2014 erschreckte der Klett Kinderbuch Verlag die Eltern im Land ein bisschen. Da warf der Leipziger Verlag das erste dicke Blätterwerk auf den Markt, in dem die frechen Fragen kleiner Kinder zu Liebe und Sexualität unverblümt beantwortet wurden. So unverblümt, dass man auch als blätternder Erwachsener knallrot werden durfte. Und jetzt gibt’s Nachschlag.

Denn die Sozialpädagogin Katharina von der Gathen hat ja ihre Aufklärungseinheiten mit Kindern und Jugendlichen nicht beendet. Und es scheint in diesen Stunden sehr lebendig zuzugehen. Denn die Kinder sind hochgradig interessiert an dem Thema, das zwar überall in unserer Gesellschaft präsent ist.

Überall wird über Sex geredet, gesungen und Quatsch erzählt. Die Film- und Werbewelt ist hochgradig sexualisiert. Aber eben leider vollgepackt mit falschen Bildern, Erwartungshaltungen und Hochleistungsversprechen, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben.

Logisch, dass nicht nur Biologielehrer/-innen Probleme haben, das Thema noch einigermaßen sinnvoll zu vermitteln (und dann, wenn sie es tun, von rechtsradikalen Heimatzwergen öffentlich angegriffen werden), sondern auch Eltern. Auch aufgeklärte Eltern. Denn die heutigen jungen Eltern sind zwar alle schon in durchaus aufgeklärteren Zeiten aufgewachsen. Aber ihrerseits mit Eltern, die noch unter dem Verdikt „Darüber spricht man nicht“ groß geworden sind. Und so ganz sind die alten Tabus ja nicht verschwunden. Das merkt man immer dann, wenn die Fragen (scheinbar) brisant werden.

Da hilft auch nicht der Verweis darauf, dass das doch „die natürlichste Sache der Welt“ sei. Denn diese „natürlichste Sache” war bislang in allen menschlichen Zivilisationen kulturell eingetaktet und mit Bergen von Tabus zugepackt. Mit fatalen Folgen von der Verteufelung etlicher sexueller Orientierungen bis hin zu den grassierenden Geschlechtskrankheiten, gegen die sich die Menschen nicht schützten. Auch weil sie vieles nicht wussten, was Katharina von der Gathen weiß. Nichts ist ihr zu schleimig, zu blutig oder peinlich.

Was in diesem zweiten dicken Band mit 101 beantworteten Fragen noch viel deutlicher wird. Denn die Fragen, die sie diesmal einsammeln konnte, stammen eindeutig schon von Kindern, die einiges mehr wissen über den Sex, die Liebe und die Überraschungen, die der menschliche Körper bereithält, wenn er in die Pubertät gerät. Oh ja, diese – für manchen schreckliche – Zeit, in der die Schamhaare wachsen, die Mädchenbrüste sich formen, die Stimme bricht, der erste Eisprung erfolgt und Jungen ihre ersten Samenergüsse haben.

Da kennt die Natur nix: Die jungen menschlichen Körper werden aufs Kindermachen vorbereitet. Was die altkluge Gesellschaft dazu sagt, war der menschlichen Natur schon immer wurst. Ihr geht es um lauter neue Babys. Und um junge Leute, die von ihren Hormonen regelrecht darauf fixiert werden, jetzt endlich einen Partner oder eine Partnerin fürs Liebesleben zu finden.

Logisch, dass Sex in diesem Alter eins der wichtigsten Themen ist. Unter anderem. Auch das ist ja ein Irrtum, dass die Jugendlichen nichts anderes mehr im Kopf haben. Das haben sie wohl. Und schön wär’s ja, wenn es nur das wäre und die wild jagenden Hormone nicht ständig alle Aufmerksamkeit verlangten, verwirrende Gefühle erzeugten und Jungen wie Mädchen in völlig ungewohnte Situationen katapultieren würden.

Damit muss man erst mal umgehen lernen. Und ganz gewiss hat Katharina von der Gathen recht, wenn sie die jungen Menschen über alles aufklärt, was da mit ihnen passiert. Nicht drüber reden bringt ja erst die ganze Ratlosigkeit mit sich, aus der einige Menschen dann ihr Leben lang nicht wieder hinausfinden. Und andererseits viel dummes Gerede über Sex, das ihn geradezu zum Leistungssport macht – und bei Misserfolgen zu argen Kratzern im Selbstbewusstsein führt. Und zu jeder Menge bekloppter Filme und Teeny-Romane, die den jugendlichen Lesern und Zuschauern weitere Minderwertigkeitskomplexe und falsche Sehnsüchte verschaffen.

Denn wie geht man um mit Zurückweisungen? Mit dem Gefühl, nicht toll genug zu sein? Mit den leicht erreichbaren Angeboten von Pornografie? Damit, dass die anderen in der Klasse in ihrer körperlichen Entwicklung schon weiter sind? Oder mit den Prahlereien der Freunde, was für tollen Sex sie schon hatten? Oder mit den Tagen, in denen einem oder einer die hormonellen Stimmungsschwankungen so richtig aufs Gemüt schlagen?

Eigentlich, so stellt Katharina von der Gathen fest, ist das alles ja schön, wenn auch ein bisschen verwirrend. Man ist hinterher zwar ein anderer Mensch – aber das ist auch nicht schlechter als vorher. Man hört ja auf, Kind zu sein. Da muss jeder durch. Oder darf jeder durch. Dass das ausgerechnet in der Zeit stattfindet, in der man in der Schule Höchstleistungen bringen muss, ist natürlich ein Problem. Aber jede und jeder lernt mit der Zeit, den neuen Zustand des Körpers gut zu finden. Auf einmal ist eine Menge mehr los im Kinderzimmer-Kosmos. Und wer fragt, merkt dann auch, dass selbst die coolsten Eltern erröten und verstummen.

Was nicht nur mit Tabus zu tun hat, sondern auch mit Privatsphären. Es gibt auch in Familien Räume und Zeiten, die möchten auch Eltern nicht mit ihren Kindern teilen. Auch das muss man lernen. Genauso wie umgekehrt.

Also verblüfft es gar nicht, dass die Kinder noch einmal über 100 neue Fragen hatten zu einem Thema, das immer neue Fragen mit sich bringt, wenn man erst mal ein paar beantwortet hat. Und viele drehen sich – da ja nun einmal die Pubertät im Mittelpunkt steht – ums ganz Körperliche. Und wie man lesen kann, lassen sich die jungen Menschen durch nichts abschrecken. Sie wollen alles wissen.

Was ja auch eine echte Hilfe für Eltern ist, wenn eine Frage einfach zu knifflig ist. Da hat man am besten jetzt beide Teile von „Klär mich auf“ zur Hand, blättert einfach zur richtigen Frage – und manchmal lernt man auch was dabei. Und Spaß macht das Ganze auch noch, denn Anke Kuhl hat auch diesmal wieder lauter witzige Illustrationen dazu geliefert, die den Spaß meist noch ein bisschen weitertreiben und Kinder wie Erwachsene in verblüffenden Verwirrungen zeigen. Hat man ja auch schon fast vergessen, dass Liebe und Sex eigentlich Spaß machen. Auch weil sie uns meist so nackt und unerfahren zeigen, wie wir wirklich sind. Wir ach so eitlen Menschen und Erwachsenen.

Katharina von der Gathen Klär mich weiter auf, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2018, 15 Euro.

Das große Rettungs-Blätterwerk für Eltern und ihre (pubertierenden) Kinder: Klär mich auf!

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