Nach der Flut wird Manches in Sachsen und Sachsen-Anhalt nicht mehr so sein wie vorher. Aber das Leben geht weiter. Und es wird weiterhin Werbung brauchen für ein für Touristen attraktives Fleckchen Erde. Und manches Kleinod in dieser Weltecke ist auch für Touristen aus aller Welt interessant. Weil hier tatsächlich mal Weltgeschichte stattfand. Man glaubt es kaum. Wittenberg ist so ein Fleckchen Erde.

Man würde nicht so viel Aufhebens darum machen können, hätte es nicht die legendäre sächsische Teilung von 1485 gegeben, die so genannte “treaty of Leipzig”. Die es auch nur geben konnte, weil 1422 die askanische Linie der Herzöge von Sachsen-Wittenberg ausgestorben war und die Wettiner nicht nur dies hübsche Stück Erde dazugewannen, sondern auch etwas, ohne dass es heute den Freistaat Sachsen nicht gäbe – die sächsische Herzogswürde. Denn die hatten die Askanier erworben. Hätten sie das mit der Erbfolge hinbekommen, die sächsische Regierung säße heute in Magdeburg (oder Dessau). Und das Bundesland mit Dresden als Hauptstadt hieße wohl Freistaat Meißen.

Wobei es ja bekanntlich nach 1485 zwei Sachsen gab – eins mit Kurwürde und der Residenzstadt Wittenberg. Und eins ohne Kurwürde. Unterschieden nach den beiden Wettiner-Brüdern Albrecht und Ernst. Ernst bekam Wittenberg und die Kurwürde, Albrecht bekam Meißen, Dresden und Leipzig. Und weil der ernestinische Teil fortan keine Universität mehr hatte – Leipzig lag ja nun im albertinischen Teil, gründete Friedrich III., genannt der Weise, im Jahr 1502 eine eigene Universität, die er auf lateinisch nach seiner Residenzstadt Wittenberg nannte: Leucorea.

Und weil er dazu auch ein paar gute Professoren brauchte, bestellte er sich die im größeren Umkreis. Zum Beispiel in Erfurt, das zu dieser Zeit auch eine berühmte Universität besaß. 1508 bekam er von dort ein paar gelehrte Augustiner-Mönche, unter ihnen einen gewissen Martin Luther, der neben seiner Wissbegier auch noch einen Dickschädel hatte. Er glaubte nicht alles, was so erzählt wurde. Und weil er Theologieprofessor war, schaute er in der Bibel nach, was dort zum Thema Ablass geschrieben stand, zu Sündenerlass und damit auch zu Sündenfall, Buße und Erlösung. Und was er fand, hatte mit dem zu seiner Zeit gepflegten Ablasshandel nichts zu tun.

Also formulierte er 95 Thesen, die er an die “Schwarzen Bretter” seiner Universität schlug. Das waren im Jahr 1517 die Türen der Kirchen. Darunter natürlich auch die Schlosskirche, die heute gegossene Türflügel mit Luthers Thesen hat. Diese Thesen reißt also niemand mehr ab. Sie bleiben stehen für alle, die nicht so recht wissen, wie das ist mit den Sünden, den Heilsversprechen der Ablasshändler (die es auch heute noch zu Hauf gibt) und dem persönlichen Verhältnis jeder einzelnen Kreatur zu Gott. Denn das war ja am Ende, was herauskam dabei: Ein eigensinniger Theologieprofessor, der den Herausforderern von der alten Schule nur entgegensetzen konnte: “Hier stehe ich, ich kann nicht anders.”Das gilt bis heute. In allen Streitfragen, in denen es um Heilsversprechen und persönliche Standhaftigkeit geht.

Wahrscheinlich wusste Dr. Martin Luther am 31. Oktober 1517 selbst noch nicht, was er mit dieser Herausforderung zum wissenschaftlichen Streit eigentlich auslöste. Aber danach hat er’s wohl schnell begriffen. Und genossen, so dass man in diesem kleinen Ein-Tages-Stadtführer durch Wittenberg von Point 23 – “Theses Door” – über Point 8 – “Leucorea” – gleich ganz zurückspringen oder -laufen muss zu Point 3 und 4: Luther Courtyard und Luther House. Denn da wohnte Martin Luther nicht nur nach seiner Ankunft 1508 in Wittenberg im einstigen Kloster der Augustiner, da wohnte er bis zu seinem Tod, denn das aufgelöste Kloster bekam er von seinem Landesherrn als Wohnung. Und drinnen schaltete und waltete die Nonne aus Nimbschen, seine Katharina, die er eigentlich in Wittenberg unter die Haube bringen wollte. Aber Käthchen nahm dann doch den kampfstarken Theologieprofessor selbst und sorgte dafür, dass er mit einem gut geführten Hausstand und einer wachsenden Familie glücklich wurde. Was er dann auch zu schätzen wusste.

Jutta Rosen-Schinz hat den kleinen Stadtführer von Michael Schulze ins Englische übersetzt, so dass sich nun auch Besucher aus Übersee im berühmten Wittenberg wie zu Hause fühlen können, nicht nur mit staunenden Stippvisiten bei Luther und Melanchthon, sondern auch mit solchen am “Hamlet-House”, denn es war ja ein Engländer namens Shakespeare, der seine berühmteste Dramenfigur aufs engste mit der berühmten Universität zu Wittenberg verknüpfte. Aber mittlerweile ist durch fleißiges Engagement der Wittenberger auch wieder zu erleben, wo und wie ein Lucas Cranach in Wittenberg lebte und arbeitete – der Vater genauso wie der Sohn. (Point 19 und 20 der Tour).

Auf Englisch liest sich das natürlich viel weltläufiger als auf Deutsch. “All Saints’ Castle Church” klingt wirklich ganz anders als “Schlosskirche”, auch wenn trotzdem Luther und Melanchthon drin begraben sind. In der zweiten aber erwartet man eher eine Orgelmusik von Bach, in der ersten aber einen ordentlichen Gospelchor, der anstimmt, was am Kirchturm zu lesen ist: “A mighty fortress is our God”. Was in Luthers Deutsch ja schlicht besagt: “Eine feste Burg ist unser Gott.”

Die Wittenberger brauchen sich also vor den Pilgerscharen zum 500. Jahrestag des Thesenanschlags nicht zu fürchten. Sie haben jetzt den passenden Stadtführer in Englisch.

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