Wenn Regina Röhner dranbleibt, dann könnte die kleine Serie, die sie 2012 mit „Eine Kurfürstin in der Küche. Anna von Sachsen und ihre Rezepte“ begann, etwas ganz Besonderes werden: eine Serie über tatkräftige Frauen aus Mitteldeutschland, die Geschichte machten und gleichzeitig auch noch den Haushalt managten. Küche inklusive.

Die Rezepte gibt es quasi als Zugabe, im Fall Katharina Luthers vor allem auch deshalb, weil sie selbst nie ein Kochbuch geschrieben hat. Was über ihre Küche und Martin Luthers Lieblingsspeisen bekannt ist, kennt man vor allem aus seinen Briefen, Erinnerungen seiner Weggefährten und den berühmten Tischreden. Da er etliche Gerichte sehr konkret benennt, kann man natürlich auch einen Teil der Lutherschen Küche rekonstruieren.

Aber darum geht es Regina Röhner eigentlich nur beiläufig. Für sie geht es um die Frau im Mittelpunkt, diese eigensinnige Nonne aus dem Kloster Marienthron bei Grimma, das sie 1523 zusammen mit elf anderen Nonnen heimlich verließ, um dann in Wittenberg zu landen, wo Luther und die Seinen sich emsig bemühten, die entflohenen Nonnen zu vermitteln. Auch die Geschichten, dass Katharina eigentlich schon nach Nürnberg heiraten sollte und Doktor Martin Luther ganz und gar nicht ans Heiraten dachte, kennt man irgendwie. Aber sie schweben meist im Raum, man hat die später entstandenen Bilder der beiden vor sich.

Es braucht wahrscheinlich wirklich dieses weibliche Gefühl für die faktischen Details, um den ganzen schönen Mythos abzukratzen und die beiden in ihrer menschlichen Kompliziertheit zu verstehen. Auch Katharina, die Tochter aus einem armen Adelsgeschlecht, die schon als Kind ins Kloster gegeben wurde, weil ihr Vater ihr keine standesgemäße Heirat finanzieren konnte. Klöster – gerade Frauenklöster – waren in dieser Zeit vor allem Versorgungsanstalten für Töchter aus adeligen Familien. Aber es waren auch kleine Wirtschaftsunternehmen. Denn von Beten allein kann man keine Klostergemeinschaft unterhalten. Es fuhren auch nicht einfach große Lkw vor, die täglich die Klosterküche mit Zutaten versorgten. Es liegt nahe, dass Katharina nach ihrer Aufnahme in die Klostergemeinschaft früh lernte, wie man so einen Betrieb bewirtschaftet, wie gebraut wird, gebacken, gekocht, wie man Viehzucht, Fischzucht und Landwirtschaft organisiert.

Die Nonnen waren zwar abgeschieden von der Welt – aber nicht vom elementaren Leben. Und dazu gehörte nun einmal, dass man lernte, sich selbst zu versorgen. Gerade da, wo die laufenden Einnahmen und Spenden den durchaus beachtlichen Bedarf so eines Klosters nicht abdeckten. Es waren also ganz und gar keine naiven, unerfahrenen Frauen, die da 1523 – möglicherweise in Heringsfässern – aus dem Kloster gelangten.

Lesen konnten sie übrigens auch, was gerade unter Frauen in dieser Zeit eine Seltenheit war. Latein beherrschte Katharina ebenfalls und Luthers Schriften waren wohl auch hinter die Klostermauern geschmuggelt worden. Die Frauen hatten zwar keine Einkünfte, als sie in Wittenberg landeten, aber sie wussten alles, was man zum Betrieb eines großen Hausstandes wissen musste. Oder mal so gesagt: Die wirtschaftliche Grundlage des 16. Jahrhunderts bildeten von Frauen geführte Wirtschaftsbetriebe. Es ist nur ein kleiner Nebensatz, in dem Regina Röhner darauf hinweist, dass zwischen dem damaligen Begriff der Hausfrau und dem, was heutige konservative Schnapsnasen darunter verstehen, Welten liegen.

Natürlich wird das Büchlein, so tief wie Röhner in die Materie eintaucht, zu einer sehr faktenreichen und genauen Lebensgeschichte Katharinas. Man erlebt sie als Gast im großen Bürgerhaushalt des reichen Malers und Apothekers Lucas Cranach, wo sie unterkommt, weil die Suche nach dem richtigen Ehemann doch ein wenig Zeit braucht. Hier habe sie wohl alles andere noch gelernt, was sie zum Betrieb eines großen Bürgerhaushalts brauchte, vermutet Röhner. Die ideale Pfarrfrau, denkt sich auch Luther und will unbedingt, dass sie einen frisch installierten Pfarrer heiratet, einen hochgelehrten Mann. Aber diese Katharina ist keine Frau, die sich einfach vermitteln lassen will. Sie hat Ansprüche. Auch an den Mann, den sie haben will.

Da wird auch Luther gestaunt haben, der noch immer in seinem  Mönchhabit herumlief und im Schwarzen Kloster so eine Art Junggesellenhaushalt hatte, in dem es wohl genauso aussah – ziemlich verwahrlost. Und trotzdem sagte es ihm diese kluge Frau ins Gesicht, dass sie lieber einen wie ihn hätte.

Der Rest ist beinah schon Legende, auch wenn es für Katharina wohl eine Menge Arbeit war. Denn es lag auf ihren Schultern, aus dem von Mönchen verlassenen Kloster einen funktionierenden Wirtschaftsbetrieb zu machen. Was noch viel anspruchsvoller war, weil der berühmte Dr. Luther immerfort Besuch hatte, Gäste aus aller Welt empfing, etliche von ihnen über Wochen oder auch Jahre beherbergte. Hier war keine heimelige Idylle, sondern ein Taubenschlag, erst recht, als Katharina die Mönchszellen auch noch in Studentenquartiere verwandelte. Man ahnt schon, was für ein Betrieb in ihrer Küche geherrscht haben muss und wie wütend sie werden konnte, wenn so ein Hochgelehrter sich am Tisch bedienen ließ, dann aber das Essen nicht zu würdigen wusste. Und von Luther wissen wir, dass er ihre Kochkunst zu würdigen wusste. Da und dort wohl auch ein wenig zu sehr.

Zu Recht bedauert Regina Röhner, dass wir zwar Luthers Briefe an seine „Herr Käthe“ haben, aber ihre nicht an ihren Doktor Martinus, um den sie oft genug bangen musste, denn wenn er unterwegs war, konnte sie sich nie sicher sein, dass er lebendig wiederkam. Die Reichsacht hing über ihm, die kaiserlichen Häscher oder irgendein grimmiger Fürst konnten ihn wegfangen und auf den Scheiterhaufen bringen. Später machten ihm zunehmend körperliche Leiden zu schaffen, mehrmals schrieb er Testamente oder erste Vorstufen dazu, weil er ebenfalls wusste, dass Katharina nach seinem Tod nach damaligem Recht nicht mehr geschäftsfähig war und alles verlieren konnte.

Er habe sie nicht geliebt, als sie zueinander kamen, beteuerte er auch später noch. Er hatte sich in eine andere hübsche Nonne verguckt. Aber die bekam er nicht, weil er zögerte und zauderte. Manche Männer lernt man erst richtig kennen, wenn man weiß, wie sie mit Frauen umgehen. Das Zaudern kann Frauen zur Weißglut bringen. Oder jenen Zipfel von Unsicherheit zeigen, ohne den ein Kennenlernen gar nicht möglich ist.

Haben wir das schon einmal erzählt, wie viele Männer ihr Leben lang eine Rolle spielen und ihre Frauen lernen sie nie wirklich kennen? Bei den beiden war es anders und es entstand – auch nach heftigen Auseinandersetzungen – das, was wohl wirklich eine tiefe Vertrautheit und Liebe war. Auch zu Martins Überraschung. Man merkt auch beim Lesen, wie nach 1523 auf einmal ein turbulentes Familienleben seinen Alltag bestimmte, wie er sich an den Kindern freute, den Hochzeiten der Freunde und Mitstreiter, wie er regelrecht aufblühte in diesem Trubel, der ihm dann und wann doch zu viel wurde. Jeden Tag eine Hochzeit feiern, das verkraftete auch Martin Luther nicht. Und man hat immer diese emsige Katharina vor Augen, die den ganzen Betrieb organisierte und auch noch seine Kinder bekam, selbst schwer erkrankte und sich wieder zurückkämpfte in diesen Alltag. Da saß Luther an ihrem Krankenbett. Und es wird – so altbacken uns Luther zuweilen serviert wurde – ein sehr modernes und sehr gleichberechtigtes Familienbild sichtbar.

Natürlich wird’s am Ende traurig. Wie kann das anders sein? Luther stirbt weitab von ihr, Katharina erlebt seine letzten Stunden nicht mit. Dann kommt auch noch ihre tragische Flucht vor der Pest in Wittenberg nach Torgau, wo sie den Unfall hat, der sie am Ende das Leben kostet. Deswegen ist das von ihren Kindern gestiftete Grabmal heute in Torgau zu sehen, während Luther in der Schlosskirche zu Wittenberg liegt.

Es ist eigentlich Katharinas Lebensgeschichte, die in diesem Büchlein im Mittelpunkt steht, ein Leben voller Betriebsamkeit und Arbeit. Wie die von Luther erwähnten Gerichte damals zubereitet wurden, liest man dann im Anhang – und kann es natürlich besser einordnen, wenn man weiß, welche Zutaten der Garten, die Fischteiche und die Güter der Luthers selbst beisteuern mussten, was Katharina auf dem Markt zukaufen musste oder was es nur als Geschenk gab. Denn Wildbret war ein fürstliches Gut, nur die Adeligen durften jagen – Hirsch und Wildschwein kamen dann als Geschenk in den Lutherschen Haushalt. Die Rezepte laden ein, es einfach selbst mal zu probieren. Es liegt ja auch im Trend der Zeit.

Eigentlich genauso wie der etwas andere Blick auf dieses 16. Jahrhundert, das lange von einer rein männlichen Sicht auf die Dinge dominiert war. Katharina war zwar immer da, irgendwie als die Frau an Luthers Seite. Aber sie verdeutlicht auch wie keine andere Frau jene andere Folge der Lutherschen Reformation: einen gewaltigen Schritt hin zur Gleichberechtigung der Frau. Das wird oft vergessen, wenn man sich auf Fürsten und Bischöfe und Theologen beschränkt und diesen Umbruch als reinen innerkirchlichen Umbruch begreift. Das, was da 1517 begann, hat die westlichen Gesellschaften gründlicher verändert als alle Kriege und Krönungen. Und wenn man das schon nicht in Katharinas Briefen lesen kann – in Luthers Reaktionen kann man es sehr wohl lesen.

Regina Röhner Zu Gast bei der Lutherin, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2016, 9,95 Euro.

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