Auch Lesebühnenautorinnen werden älter. Passiert. Sie bekommen einen Freund, Menschliches passiert, Kinder kommen. Kinder benehmen sich nicht, wie sie sollen. Bedienungsanleitung gibt es auch nicht. Kinder machen schweineviel Arbeit. Aber solche, bei der man hinterher erst merkt, was das für schöne Arbeit war. Kopfzerbrecharbeit. Gerade wenn die Biester mal wieder schlechte Laune haben.

Obwohl es keine schlechte Laune gibt. Weiß ja jeder. Es gibt nur so Tage, da möchte man einfach nicht perfekt sein, funktionieren schon gar nicht und allen alles recht machen. Da möchte man nur mal man selber sein: so ein richtig schweres Menschlein, das in seiner Höhle bleibt und es genießt, einfach mal da zu sein. Bauch ist da, Beine sind da, Kopf ist da. Alles dran.

Und dann kommen da diese erwachsenen Leute und wollen, dass man schon wieder aus seiner schönen warmen Höhle kriecht, sich anzieht und kämmt und das Zimmer … Wie das Zimmer schon wieder aussieht!

Na gut, wer bei Kirsten Fuchs Kind sein darf, der hat Glück: Sie kennt das. Sie lässt das Gefühl auch noch zu, wohl wissend, dass es am Ende doch wieder schwerfällt, aus der Höhle rauszukommen und sich dem Leben da draußen zu stellen. Erwachsene sind auch nur Kinder.

Und so ist irgendwo in diesem Miteinander die Figur des Miesepups entstanden. Cindy Schmid hat ihm eine Gestalt gegeben. Er sieht aus wie ein Moosmännchen. Eigentlich ganz nett. Aber eigentlich auch voller schlechter Laune. Es will ja nicht gestört werden. Auch nicht von Heichörnchen, Nakinchen und diesem spillerigen Ding mit dem Namen Kucks. Das so heißt, weil es so gern kuckt, neugierig ist wie Bolle und sich auch von einem grummelnden Miesepups nicht vergraulen lässt.

Könnte ja auch schiefgehen. Denn Miesepups hat eine Elfe, die jede Nacht erscheint und jedes Mal drei Wünsche erfüllt. Und weil Miesepups eigentlich lieber faul sein möchte, wünscht es sich einen Haufen Dinge, die erledigt sein sollen, wenn es wieder aufwacht. Da gehört auch dazu, dass es nicht wieder gestört werden will durch das fröhliche Spielen dieser drei Störenfriede.

Kennt man auch irgendwie. Nicht nur Knirpse haben es drauf, mal so richtig den Miesepups raushängen zu lassen. Alte Menschen auch. Spielende Kinder sind immer so laut. Und so fröhlich. Und so unbeschwert. Manchmal weiß man gar nicht recht, worüber sich die schimpfenden Alten wirklich aufregen. Das Gefühl trügt wohl nicht: Es ist diese Unbekümmertheit.

Wo kämen wir da hin, wenn alle Menschen in diesem Land unbekümmert wären?

Da haben wir aber eine Frage gestellt.

Obwohl wir nicht wissen, wie alt Miesepups wirklich ist. Wir erfahren nur, dass er schon zwei Weihnachten verschlafen hat in seiner neu gefundenen Höhle im Wald. Erstaunlich, dass ihn die Kleinen jetzt erst gefunden haben. Zwei lassen sich wirklich erschrecken. Einer bleibt neugierig, das Kucks natürlich. Das nicht nur neugierig ist, sondern auch hilfsbereit. Noch so eine komische Tugend, die manche Leute in diesem Land ganz fürchterlich finden. Es schwingt so etwas mit, wenn Kirsten Fuchs ihre Geschichten erzählt. So ein kleiner grimmiger Ernst, den man bekommt, wenn man eigentlich eine Welt mit lauter lebendigen Menschen erwartet. Und dann sieht man überall nur lauter Miesepupse, die auf den Gefühlen anderer herumtrampeln. Die kann man doch nicht alle einzeln wieder zu lebendigen Menschen machen? Geht doch gar nicht.

Also ist das ein Märchen. Gewissermaßen. Ein Märchen, in dem mal niemand gefressen wird. Aber Miesepups lernt, dass die kleinen Störenfriede da draußen gar nicht wirklich schrecklich sind. Denn eigentlich fürchtet Miesepups ja nur, dass es selbst auf einmal im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, wenn es da raus geht und angekuckt wird. Man ahnt so ein bisschen, wo das Problem ist: Es findet sich selbst irgendwie nicht zumutbar.

Das geht manchen Menschen so. Die meisten verstecken das hinter grimmiger Maske und schlechten Manieren. Damit ja keiner zu nahe kommt. Und was sieht. Vielleicht, weil da einer sich lieber versteckt, weil er sich überhaupt nicht ansehenswert findet. Da hält man es mit sich allein noch am besten aus, ohne sich vor Menschen rechtfertigen zu müssen.

Die Vorgeschichte erfahren wir nicht. Warum das Miesepups so geworden ist. Es ist ja nicht wirklich böse. Nur eben sehr moosig und murrig. Aber zum Glück ist Kucks hartnäckig. Es wirbt regelrecht um die Aufmerksamkeit von Miesepups. Wie das Eltern oft machen, wenn sie sich an ihr eigenes Kindsein erinnern. Dann lockt man das kleine mürrische Etwas mit ganz viel Geduld aus seiner Höhle.

Und dann?

Dann ist es auf einmal nicht mehr allein.

Das ist etwas völlig anderes. Eine ganz neue Situation, in die sich Miesepups erst etwas knurrig schickt. Und dann? Dann gibt’s Eis. Und der moosige Bursche lernt was. Nämlich wie das ist, wenn man nicht mehr allein unterwegs ist und immer nur mit den eigenen Gedanken allein. Und auf einmal stört auch Kucks nicht. Auf einmal ist das etwas völlig Neues, wenn sich jemand anderes für einen interessiert.

Aber an der Stelle ist das Bilderbuch zu Ende. Alles ist offen. Pointe und Schlussapplaus gibt es nicht. Aber die halbe Geschichte erzählen sowieso die lebendigen Collagen von Cindy Schmid. Sie illustriert auch für „Das Magazin“. Kirsten Fuchs schreibt dort regelmäßig Kolumnen. Man kennt sich und hat sich, wie man sieht, hier in ein gemeinsames Projekt gestürzt. Und bestimmt hat ein kleines Höhlenwesen das fertige Buch dann zum Geburtstag gekriegt. Und sich gewundert, weil ihm die Geschichte irgendwie seltsam vertraut vorkam.

Kirsten Fuchs, Cindy Schmid Der Miesepups, Voland & Quist, Dresden und Leipzig 2016, 14,90 Euro.

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