Zwei Bücher zum Eishockey hat Frank Bröker schon vorgelegt. Eigentlich ist er Gitarrist bei den Russian Doctors, kümmert sich auch ein bisschen um die wachsende Pratajev-Bibliothek. Aber aus Meppen hat der Wahl-Leipziger seine Begeisterung fürs Eishockey mitgebracht und ist bekennender Anhänger der Icefighters Leipzig. Nun hat er noch eins draufgepackt.

Eigentlich ist es so eine Art Ätsch-Buch für die Fußballer, deren seltsamer Sport aus allen Kanälen sabbert und dem normalen Erdenbewohner ständig die Namen von irgendwelchen gerade mal wichtigen Fußballern, Trainern und Managern unters Auge reibt. Nachts brüllen übergewichtige Herren aus blaulichtigen Stuben ihre Kommentare zu irgendwelchen Spielübertragungen durchs offene Fenster. Öffentliche Sender schmeißen Millionen an Beitragsgeldern raus, um den gespielten Rasenunfug in jede Kaschemme zu übertragen, gespickt mit platten Kommentaren abgehalfterter ehemaliger Ballspieler, die das Rumgekicke wie eine Wissenschaft und ein elemantares Weltereignis behandeln.

Dasselbe kann man genauso gut oder noch besser mit Eishockey machen, findet Frank Bröker und hat sich Berge von Literatur zum Thema reingezogen, haufenweise Presseartikel und Ligazeitschriften. Und er nimmt den Leser mit in einen völlig eigenen Kosmos voller Stars und Legenden, seltsamer Rituale, astronomischer Gehälter, gigantischer Niederlagen und kosmischer Triumphe. Die deutsche Eishockey-Liga kommt auch drin vor. Aber eher am Rande. Denn gegen die NHL ist sie ein Zwerg, da werden nur mikroskopische Gehälter gezahlt. Der eigentliche Wahnsinn findet in Übersee statt. Und auch wenn die Teams aus den USA oder Kanada ab und zu mal herabsteigen vom Olymp und sich bequemen, bei Weltmeisterschaften und Olympia gegen hartnäckige Gegner wie Russland, Finnland, Tschechien oder Schweden anzutreten, gibt es im Leben der hochbezahlten Eis-Profis nur ein wirklich erstrebenswertes Ziel: den Stanley-Cup. Na ja: und einen millionenschweren Vertrag natürlich bei einem Spitzenclub, der es wenigstens in die Play-offs um den Stanley-Cup schafft.

Dass es dabei immer auch um Geld geht und hinter den Kulissen zwischen den Vereinen und der Spielergewerkschaft mächtig gepokert wird, erfährt man auch – eher zum Ende des Buches hin, das Bröker wieder in der eindringlichen Manier eines Hallensprechers hinhaut. Oder im Tempo, mit dem auf dem Eis gespielt wird. In voller Begeisterung. Völlig hingegeben. Dieser Sport ist seine Seele. Und auch wenn er rund 100 Jahre Eishockey-Geschichte gar nicht miterlebt haben kann, schwärmt er von den Legenden, die in den amerikanischen Stadien mit riesigen Trikots unter der Decke geehrt werden, die auf dem Stanley-Cup eingraviert sind und in ihren Clubs und den Statistiken gefeiert werden wie anderswo Götter oder Helden vom Format Herkules.

Und Herkulesse sind sie ja zumeist, Kerle mit Gardemaß und jeder Menge Muskelmasse, rasend schnell unterwegs, präzise im Schuss, hart im Nehmen und Geben. Ganzkörpersport. Wer hier überleben will, lernt früh, den Schmerz wegzustecken. Schreibt Bröker. Vielleicht stimmt es ja. Denn auf dem Eis wird längst mit einer Geschwindigkeit und einer Wucht gespielt, die auch die besten Spieler über kurz oder lang mit diversen Brüchen, Faserrissen, Gehirnerschütterungen oder anderen Knockouts zum Pausieren zwingen. Oder gar zum Ende der Karriere.

Viele Spieler werden zu Hockeylegenden

Auch deshalb sind viele Hockeyspieler zu Legenden geworden – manchmal auch regelrecht abgestürzt, quasi vom Eis des Lebens gefegt worden. Bröker erzählt auch, wie das Spiel da unten auf dem Eis mittlerweile funktioniert, wie schwer man sich lange tat, die Spieler besser zu schützen, als die Sache immer härter wurde und der Puck mit immer höheren Geschwindigkeiten nicht nur Netze und Banden durchschlug, sondern auch Kinnladen und Genicke. Er erzählt, mit welchem Eifer Statistiken erstellt werden über jeden Treffer, jede Vorlage, jede Auszeit, wie Teams aufgebaut wurden mitten in der Wüste, um mit einem eishockeyvernarrten Publikum den Weg in die Play-offs zu feiern, wie schwerreiche Geschäftsleute sich einkauften, um die teuren Spielertransfers zu finanzieren. Denn die bekanntesten Spieler ziehen das Publikum, die Werbekunden und das Fernsehen an. Ist Eishockey in dieser Art ohne die Werbemillionen der Fernsehsender überhaupt denkbar?

Es ist ein Riesengeschäft, in dem sich Clubs mit falschen Zukäufen und falschen Verträgen auch selbst das Wasser abgraben können. Eine vergeigte Saison – und die Millionen sind im Eimer. Ein Paradies für Geschäftsmänner, die das Leben als eine große Pokerbude betrachten – und hinterher keine Angst haben, wenn sie als Pleitiers vorm Kadi landen. Wenn einem so was erzählt wird, bekommt man so eine Ahnung, wie viele Menschen tatsächlich in einer Parallelwelt leben, in der es ganz anders, viel trunkener von Sieg und Niederlage zugeht. Wo jede Niederlage, jeder errungene Cup, jeder Aufstieg, jede Pleite irgendwie Teil eines großen wogenden Lebenstheaters sind, in dem die große Tragödie dicht neben dem Feuerwerk der gefeierten Helden lauert. Es ist ein Spiel, das auch auf den Rängen von rasanten Stimmungsexplosionen und emotionalen Abstürzen begleitet wird. Augenscheinlich hat Eishockey auch ein ganz eigenes Publikum, das sich mental gehörig vom Fußballpublikum unterscheidet, aber genauso seine griechischen Dramen braucht, genauso leidet, wenn der Club schon in den Vorrunden jämmerlich verreckt oder am Ende hauchdünn scheitert.

Braucht das der Mensch?

Hat er nicht genug Tragödien und Triumphe in seinem Leben? Anscheinend nicht. Sonst würde ja diese Legendenmaschine in Übersee nicht so funktionieren, vollgestopft mit lauter inszenierter Tradition, mit Mythen und auch so einer Art eigener Religion (alles eigene Kapitel im Buch). Dem Leser schwirrt am Ende der Schädel, weil er mit lauter Namen von Berühmtheiten bombardiert wurde, die außerhalb der Welt des Eishockeys wohl doch nicht allzu viele Menschen kennen dürften. Aber das ist ja im Fußball nicht anders, auch wenn hier 100 Mal mehr Narren versuchen, die neuesten Tragödien vom Rasen in die Welt zu schreien, als sei auch nur irgendetwas davon wichtig oder berichtenswert.

Ist es nicht (was übrigens auf Narrensportarten wie Boxen, Federball, Golf, Radrennen, Formel 1 usw. genauso zutrifft – alles Spiele für reiche Leute, die mit ihrem Geld wirklich nichts Besseres anzustellen wissen, als es für Spiele auszugeben).

In gewisser Weise sind Eishockey-Anhänger auch noch irgendwie zusätzlich abgebrüht und bewundern ihre Eis-Helden für Dinge, bei denen jedem Rettungsarzt und jedem Rettungssanitäter die Tränen kommen dürften. Denn das Risiko, die Karriere tatsächlich gesundheitlich lädiert zu beenden, ist im Eishockey hoch. Und es gibt auch einige Jobs auf dem Eis, bei denen die Spieler tätsächlich ihre Knochen hinhalten. Frank Bröker bewundert diese Fähigkeit, den Schmerz wegzustecken. Vielleicht ist das auch ein Teil der Faszination, den viele der heutigen Sportarten auf das Publikum ausüben. Es sind die modernen Gladiatorenspiele. Und die Gladiatoren wissen sehr genau, dass sie ihre Haut zu Markte tragen und lassen sich das auch entsprechend bezahlen.

Da ist dann auch noch Platz für Aberglauben, zünftige Besäufnisse und Raufereien, aber auch tüchtige Ehefrauen, die den losgelassenen Bestien nach dem Spiel das Halsband umlegen und dafür sorgen, dass sie wieder fein Kräfte sammeln fürs nächste Spiel. Was nicht heißt, dass die Besten den Zirkus mental trotzdem durchstehen. Erst recht nicht, wenn Publikum und Presse ihren eigenen Jagdzirkus veranstalten – was dann durchaus auch mal zu zerlegten Mannschaftskabinen oder zertrümmerten Stadtteilen führen konnte. Denn wenn die Spieler mit 100 Prozent Adrenalin aufs Eis sollen – warum sollten sie sich hinterher in brave Kätzchen verwandeln?

Stars als Publikumsmagnete

Frank Bröker spricht zwar von Sport, aber das, was da in den Eisarenen in Amerika in den letzten Jahrzehnten herangewachsen ist, hat mit Zirkus, Show und Entertainment noch viel mehr zu tun. Da sind keine smarten Studenten mehr auf dem Eis, die ihre Freude am flitzenden Puck haben. Das sind wirklich Profis, die auch um ihre Rolle als Publikumsmagnet wissen. Manchmal auch nur, weil man damit richtig Geld verdienen kann – was besonders für die hart gedrillten Spieler aus Russland immer wieder verführerisch war – einige sind in der NFL selbst zu Stars und Legenden geworden.

Aber mal so beiseite gesprochen: Das Publikum ist noch närrischer. Spätestens im letzten Kapitel, in dem Bröker nur noch lauter Eishockeylieder abspult (und die Liste will einfach nicht enden), platzt der Schädel von Sängern und Titeln, die man außerhalb der Eisstadien noch nie gehört und vernommen hat. Man muss also auch eine Art Eis-Besoffenheit mitbringen, um zum Anhänger des schnellen Kufen-Sports zu werden, muss ein paar echte menschliche Narreteien als normal akzeptieren und wohl auch eine gewisse Hartgesottenheit gegen schreckliche Gesänge mitbringen. Wem das Gezappel auf dem Fußballrasen also irgendwie zu läppisch vorkommt, der kann einfach wechseln.

Frank Bröker “Die Wahrheit über Eishockey, Verlag Andreas Reiffer, Meine 2015, 9,90 Euro

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