Wie sie aussehen wird, steht schon fest. Was drin stehen wird, ist schon klar. Zum großen Reformationsjahr 2017 erscheint auch eine neue, revidierte Luther-Bibel. Muss das sein? Ist der Markt nicht überschwemmt mit unterschiedlichsten Bibel-Ausgaben? Auch Luther-Bibeln? Revidierten und nicht revidierten? Da schaut man dann schnell mal nach, was man denn selbst für eine hat.

Spätestens wenn man diese elf Geschichten zur Entstehung der Bibel, zu den Bibelübersetzungen vor Luther, zu Luthers Geniestreich auf der Wartburg und der Arbeit des Lutherschen Bibel-„Sanhedrins“ gelesen hat, schaut man nach. Denn eines weiß man hinterher: Den Luthertext im Originallaut hat man – von ein paar ganz speziellen Sammlern abgesehen – ganz bestimmt nicht. Und wenn man ihn doch hat, dann weiß man eh, dass schon zwischen der ersten Luther-Bibel von 1534 und der von 1545 große Unterschiede bestehen.

Was natürlich an Luther liegt, der nicht umsonst einen Doktortitel trug. Selbst die Übersetzung der Bibel ging der Theologieprofessor aus Wittenberg mit wissenschaftlicher Akribie an. Er haute das Ding nicht einfach raus. Nicht einmal die vielen Bilder, Wortneuschöpfungen und sprichwörtlichen Formeln, die wir heute kennen, hatte er schon parat, als er sich an das Mammutwerk machte.

In diesem Band erzählen Wissenschaftler, die allesamt tief drin stecken in der Luther- und Bibelforschung. Etliche auch direkt eingebunden in die neue Revision der Luther-Bibel. Da geht es ans Eingemachte. Wer es noch nicht wusste, erfährt eine Menge über die Entstehung der Bibel selbst, eigentlich schon ihrer Vorläufer: der heiligen Bücher des Judentums, die ja den Kern des Alten Testaments ausmachen. Aber schon da wird es spannend, denn schon die schriftlichen Überlieferungen des älteren Judentums liegen in unterschiedlichen Quellen und Sprachen vor – Hebräisch, Aramäisch, Griechisch. Was nicht extra beleuchtet wird, aber eigentlich wichtig ist: Ohne die griechische Herrschaft der Ptolemäer in Judäa ist die Entstehung des Christentums gar nicht denkbar, hätte es nicht die frühen Übersetzungen ins Griechische und die „Septuaginta“ gegeben. Aber auch nicht die intensive Reflexion der griechischen Philosophie, von der das Neue Testament geprägt ist.

Als dann im dritten und vierten Jahrhundert tatsächlich der Kanon der Bibel entstand, flossen unterschiedlichste Quellen ein. Schon damals war es den Gelehrten bewusst, dass dieses Buch der Bücher eigentlich ein nicht immer homogenes Konstrukt war. Was ja dann dazu führte, dass unter Federführung des Papst-Vertrauten Hieronymus 382 die erste Bibel-Revision erfolgte, aus der dann die lateinische „Vulgata“ hervorging, die Bibel, mit der die (katholische) Kirche die nächsten Jahrhunderte arbeiten würde. Auch noch nach Luthers Zeit.

Aber Luther wollte – ganz im Sinne des Humanisten Erasmus von Rotterdam – zurück an die Quellen, die griechischen und hebräischen Vorlagen. Und er wollte noch etwas, was mehrere Autoren des Bandes sehr facettenreich schildern: die Texte nicht nur einfach übersetzen, sondern dolmetschen. Weg vom buchstrabengetreuen eindeutschen hin zu einer echten Übersetzung, die auch den Sinn der Geschichten in der „sächsischen Canzleysprache“ aufleuchten ließ. Die Luther natürlich als Richtmaß nahm, weil sie sich im ganzen Reich als verständliche Sprachnorm verbreitet hatte. Was nicht bedeutet, dass auch die Wittenberger so auf der Straße sprachen. Aber Luther lebte ja mehrfach in einer Übergangszeit, auch einer, in der sich nach und nach das heute von uns gesprochene Hochdeutsch herausbildete.

Wie sehr es sich vom Frühneuhochdeutschen der Lutherzeit und der Gegend, in der Luther lebte, unterscheidet, schildert in diesem Band zum Beispiel Franz-Josef Holznagel.

Danach weiß man dann, warum die Luther-Bibel im 19. Jahrhundert reif war für eine gründliche Revision, deren Ergebnis dann die lange als Standard geltende Luther-Bibel von 1892 war. Die es auch erst nach vielen Jahrzehnten des Ringens um den richtigen Weg einer Modernisierung gab. Denn schon damals war den Bearbeitern klar, dass man zwar die Sprache auf den neuesten Stand bringen musste, sich aber ins eigene Fleisch schnitt, wenn man den Luther-Ton dabei eliminierte.

Denn selbst die Gottesdienste und Lieder in den protestantischen Kirchen waren von diesem poetischen Ton geprägt. Dass das keine Luther-Marotte war und sich der Professor dabei was gedacht hat, erzählt zum Beispiel Corinna Dahlgrün, wenn sie den Sprachkünstler Luther analysiert, der eben genau wusste, wie man Sprache rhythmisch formen muss, damit eingängige Verse, Sätze und Geschichten daraus entstehen. Es ist auch und gerade dieser Ton, der die Luther-Bibel sofort zum Bestseller gemacht hat.

Und das Verblüffende für die Bearbeiter der neuesten Revision ist: Luther hat in den meisten Fällen genau die richtige Übersetzung gefunden, die zwar oft nicht wortwörtlich ist, dafür das Gemeinte aber meist haargenau trifft. Stefan Michel erzählt davon, wie Luther ganz selbstverständlich seine gebildeten Mitstreiter einspannte – nicht nur in die Übersetzungsarbeit, sondern auch nach 1534 zur Überarbeitung der eigenen Bibel. Denn sie forschten ja weiter, konnten neue Erkenntnisse einfließen lassen. Aber Luther feilte sogar noch am Klang und Inhalt jedes einzelnen Verses, so dass sich wichtige Passagen noch in den revidierten Luther-Bibeln zu seinen Lebzeiten änderten. Erst die Revision von 1545 wurde zum Kanon für die nächsten Jahrhunderte. Bis dann auch Bibelkreise und Kirchenvorstände zugaben, dass die Luther-Bibel dringend auf neuesten Stand gebracht werden musste.

Dabei schoss man gern auch mal übers Ziel hinaus – wie bei der Revision von 1975, die dann als „Eimer-Bibel“ in die Geschichte einging. Da lernten dann auch die Neuerer, dass eine Luther-Bibel auch in revidierter Form auf den Klang und die Bilder Luthers nicht verzichten konnte. Das unterschied sie immer – auch von wissenschaftlich fundierten Einheitsübersetzungen. Und das machte sie wirksam – auch im katholischen Raum. Denn Luther verstand es, mit Sprache zu malen. Und wenn heute im deutschen Sprachraum aus der Bibel zitiert wird, dann ist es fast jedes Mal ein eingängiges Zitat aus der Lutherbibel.

Und wie ist das mit Luther, dem Schöpfer der deutschen Sprache? Da ist natürlich was dran. Aber es ist noch viel komplexer, denn das Hochdeutsche erfand er ja nicht. Aber er sorgte mit dieser grandiosen Übersetzung dafür, dass es jetzt auf einmal ein in allen Landen gelesenes Buch gab, das neue, einheitliche Standards setzte. Aber auch da war er nicht allein. Und so erfährt man auch, welche Rolle die Drucker eigentlich spielten, denen das ganze Rechtschreib-Tohuwabohu des 15. Jahrhunderts wahrscheinlich mächtig auf den Keks ging. Sie waren es, die sich auf einen ersten Regelkanon einigten – der dann auch wieder die Luther-Bibel veränderte.

So wird diese Buch tatsächlich zu dem, was der Titel verspricht: Eine Reise in die Entstehungswelt der Luther-Bibel, von der dann auch Margot Käßmann, die Botschafterin des Reformationsjubiläums, begeistert war. In einem ausführlichen Vorwort führt sie ein in die Geschichten und äußert schon mal die wohl berechtigte Vorfreude auf die 2017 erscheinende neueste Revision der Lutherbibel.

Margot Käßmann, Martin Rösel (Hrsg.) Die Bibel Martin Luthers, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2016, 26,80 Euro.

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