Wer kennt ihn nicht, den Satz des austro-amerikanischen Wissenschaftlers Paul Watzlawick: ALLES ist Kommunikation. Man kann nicht NICHT kommunizieren. Natürlich. Klar doch. Wie man sich nicht NICHT verhalten kann, kann man auch die Kommunikation und Interaktion mit der Umwelt nicht einfach einstellen. Klar ist aber auch, dass alles, was wir pausenlos und in Überfülle produzieren, nicht zwingend von hoher Qualität sein muss.

„Der denkt wohl, der ist alleine auf der Welt. Der kann mir doch nicht mit seiner Art zu kommunizieren, den ganzen Kurs vergiften.“ So zuletzt eine erzürnte Kollegin nach dem Unterricht. Recht hat sie natürlich auch. Menschliche Zielbewusstheit und humanistische Erziehungsideale in der Schule einerseits – andererseits die scheinbaren oder oberflächlichen Prämissen des praktischen Lebens außerhalb unserer Bildungseinrichtungen: Sei laut und unüberhörbar, setz dich durch, egal, was es ist, alles ist gleich(-ermaßen) gültig! Ich lass mir nichts einreden! Alles ist Kommunikation.

Aber „vergiften“? Hartes Wort. Knallharte Kommunikation. Beim Wort „vergiften“ muss ich an das Grimmsche Märchen vom Schneewittchen denken. Ahnungslose Jugendliche wird „vergiftet“. Schönheit begegnet Schläue, Naivität gekränktem Narzissmus. Das junge, unverdorbene Topmodel kommuniziert klar, herzlich und offen. Wie ein Archetypus des nicht-entfremdeten Menschen. Auf der anderen Seite hingegen, in der Sprache der herzlosen, missgünstigen Königin Raffinesse, Verstellung, Absicht-Kommunikations-Inkongruenz. Ich erinnere die Schüler an den Satz des langjährigen französischen Außenministers Talleyrand, einem Meister des politischen Opportunismus im 19. Jahrhundert: „Der Mensch hat sich die Sprache erhalten, um seine Gedanken zu verbergen.“ Wirklich? Ist das so? Ja, auch wenn man es sich manchmal, meist sogar, anders wünscht: Alles ist Kommunikation. Aber was ist nun richtig? „Unverdorben“ in Kommunikation und Verhalten oder sich „einpassen“ in eine vorherrschende Kommunikationskultur, um nicht außerhalb stehen zu bleiben?

„Schule muss auf das Leben vorbereiten“, höre ich eine Kollegin hinter mir, die in der großen Pause ihren Pfefferminztee aus einer überdimensional großen Tasse schlürft. Anscheinend hat sie diesen mit einer gehörigen Prise Selbstverständlichkeit gesüßt, so logisch hört sich das an. Während sie umrührt, erklärt sie mir, dass man sich „draußen“ nicht wie bei „Wünsch-dir-was“ verhalten könne und somit das Zurechtfinden im Leben und überhaupt in der Schule lernen muss. Einige neugierig mithörende Kollegen nicken dazu. Opportunisten, denke ich kurz. Dabei fühle ich mich wie Talleyrand nach seiner letzten Amtsenthebung. Aber haben sie nicht auch Recht? Müssen wir die Jugendlichen, unsere Kinder nicht auch dazu erziehen, sich in bestimmten Lebensumständen zurechtzufinden? Auch verstehen, dass man als einzelner Mensch nicht Gesetzmäßigkeiten und vorherrschende Funktionsstrukturen innerhalb der bestehenden Gesellschaft versteht?

„Na siehst du.“ Die Kollegin legt den Löffel weg. Zurechtfinden muss man, soll sich ein jeder. Ja. Zu Recht sollen sie aber auch finden. Wie bitte? Einige ratlose Teegesichter schauen mich verwundert an. Auch in den Märchen sitzen Wahrheiten der Gegenwart. So, welche denn?, werde ich gefragt.

Klare, direkte und unverstellte Kommunikation sollen sie lernen, unsere Schüler. Ohne dabei zu verletzen. „Hart im Verstand und weich im Herzen“ wie Sophie Scholl kurz vor ihrer Festnahme von ihrem Bruder Hans gesagt bekam. Soll heißen: Meine Absicht entspricht meinem Kommunikationsstil. Ich muss niemanden „aufs Kreuz legen“ oder etwas sagen, wonach der andere gekränkt sein muss. Ich TEILE mich mit, vermehre nicht bewusst den Wert meiner Besserstellung vor Anderen und somit nur für mich. Das ist Zurechtfinden und zu Recht finden in der Welt. Auch angesichts ausgefeilter Technik, realer und virtueller Interaktion, einer „Kopieren-und-Einfügen-Mentalität“, die Echtsein oftmals kaum von Unechtem, Imitiertem, von Egoismus zu unterscheiden vermag – es stimmt: ALLES ist Kommunikation. Alles ist Verhalten. Absichten und Ziele sind es aber auch. Mir fällt dazu ein Sinnspruch des Mathematikers und Humanisten Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799), einem Zeitgenossen Talleyrands, ein. „Nebenbei“ schien er noch Zeit für großartige Aphorismen zu finden. „Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll.“

Das Klingeln beendet die Pause. Die Teetassen sind leer. Das Gesicht der Kollegin nicht. Sie lächelt mir verständnisvoll zu, ohne etwas zu sagen. ALLES ist Kommunikation.

Das Bildungsalphabet erschien in der LEIPZIGER ZEITUNG. Hier von A-Z an dieser Stelle zum Nachlesen auch für L-IZ.de-Leser mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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