Zum Glück gibt es Archive, in denen der Nachlass großer Fotografen gesammelt werden kann. Und das 20. Jahrhundert war reich an großen Fotografen. Doch nicht immer fanden und finden ihre Glasplatten, Filme und Abzüge den Weg ins Archiv. Viel zu vieles geht verloren. Und umso schöner sind dann Wiederentdeckungen, die dann auch mal echte Neuentdeckungen sein können - wie hier mit Konrad Hoffmeister.

Freunde der großen Fotobände aus dem Lehmstedt Verlag sind dem Mann schon in den beiden 2014 erschienenen Bänden “Das pure Leben” begegnet, zwei Bände, die einmal in geballter Fülle zeigten, was für eine Bildervielfalt es über das Leben in der DDR jenseits der offiziösen Pressefotografie gab. Die vertretenen Fotografinnen und Fotografen waren zumeist nicht nur im Alleinauftrag unterwegs oder arbeiteten für die wenigen hochwertigen Magazine, in denen es Freiräume für unabhängige Fotografie gab, sie orientierten sich zumeist auch an den großen europäischen Vertretern der modernen Dokumentarfotografie.

Auch Hoffmeister tat es, und seine Lebensgeschichte steht eigentlich exemplarisch für den schroffen Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit, der in den frühen Jahren der DDR sichtbar wurde. Nach einer Fotoausbildung an der Fachschule für angewandte Kunst in Magdeburg war er von 1953 bis 1956 Lehrbeauftragter an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee. Er war auch Mitglied der SED – eher ungewollt, denn 1945 war er – nach seinen Kriegserfahrungen – Mitglied der SPD geworden und damit dann später in die SED übernommen worden. Bis 1956 hielt er das aus. Nur zur Erinnerung: Das war die heiße Zeit des Stalinismus in der DDR. Und gerade in der Zeit um den Ungarnaufstand 1956 herum verschärften sich die Parteiverfahren, wurden abweichende Meinungen rigide gemaßregelt, die Betroffenen gedemütigt. Eine Praxis, die Hoffmeister nicht mehr gewillt war zu ertragen. Er trat aus der allmächtigen Partei aus und war damit auch gleich noch seinen Job an der Hochschule los.

Er machte sich selbstständig und war die nächsten Jahre als Pressefotograf ein gefragter Mann. Und im Eigenauftrag war er gleichzeitig in beiden Teilen Berlins unterwegs, um das Leben in der Stadt, die sich gerade von den Folgen des Krieges erholte, abzulichten. Aber die späten 1950er waren auch gleichzeitig durch die spürbare Verschärfung der Konfrontation der Siegermächte geprägt und Berlin war mittendrin im vor allem medial geführten Kalten Krieg. Das ist der Grund, warum Herausgeber Mathias Bertram den Titel so gesetzt hat: “Von Panik keine Spur”. Was schon ein schöner Aufhänger zum Nachdenken ist: Wie entsteht eigentlich mediale Panik?

Dass diese zwischen 1958 und 1961 in Berlin grassierte, zeigen allein schon die Zeitungstitel, die immer wieder in Hoffmeisters Fotos geraten. Die sozialistischen Parteiblätter im Osten hatten verbal genauso aufgerüstet wie die Boulevardtitel im Westen. Was aber auch wichtig ist, es einfach wieder wahrzunehmen, denn heute wird der Mauerbau von 1961 gern nur innenpolitisch interpretiert, weil Walter Ulbricht damit den weiteren Verlust wichtiger Arbeitskräfte an den Westen, also ein Ausbluten der DDR, verhindern wollte.

Dass aber die sich verschärfende Krise zwischen Ost und West und insbesondere das Kräftemessen um die Enklave / Exklave West-Berlin dabei eine entscheidende Rolle spielten, wird immer öfter einfach ausgeblendet. Auch so kann man Geschichte verfälschen. Und auch eine falsche Atmosphäre suggerieren und falsche politische Wetterlagen malen.

Dass die Bewohner Berlins nun nach Jahren des Hungers, des Darbens, Aufräumens und Wiederaufbaus endlich wieder ihr Leben leben wollten – wer will ihnen das verdenken? Und irgendwann schalten die meisten Menschen ab, wenn sie merken, dass Politiker in ihrer Hysterie nicht zu bremsen sind. Dann gibt es zwar noch immer die armen Schweine, die für den politischen Klamauk ihre Köpfe hinhalten müssen – auch die hat Konrad Hoffmeister ins Bild geholt – aber wirklich froh, bissig und “zukunftsgewiss” sehen die Soldaten der NVA, die Hoffmeister am 1. Mai 1960 fotografiert hat, nicht gerade aus. Ein Tag übrigens, der in diesem Band eine besondere Stellung einnimmt, denn Hoffmeister hat auch die Maikundgebungen in den Westsektoren fotografiert mit ihren pompösen Forderungen nach Freiheit und dem Fahnenschwingen der Vertriebenenverbände. Auch das gehörte zum durchaus ernst gemeinten politischen Klamauk dieser Zeit.

Und es wirkt dann schon erfrischend, wenn Hoffmeister dabei im Gedränge auch noch den beliebten regierenden Bürgermeister von Westberlin ins Bild bekommt: Der hieß damals Willy Brandt.

Sichtbar wird natürlich sowohl an der Werbung als auch in der Kleidung, wie die beiden Teile Berlins schon deutlich auseinander drifteten. Der Westen beschäftigte sich mit Soraya und dem Fall Nitribit, der Osten mit Chrustschows Berlin-Besuch. Zumindest wenn man den Zeitungstiteln glauben darf – was man ja nicht unbedingt sollte. Denn das Leben ging weiter. Für Ostbesucher gab’s den Kinobesuch im neuesten Bogart-Film zum Kurs 1:1, auch wenn die Wechselstuben mittlerweile 1:4 umtauschten. Und die Jugendlichen versuchten hüben wie drüben ihre Lebenslust in den neuesten Trends aus dem Wesen auszuleben.

Konrad Hoffmeister hat das abgelichtet, was es in den großen Zeitungen des Landes nicht zu sehen gab: das Leben der Menschen. Fast hätte ich geschrieben: der “einfachen” Menschen. Was ja Quatsch ist. Nur weil Menschen keine Stars oder Politiker sind, hören sie ja nicht auf, spannende, beeindruckende Menschen zu sein. Egal, ob fröhliche Bierkutscher, Hofmusiker, Altstoffsammler oder junge Leute, die die Coolness, die sie in Hollywood-Filmen gesehen haben, nun auf dem Volksfest oder dem Berliner Weihnachtsmarkt demonstrieren. Sie genießen das Leben, albern herum oder halten verträumt den Porzellanelefanten aus der Losbude im Arm.

Hoffmeister scheint Berlin genauso mit seiner Kamera durchstreift zu haben wie später Bernd Heyden oder Arno Fischer, mit demselben neugierigen Blick auf die Menschen im öffentlichen Raum – Lesende auf den Bänken im Friedrichshain, Spaziergänger im Park von Sanssouci, Wartende auf der Schönhauser Allee, manchmal ins Gespräch vertieft, manchmal in Eile. Und immer wieder rücken die Berliner Kinder ins Bild, denen die großen, breiten Straßen fast allein gehören. Autos sieht man kaum, dafür viele Fahrräder, Handwagen und immer wieder Menschen, die Möbel schleppen. Wo die Autos fehlen, muss angepackt werden.

Man sieht den jungen Rolf Ludwig und die junge Eva-Maria Hagen. Kinders, wie die Zeit vergeht, raunt es beim Umblättern. Und auch damals muss es in Berlin so ein Gefühl gegeben haben. Die unsanierten Hauswände mit den Einschusslöchern kontrastieren heftig mit den Bildern abendlicher Bars und Tanzcafés. Und weil Hoffmeister nichts arrangierte, sondern die Momente punktgenau einfing, wirken viele Fotos so, als könnten sie unverhofft in Farbe wechseln und die Szene einfach weitergehen wie im Film.

Mathias Bertram geht im Vorwort auch darauf ein, warum Hoffmeister mit diesen frühen Bildern nicht stärker an die Öffentlichkeit gegangen ist, so, wie es jüngere Fotografen aus dem Osten nach 1990 taten, weil das Interesse an dieser Sicht auf das irdische Leben in der DDR riesengroß war. Aber irgendwie scheint er diese Aufmerksamkeit nicht gesucht zu haben. Wirklich aufgearbeitet wurde sein Bildarchiv mit den keineswegs sortierten Filmen aus den 1950er Jahren erst in der Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte (bkp), die zur Stiftung Preußischer Kulturbesitz gehört und wohin Hoffmeisters Archiv nach seinem Tod 2007 kam. Die Aufarbeitung war eine Detektivarbeit für die Beteiligten.

Aber das Ergebnis ist eine unübersehbare Bereicherung für die mittlerweile vorliegenden Berlin-Fotobände anderer Fotografen, von denen etliche auch bei Lehmstedt erschienen sind. Sie füllen eine empfundene Lücke und wirken trotzdem so, als wäre der Fotograf eben gerade von seinem Streifzug zurückgekehrt. Er ist ja auch nicht losgegangen, um Panik einzufangen. Wo hätte er sie auch finden sollen? Vieles, was wir heute als unsere Geschichte betrachten, war nie mehr als politische Inszenierung und Stimmungsmache. Darum hat sich auch damals anscheinend kaum einer gekümmert, weil die kleinen Sorgen und Besorgungen des Alltags alle Aufmerksamkeit verlangten. Auch Hoffmeister musste extra losziehen, um die sichtbaren Zeichen der geteilten Stadt zu finden und zu fotografieren. Doch gerade das sind die trostlosesten Bilder in diesem Band. Es schaudert einen, erst recht, wenn man weiß, dass schon wieder eitle Männer in Europa neue Grenzregime errichten. Es gibt genug Grund zur Panik. Aber eines ist recht klar, wenn man den Band zuschlägt: Da lebt man doch lieber, schiebt Kinderwagen, tanzt auf dem Volksfest, schießt Blumen auf dem Rummel oder legt sich mit Kofferheule an den Badestrand und träumt von der großen weiten Welt. Grenzenlos bitte.

Konrad Hoffmeister Von Panik keine Spur, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2015, 29,90 Euro.

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