Was macht man, wenn ein Krimi eigentlich auf eine komplexe Romanlösung drängt? Gute Frage. Auch für den fhl Verlag, der dieser Tage fünf Jahre Mord und Totschlag feiert. Die handlichen Krimis machen im Verlagsprogramm mittlerweile 80 Prozent der Titel aus. Aber wie gefragt: Was macht man, wenn "Dunkle Geheimnisse" eigentlich auf 400 Seiten hindrängen, aber in 200 reinpassen müssen?

Man rafft ein bisschen und lässt einfach die Mörder selbst in einem großen Geständnis kurz vorm Finale alles beichten, bereuen und in den Abgrund stürzen. Das war mal ein beliebtes Mittel in den Haudegen-Büchern des 19. Jahrhunderts und hatte immer auch eine schöne moralische Note: Der Bösewicht zeigt Einsicht oder erweist sich einfach wirklich als schlimmer Geist, um danach entweder geläutert zur Selbstjustiz zu schreiten oder vom Wahnsinn befallen in die Hölle zu stürzen.

Zumindest hat das den Vorteil: Es bleibt nichts in der Schwebe und man spart ein paar Schichten in der Erzähltorte. Und das hilft vor allem Lesern, die schnell ans Ziel wollen.

Aber wollen sie das? Das ist die Frage, gerade wenn die Autorin, wie hier Birgitta Hennig, durchaus akribisch einen verzwickten Doppelmord inszeniert, der Hauptkommissarin Eleanor Güldner geradezu zur Verzweiflung bringt, weil einfach die nötigen Spuren fehlen, um Tatmotiv, Täter und weitere Opfer zu finden. Denn was sie anfangs schon ahnt, nachdem die fürchterlich zugerichteten Leichen zweier gutverdienender Geschäftsleute gefunden wurden, bestätigt sich nach und nach. Und trotzdem hängt sie mit den Ermittlungen fest, weil wichtige Zeuginnen schweigen und andere Wege – wie der Kontenabgleich in der Schweiz zum Beispiel – viel zu lange dauern.

Nebenbei bahnt sich da auch noch eine ganz vertrackte Liebesgeschichte im Ermittlerteam an, was ja bekanntlich für einen klaren Kopf und ordentliche Befehlsstrukturen überhaupt nicht gut ist, für die Erholung auch nicht. Dazu kommt dann die aus “Tatort” und anderen Krimiserien bekannte Verzweiflung über den ausbleibenden Ermittlungserfolg. Das alles drängt eigentlich zwingend zu einer dritten Ebene, so, wie etwa ein Autor wie Clemens Meyer mit so einem Stoff umgehen würde (nachvollziehbar im Roman “Im Stein”). Denn tatsächlich hat Birgitta Hennig mehrere Erzählebenen angelegt, die zeitlich zwingend nebeneinander laufen und eine Art Showdown sogar erzwingen.

Den gibt es dann auch – aber eben eher in oben geschilderter Art. Quasi als Lebensbeichte. Auch wenn es sich eigentlich angeboten hätte, die Mörderperspektive zumindest mitzuerzählen. Von Anfang an. Denn es geht in “Dunkle Geheimnisse” nicht nur um das Fangen des Mörders. Geht es in der Realität ja auch nicht, wo Ermittler zwingend darauf angewiesen sind, die Denkweise und die Motive der Täter so früh wie möglich zu verstehen, denn nur so stellen sie auch die richtigen Fragen und können das Täterfeld überhaupt einkreisen.

Und in diesem Fall ist es so, dass beides durchdringt, auch wenn Elenor Güldner fast bis zum Schluss wichtige Puzzle-Steine fehlen. Was auch daran liegt, dass einige Personen sich erstaunlich irreal verhalten. Man kann nur vermuten, dass die grottenschlechten Drehbücher für all die Tatorte, Sokos und anderen Krimi-Verbrechen im deutschen Fernsehen Wirkung zeigen und diese unlogischen Handlungsweisen sich jetzt auch in die gedruckten Krimis einschleichen. All diese völlig durchgeknallten Villenbewohnerinnen, betrogenen Hausfrauchen und von Sexkummer zerrütteten Polizisten.

Eine Figurenwelt, die mit dem Leben der normalen Menschen wirklich nicht viel zu tun hat, aber nicht weit genug weg ist, um ihre Irrealität noch erfassen zu können. Aber vielleicht gibt es sie, diese klaustrophoben Biotope der stolzen Erniedrigung. Und wenn es sie gibt, ist auch die Gefühlsunfähigkeit der in diesem Buch Ermordeten nachvollziehbar – dann sind die Akteure eben so kaputt wie die von Erniedrigung und Kontrollwahn dominierte Welt.

Eigentlich ein spannendes Thema. Gerade in unserer Zeit, wo ein manisch wachsender Kontrollwahn eine seltsame Symbiose eingeht mit Bildern der völligen Entwürdigung und Entblößung. Und die kleine Frage, die da auftaucht: Kann es sein, dass es die Gierigen und Nimmersatten sind, die mit ihrer Paranoia auch erst die Welt in Panik versetzen? Diese Leute, die ihre Villen in total überwachte Einzelzellen verwandeln und dann als breitbrüstige Vertreter des Establishment auch noch Länder und Kontinente wieder mit Abschottung, Kontrolle und Überwachung überziehen?

Auf diese Ebene zieht Birgitta Hennig ihre Geschichte nicht, auch wenn sie ihre Ermittler immer wieder an solchen Wänden des institutionalisierten Misstrauens abprallen lässt. Denn dass die Aufklärung so schwer fällt, hat ja nichts damit zu tun, dass die Taten der Ermordeten derart clever versteckt gewesen wären (auch wenn die sich alle Mühe gaben), sondern weil ihre direkte Umwelt selbst von der Paranoia besessen ist und auch den Ermittlern gegenüber lieber schweigt. Mal abgesehen davon, dass die kontrollsüchtige Haushälterin und der unsichtbare Testamentsvollstrecker zu den ganz und gar mysteriösen Akteuren in dieser Geschichte gehören. Wenn man das Buch so verfilmen würde, wie es ist, würden diese beiden Figuren wirken wie frisch aus einem Hitchcock-Film entfleucht. Als Leser ist man die ganze Zeit geneigt, die Chefermittlerin mit der Nase drauf zu stupsen: Willst du diese zwielichtigen Gestalten nicht mal so richtig in die Mangel nehmen? Und wo, bitteschön, ist der Gärtner?

Möglich, dass auch die Autorin das gemerkt hat und sich sehr bewusst war, dass sie alle diese Stränge und Seitenstränge in 200 Seiten für ein flottes Taschenbuch nicht hätte unterbringen können. Und so kommt es dann zum etwas unverhofften Geständnis und selbst die emsige Kommissarin kommt zu spät, um noch wirkungsvoll die Handschellen klicken zu lassen. Was schade ist in diesem Fall, denn die Lösung hätte durchaus mit ein wenig Strenge eingekreist werden können. Am Ende wurden ja die Fäden sichtbar, die ein menschliches Drama enthüllt hätten. Was dem Krimi in diesem Fall seine größte Stärke genommen hat: die Lust und die Konsequenz am Enthüllen der “eigentlichen Geschichte”. Die nicht immer logisch sein muss. Aber welcher Krimileser sucht denn Logik als Motiv?

Also geht’s flott zu Ende. Ein bisschen zu flott.

Birgitta Hennig Dunkle Geheimnisse, fhl Verlag, Leipzig 2015, 12 Euro.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar