Schon wieder anderthalb Jahre rum? Seit diesem Knacks, der auf einmal mitten durch die deutsch-amerikanischen Beziehungen ging? Schwarwel war das damals einen Titel wert: "Zu Besuch bei Freunden" hieß sein Buch mit den gesammelten Karikaturen des Jahres. Die Freundschaft ist noch immer angeknackst. Und das Jahr 2014 war noch schlimmer als das davor. Es ist erschütternd.

Aber manchmal braucht es so eine Fuhre Eis, um mal wieder runterzukommen vom alltäglichen Hype, von den Seifenblasen eines Politik-Marketings, das auch dann noch erzählt, alles sei gut, wenn gar nichts mehr gut ist. Die NSA-Spionage? Ausgesessen bis zum heutigen Tag. TTIP? Weiterverhandelt, als würden die protestierenden Bürger nicht mehr zählen. Fracking? Wenn irgendein Konzern ein Löchlein haben will, bekommt er es auch. Griechenland retten? Jeden Tag kann man in der Zeitung lesen, wie man das auf die rabiate “Ich habe das Geld”-Methode macht. Und wie “Frieden gestiftet” wird, kann man in Palästina und der Ostukraine erleben. Als wären die handelnden Schachspieler in den letzten anderthalb Jahren alle zugleich durchgedreht.

Und einer hat sich einfach hingesetzt und jeden Tag in einem Cartoon festgehalten, was ihn am täglichen Meldungswahnsinn besonders wahnsinnig vorkam, dieser Schwarwel aus Leipzig, der sich zumindest zu wehren weiß gegen den Triumph der Schmalspurhelden unserer Zeit. Eigentlich ist er ja abgehärtet wie jeder Leipziger, der 1989 erlebt hat mit den damaligen seltsamen Versuchen eines Schattenkabinetts, irgendwie noch Fähigkeit zum Handeln zu beweisen.

Zum großen Traum von ’89 gehörte ja auch, den neuen, mit Mehrheit Gewählten, mehr Sachverstand, mehr Verantwortungsbewusstsein und weniger Selbstgefälligkeit zuzutrauen. Zur großen Enttäuschung seither gehört: Der Wunsch ging nicht in Erfüllung. Im Gegenteil. Die Verführbaren wählen wieder die Verführer – und die Verführer bauen sich das Land um, so dass ihre Macht in Beton erstarrt. 2014 war ihr Jahr. Und es wirkt in der Rückschau nun ganz so, als sei der Trojaner, den 2001 die Bush-Regierung in die Welt gepflanzt hat, endgültig auch ins europäische Seelenzentrum eingedrungen: überall herrscht die Angst – vor dem Bösen im Osten, dem Terror im Süden, den Spionen aus dem Westen, dem Volk sowieso. Das aber auch eifrig getätschelt wurde – insbesondere, als im Herbst die grantigen alten Männer in Dresden zu demonstrieren begannen und auch noch (welch eine Vorlage) auf die “Lügenpresse” schimpften. Da begann sogar Sachsens hartgesottener Innenminister zu schnurren und ging hin, die grimmigen Grantler zu streicheln.

“Immer ist die Albernheit der Narren der Schleifstein des Witzes”, hat Schwarwel diesmal als Motto für seine Jahresauswahl gewählt. Von Shakespeare ist das. In schöner Korrespondenz mit Stanislaw Jerzy Lecs “Wenn es nichts zu lachen gibt, kommen Satiriker auf die Welt”.

Und es gibt nichts zu lachen. Im Mittelmeer ersaufen die Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern, in denen Tyrannen wüten – so blutig und gnadenlos wie die größten Tyrannen der Vergangenheit. Und europäische Politiker diskutieren darüber, wie man diese in Panik Fliehenden abwehren und zurückschicken könnte. Soweit ist es gekommen. Und die Bürokraten, die über Asylanträge zu befinden haben, können mit einem Federstrich entscheiden über bleiben oder – zurück in die Not. “Töten mit dem Kugelschreiber” nannte das 2014 eine Schlagzeile, die Schwarwel aufgegriffen hat.

Denn er ist ein Träumer. Einer mit großem Herzen, den diese Flut der Borniertheiten, der bürokratischen Arroganz und der boshaften Macht noch immer aufregt, zur Weißglut bringt und nicht schlafen lässt.

Ein Riss geht durch unser Land. Das haben die alten Grantler auf der Straße sichtbar gemacht. Denn wenn die Angst lang genug regiert, dann vergessen viele Menschen ihre gute Kinderstube und ihr Herz, dann werden sie laut und fordern: “Raus!” Und damit das besser klingt: “Wir sind das Volk!”

Man ahnt die Schleifen, in denen ihre Angst panisch im Kreis läuft. Denn wen sollen sie noch anrufen, wenn selbst ihre gewählten Innenminister angsterstarrt nur noch “Raus!” sagen. Etwas trockener, hinter Paragraphen verschanzt?

Die Not der Welt wird mit Paragraphen beantwortet. Und die Waffenlieferungen gehen weiter. Natürlich nicht in Krisengebiete. Was könnten Kurden und Iraker schon mit Waffen ausrichten gegen den IS? Es wird wohl nicht viel übrig bleiben von diesem Jahr 2014 als das miese Gefühl, dass die Kraftmeiereien der so gern Allmächtigen die Schlagzeilen bestimmten  – und die eigentlichen Aufgaben nicht angepackt wurden. Eine Zeit für Zündler, die die Panzer rausholen, um zu zeigen, was für Macher sie sind. Und das scheint die Narren vor den Bildschirmen noch immer zu beeindrucken. Wie vor 100 Jahren. Und wenn sie so ein kleines Miauen hören lassen, weil sie sich nicht genug gestreichelt fühlen, gibt’s süße Kätzchen auf allen Kanälen: Ihr wollt Politik? Da habt ihr sie.

Es ist die bisher böseste Auswahl, die Schwarwel in seinem vierten Karikaturen-Band zusammengestellt hat. Auch eine bedenkenswerte, denn die Bilder, die er zur Vorlage nimmt, sind ja die tagtäglichen aus den Nachrichten. Wir leben mit diesen Bildern, mit ihrer Macht, die auch Emotionen schürt. Und mit Emotionen kann man regieren. Das wissen nicht nur die Leute, die beim IS die Hinrichtungen filmen oder einen Anschlag wie auf “Charlie Hebdo” medienwirksam vorbereiten. Bilder lassen auch abstumpfen, wenn man sie oft genug gesehen hat. Der Terror sitzt längst in unseren Köpfen. Und er frisst den Platz, den Manche von uns brauchen würden, ein bisschen über sich und die eigene Wirklichkeit nachzudenken. Wer in Panik ist, den interessieren die Dinge, die NSA, Facebook & Co. tun, nicht mehr, den interessiert auch das Kleingedruckte in TTIP nicht oder der Laufweg deutscher Waffen. Und auch nicht so sehr, warum die Armut wächst in einem Deutschland, das immer neue Rekordexporte einfährt. War da was?

Aber nicht doch. Teil doch einfach das Kätzchen. Hier ist eins. Ist es nicht süß?

Schwarwel “Die Macht der Bilder. Karikaturen & Cartoons 2014 / 2015”, Glücklicher Montag, Leipzig 2015, 9,90 Euro

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