust der Wohnung.

Wozu die AWO extra anmerkt: „Der Gesetzgeber hat in der Coronakrise ein – gut gemeintes – Kündigungsverbot bei Mietschulden von bis zu drei Monaten eingerichtet. Wer diesem Gedanken gefolgt ist und mangels Einkommen tatsächlich seine Miete statt weniger existenzielle Zahlungen ausgesetzt hat, tappt jetzt in die Falle. Nicht alle Vermieter wollen oder können langfristige Raten ermöglichen. In Dresden gibt es derzeit ca. 40 bis 50 Räumungen im Monat.“

Die vielfältigen Auswirkungen der Pandemie kommen nun in den Beratungsstellen langsam zum Tragen, teilt die AWO mit, ein Anstieg der Fallzahlen ist zu verzeichnen. Erschwerend dazu käme, dass sich coronabedingt der Zeitaufwand pro Beratungsfall deutlich erhöht hat – durch Hygieneauflagen, bürokratischen Mehraufwand und alternative Beratungsformen bei Klient/-innen, die zur Risikogruppe gehören.

„Die Wartezeit auf einen Ersttermin hat sich von etwa zwei auf bis zu vier Wochen erhöht“, berichten unter anderem die Beratungsstellen der AWO Vogtland. Dieser Trend werde sich höchstwahrscheinlich noch weiter fortsetzen. Was dann bedeuten würde, dass Menschen, die sich in existenzieller Not und oftmals sozialer Isolation befinden, wochenlang nicht wissen, wie es für sie weitergehen soll. Aus Sicht der AWO ein unhaltbarer und gefährlicher Zustand.

Ein weiterer finanzieller Mehrbedarf ergebe sich aus dem gestiegenen Bedarf an Onlineberatungen. Die Beratungsstellen seien darauf aber zum großen Teil nicht vorbereitet, es fehle unter anderem an technischen Ressourcen und Hardware.

Doch der aktuelle Haushaltsentwurf lasse keine adäquate Reaktion auf den gestiegenen Bedarf erkennen. Im Gegenteil: Die verstärkt nachgefragte Verbraucherinsolvenzberatung soll besonders stark gekürzt werden, kritisiert die AWO: „Wieder einmal wird der Kampf um finanzielle Verteilung auf den Rücken derjenigen ausgetragen, die von der Krise ohnehin schon stark betroffen sind. Aus Sicht der AWO ist das unverantwortlich. Wir fordern hier ein rigoroses Umlenken und die finanzielle Sicherstellung der Mittel für die nächsten Jahre. Nach einer gemeinsam mit der Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege erarbeiteten Modellrechnung wäre sogar eine Verdopplung des Beratungsangebots notwendig, um den Zugang zur kostenfreien Schuldnerberatung für alle betroffenen Haushalte zu gewährleisten.“

In Sachsen gibt es 15 Beratungsstellen für Schuldner- und Insolvenzberatung der AWO sowie eine Schuldner- und Insolvenzberatung in der Justizvollzugsanstalt.

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