Für FreikäuferZumindest die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft hält die Erinnerung wach daran, dass Leipzig mal der Geburtsort der organisierten Frauenbewegung in Deutschland war. Und dass die Sache noch lange nicht ausgefochten ist. Der 23. Louise-Otto-Peters-Tag im Jahr 2016 war so eine Art Zwischenbilanz, bei der auch nachgefragt wurde, was aus dem mutigen Beginn von 1791 und dem Beginnen von 1866 geworden ist.

1791 – das war das dritte Revolutionsjahr in Frankreich und das Jahr, in dem die Schriftstellerin Marie Gouze, deren Pseudonym Olympe de Gouge war, ihre „Déclaration des droits de la Femme et de la Citoyenne“ veröffentlichte und damit den Herren Revolutionären regelrecht unter die Nase rieb, dass ihre ganze Revolution wieder nur eine patriarchalische Revolution war und die Frauen weiterhin rechtlos blieben.

Nicht ganz, wie die ersten Beiträge in diesem Tagungsband zeigen. Denn die französische Revolution brachte tatsächlich erste, kleine Verbesserungen für den rechtlichen Stand der Frau. Aber schon Napoleon drehte das mit seinem „Code Napoleon“ fast alles wieder zurück. Und als Frankreich wieder einen dicken König bekam, wurde die Ehe wieder zu einem Kontrollbereich der katholischen Kirche.

Logisch, dass Frauen dann auch in allen folgenden Revolutionen auf den Barrikaden standen. Und trotzdem nicht belohnt wurden. Das Umdenken in der vom katholischen Kontrollwahn besessenen französischen Gesellschaft brachte dann erst intellektuelle Frauen wie Simone de Beauvoir in Gang – hier mit ihrem 1949 erschienenen „Le Deuxième Sexe“, das zumindest den lesekundigen Männern erst einmal klarmachte, dass ihr Bild von Frauen eine (falsche) Konstruktion ist.

Und in Deutschland?

War es im Grunde nicht anders, auch wenn der Auftakt mit der Gründung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF) 1865 in Leipzig furios war und Louise Otto-Peters 1866 den Klassiker mit ihrer Schrift „Recht der Frauen auf Erwerb“ vorlegte. Denn sie hatte begriffen, dass die rechtliche Gleichstellung der Frauen mit den Männern aufs Engste verquickt war mit ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit von den Männern. Und um die rechtliche Gleichstellung zu erlangen, mussten die alten, patriarchalischen Gesetze geändert werden. Der ADF mischte sich ein, als nach der Bismarckschen Reichseinigung 1871 an die Ausarbeitung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gegangen wurde. Doch auch diesmal brachten es die gesetzeschreibenden Herren fertig, die Frauen in ihrer alten Abhängigkeit und Rechtlosigkeit zu lassen. Eben genau das, was Simone de Beauvoir mit „das zweite Geschlecht“ meinte: Die Hälfte der Gesellschaft wurde einfach per Gesetz abgewertet und an zweite Stelle gesetzt – hinter die Männer.

Und so kam es in Deutschland fast genauso wie in Frankreich: Das, was die Frauen des ADF hofften, noch zu ihren Lebzeiten erkämpfen zu können, wurde erst nach 1949 mühsam und gegen den zähen Widerstand änderungsunwilliger Männer errungen. Im Osten sogar ein bisschen mehr als im Westen. Ostfrauen können ein Lied davon singen. Denn für sie wurde das Jahr der Deutschen Einheit in manchen Bereichen wieder ein rechtlicher Rückschritt (für Westfrauen dafür ein echtes Stück Fortschritt). Noch heute aber erzählen die unterschiedlichen Entwicklungen bei Berufstätigkeit und Ehe/Nicht-Ehe in Ost und West davon, dass die Ostfrauen in Sachen Emanzipation tatsächlich schon ein ganzes Stück weiter waren als ihre feministischen Schwestern im Westen. Wofür sie freilich unter den neuen Bedingungen mit Mini-Jobs und schlechter Bezahlung fein systematisch bestraft wurden.

Davon erzählt Uta Schlegelin in ihrem Beitrag im Band – und geht auch auf das Problem dabei ein: Die Frauen in der DDR mussten sich ihre rechtliche Gleichstellung nicht erkämpfen, sie wurde einfach von oben verordnet, weil man eigentlich die weiblichen Arbeitskräfte brauchte – das aber ganz gut mit einer Aufwertung der Frauen verbinden konnte.

Das Problem: Wofür man nicht kämpfen musste, das verteidigt man in so einer Situation wie 1990 auch nicht mit aller Kraft. Viele Ostfrauen fassten sich erst nach diesem Schweinsgalopp in die Deutsche Einheit (von Männern ausgehandelt und unterschrieben!) an den Kopf und fragten sich, wie das passieren konnte.

Natürlich passierte es auch, weil Gleichberechtigung im Gesetz eben noch lange nicht heißt, dass sich auch die Männer geändert haben. Ein Thema, auf das jüngst Carolin Würfel in der „Zeit“ einging, als sie den Umgang der Frauen in ihrer Familie mit Maxie Wanders Buch „Guten Morgen, Du Schöne“ schilderte. Das erschien 1977 in der DDR und sorgte nicht nur dort für jede Menge Aufregung, weil die Frauen im Buch unverblümt über ihr Leben, die Liebe, die Arbeit und auch den nicht so einfachen Umgang mit Männern berichteten.

Eine Suhrkamp-Veröffentlichung sorgte im Westen für eine ganz ähnliche Resonanz.

Denn hier wie dort zeigte das Buch, dass sich die oft bedrückende Stellung der Frau nicht wirklich ändert, wenn sich nicht auch die Männer emanzipieren. Denn ihr Selbstbild ist genauso konstruiert und lebensfeindlich wie ihr Bild von der Frau.

Und das bringt in diesem Sammelband am besten die Literaturwissenschaftlerin Sandra Berndt mit ihrem Beitrag „Liebe und Arbeit – Gefühle und Gerechtigkeit“ auf den Punkt. Sie geht dabei insbesondere auf Louise Otto-Peters’ Roman „Schloss und Fabrik“ von 1846 ein und die darin modellhaft gezeichneten Partnerschaften. Tatsächlich kreist der Roman ja um die Frage „Was ist Liebe?“ Und was hat Liebe mit Arbeit zu tun?

Worauf man ja so als Mann erst einmal nicht kommt. Aber wenn man sich mit den auch schon 1846 gängigen Vorstellungen von Männern, was eigentlich Frauenarbeit ist und sein sollte, beschäftigt, dann landet man genau bei dem, was auch heute unter Care-Tätigkeiten verstanden wird: all das, wo sich Frauen rührend um Kinder, Männer, alte Leute, Kranke usw. kümmern. All diese Tätigkeiten, die jahrhundertelang als selbstverständliche Tätigkeit der Frauen im Haus betrachtet wurde (natürlich unbezahlt, was den sonst?) und was heute zwar teilweise in öffentliche Tätigkeit verwandelt wurde, aber gerade da, wo es um Pflege und Fürsorge geht, noch immer schlecht bezahlt wird.

Oder so ganz modern formuliert: Louise Otto-Peters wusste schon ziemlich genau, wie die (gesellschaftlich unverzichtbare) Arbeit von Frauen durch Männer abgewertet wurde und wird.

Und sie wusste auch, wie dieses Verständnis von „Liebe“ als reine Sorge für andere in der Ehe zur Falle wird – übrigens im Roman auch exemplarisch am männlichen Helden vorexerziert, der tatsächlich überzeugt ist, dass seine völlige Hingabe an die kranke Gefährtin das ist, was man unter Liebe verstehen sollte.

Aber Sandra Berndt schildert das sehr schön, dass eine Liebe ohne Dialog, ohne aufrichtige Partnerschaft keine Liebe ist, sondern bestenfalls eine weitere Form von „selbstlosem“ Egoismus oder neuer Einsamkeit in Zweisamkeit. Und das überraschend Moderne bei Louise Otto-Peters ist eben, dass sie beide Seiten beschreibt und zeigt, dass auch Männer keine Liebe erleben, wenn sie den Weg zu einer gleichberechtigten Partnerschaft nicht finden.

Und man denkt natürlich an die Debatte der Gegenwart, auch an all die bärbeißigen Kerle, die jetzt im Mittelpunkt der #MeToo-Debatte stehen, und man ahnt, dass die Sache mit der Emanzipation der Männer wohl noch sehr lange dauern wird. Und dass sie nach wie vor mit wirtschaftlicher Ungleichheit und ungleicher Machtverteilung zu tun hat. Denn die alten, liebesunfähigen Patriarchen ersetzen ihre Unfähigkeit für Respekt und Empathie durch Rücksichtslosigkeit und sturen Machtwillen. Sie verweigern sich der Mühe zum Dialog, zum Erklären ihrer Beweggründe und dem Ringen um gemeinsame Lösungen, all das, was man braucht, um eine wirklich lebendige Partnerschaft zu gestalten.

Und so nebenbei räumt Sandra Berndt dann auch noch das Narrativ von der Romantischen Liebe beiseite (das heute immer noch ganze Berge von Frauen-Bestsellern und TV-Heimat-Serien bestimmt), denn „Romantische Liebe per se irrt, wenn sie sich mit dem Anderen vollständig identifiziert, sie bringt dann eine Ungleichheit in die Liebe, die die Autonomie und Individualität des jeweiligen Partners nicht für voll nimmt.“

Auch des Mannes: Der mag dann zwar der Herr im Hause sein, aber er erfährt niemals, was eine wirklich erfüllende gleichberechtigte Liebe ist, in der jeder der Liebenden vom Anderen auch volle Akzeptanz erfährt.

Und bevor das jetzt zu lang wird, empfehle ich den Sammelband (mit seinen manchmal etwas wissenschaftlich trockenen, manchmal aber auch schön emotionalen Texten) einfach zum Lesen. Plus Maxi Wanders „Guten Morgen, du Schöne“ und Simone de Beauvoirs „Das andere Geschlecht“.

Sandra Berndt; Gerlinde Kämmerer Die Rechte der Frauen 1791 – 1866 – 2016, Sax Verlag, Beucha und Markkleeberg 2017, 15 Euro.

 

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