Am 16. Dezember diskutierte der Leipziger Stadtrat im Online-Meinungsaustausch auch über eine nun fast schon zur Gewohnheit gewordene Vorlage der Stadtverwaltung: die unterjährig entstandenen Mehrkosten für die „Hilfen zur Erziehung“, die so im Haushaltsplan nicht erwartet worden waren. Diesmal waren es fast 37 Millionen Euro.

Es wurde zwar heftig und teilweise auch etwas härter. Aber die Frage klären, warum in Leipzig die Fallzahlen in der Jugendhilfe immerfort weiter steigen und damit auch die Kosten aus dem Ruder laufen, konnte die Debatte nicht. Eher schossen sich die CDU-Redner/-innen lieber auf den Grünen-Stadtrat Michael Schmidt ein und warfen ihm vor, eine Personaldebatte angefacht zu haben.

Dabei geht es schon lange um Personal und Strukturen. Denn über eines ist sich der Jugendhilfeausschuss seit Jahren klar: Dass die Strukturen im alten Dezernat Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule schlicht nicht zu durchschauen waren, zu unübersichtlich, zu verschachtelt und wahrscheinlich auch viel zu groß.

Weshalb ja schon im Frühjahr eine logische Entscheidung fiel: Dieses Mega-Dezernat in zwei Dezernate aufzuteilen. Schon viel früher hatte der Stadtrat selbst die Reißleine gezogen und den zuständigen Ausschuss teilen lassen, weil ein Ausschuss allein mit dem Berg der sozialen Aufgaben zeitlich völlig überfordert wurde.

Und just am Mittwoch, 16. Dezember, als die Stadträt/-innen im Chat mit OBM Burkhard Jung debattierten, ging Vicky Felthaus, die neue Bürgermeisterin im neu formatierten Dezernat Jugend, Schule und Demokratie, den nächsten logischen Schritt.

„Aus eins wird zwei: Ab 2021 gibt es ein Amt für Schule und ein Amt für Jugend und Familie“, meldete ihr Dezernat. „Mit Jahresbeginn wird es ein Amt für Schule in Leipzig geben. Dabei werden Aufgaben, die die Stadt Leipzig als Schulträger erfüllt, in einem Amt gebündelt. Das Amt für Schule wird unter anderem die Bereiche Schulträgeraufgaben, Schulbau und Digitalisierung der Schulen bearbeiten.“

Vicky Felthaus selbst dazu: „Insbesondere die Digitalisierung ist eine vordringliche Herausforderung, an der wir gezielt und mit Hochdruck arbeiten. Schülerinnen und Schüler benötigen eine zuverlässige digitale Infrastruktur für zeitgemäßes Lernen und den Abruf von Informationen, wie wir es gerade wieder mit der Schließung der Schulen erleben“, meint Bürgermeisterin für Jugend, Schule und Demokratie, Vicki Felthaus.

Die Leistungen eines Jugendamtes (Unterhaltsvorschuss, Elterngeld, Allgemeiner Sozialdienst sowie die Kindertagesstätten etc.) werden ab 1. Januar 2021 im Amt für Jugend und Familie erbracht.

Was ja schon die erste Personalie zur Folge hat: Es braucht mindestens eine/n neue/n Amtsleiter/-in.

Aber die Grünen hatten ja schon länger auch die Vermutung, dass auch die Strukturen gerade im Bereich „Hilfen zur Erziehung“ unübersichtlich und nicht den Bedürfnissen entsprechend sind. Da war die CDU nicht ganz so einsam, wie es CDU-Stadtrat Karsten Albrecht erklärte. Immerhin verwies er selbst auf das schon vor sechs Jahren installierte Controlling, das augenscheinlich nicht geholfen hat, die Kosten in den Griff zu bekommen.

Ein Hauptgrund dafür ist möglicherweise, dass viel zu viele Kinder und Jugendliche in der wirklich teuren stationären Betreuung landen, während die Arbeit im präventiven Vorfeld – so klang es zumindest in der Online-Debatte an – wenig strukturiert und koordiniert wirkt.

Womit sich übrigens nicht nur ein Grünen-Antrag beschäftigt, den die Grünen am 3. Dezember ins Verfahren gegeben haben (der jetzt freilich noch nicht zur Abstimmung steht): „Hilfen zur Erziehung und dessen Entwicklung in Leipzig – Personelles, strukturelles und prozessuales Entwicklungskonzept erarbeiten und Veränderungsprozesse einleiten“.

Wer ihn liest merkt, dass es vor allem um eine Prüfung der Strukturen geht, nicht um konkrete Personalien.

Und einig waren sich die Stadträt/-innen eigentlich alle in der Einschätzung, dass die Zahlen längst viel zu stark aus dem Ruder gelaufen sind und man noch früher hätte handeln müssen. Und dass aus den zuständigen Ämtern bislang eher ausweichende Antworten kamen, wie CDU-Stadträtin Jessica Heller zitiert: „Soziale Arbeit ist nicht messbar.“ Was sie aus ihrer Arbeit im Gesundheitswesen anders kennt: Man kann zwar nicht alles messen, aber man kann Abläufe so klar strukturieren und absprechen, dass Jugendliche in problematischen Verhältnissen nicht einfach durchs Raster fallen, wenn die Betreuung wechselt. Und auch da waren sich alle einig: Die beste Hilfe wirkt als Prävention in den betroffenen Familien. Wenn die Kinder erst aus den Familien genommen werden müssen, ist es erstens meist zu spät und wird zweitens erst richtig teuer.

Über die Frage hat sich übrigens auch die Linksfraktion Gedanken gemacht, die ihrerseits einen umfassenden Antrag „Hilfen zur Erziehung ganzheitlich gestalten: Familie in den Blick nehmen und Kinder & Jugendliche beteiligen!“ formuliert hat. Auch der wird erst im nächsten Jahr zur Abstimmung kommen.

Und wer es nicht glaubt, der findet im Ratsinformationssystem sogar schon eine Vorlage des Dezernats Jugend, Schule und Demokratie selbst zur „Integrierten Kinder- und Jugendhilfeplanung der Stadt Leipzig“. Und hier ist auch schon die wissenschaftliche Begleitung dieser Planung eingeschrieben. Die Grünen haben also nicht über irgendwelche Phantasiegebilde geredet – der Prozess, die Jugendhilfe endlich transparenter zu machen, ist längst im Gang und wird von Bürgermeisterin Vicky Felthaus selbst vorangetrieben.

Was natürlich an der jetzt notwendigen Vorlage nichts ändert, denn die knapp 37 Millionen Euro sind ja 2020 schon ausgegeben. Das Geld muss die Stadt so oder so bereitstellen, weil die Jugendhilfe eine Pflichtaufgabe ist.

Am 16. Dezember gab es freilich nur eine Probeabstimmung.

Deswegen kam die Vorlage des Dezernats Jugend, Schule und Demokratie in der Ratsversammlung am Freitag, 18. Dezember, zur richtigen Abstimmung.

Mit einem leicht anderen Ergebnis als am Mittwoch: 41 Stadträt/-innen stimmten dafür, die acht Stadträt/-innen der CDU-Fraktion dagegen. Wobei Karsten Albrecht diese „Nein“-Stimmen am Mittwoch damit erklärt hatte, seine Fraktion wolle damit Druck aufbauen.

Bestenfalls war es ein Zeichen oder eine Art Winken mit dem Zaunpfahl. Denn der Druck steckt eher in den Anträgen von Grünen und Linken und in der Vorlage des Dezernats selbst, die alle drei im nächsten Jahr im Jugendhilfeausschuss und im Stadtrat für Diskussionen sorgen werden. Und auch OBM Burkhard Jung stellte fest: „Das Thema wird uns im nächsten Jahr beschäftigen, ganz bestimmt.“

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