Der Titel, den der ƶsterreichische Journalist und Krimi-Autor GĆ¼nther ZƤuner seinem Buch gegeben hat, verlockt den Leser natĆ¼rlich dazu, zu meinen, jetzt einen Thriller oder gar einen Horrorroman in die Hand zu bekommen. Aber ZƤuners SpezialitƤt ist eigentlich der politische Krimi. Und hochpolitisch wird es auch in diesem Fall, der den Historiker Erich Honegger nach Zwickau in Sachsen entfĆ¼hrt und mitten hineinbringt in jene ostdeutschen VorgƤnge, bei denen man sich zu Recht fragt: Wer zieht da eigentlich die Strippen?

Insofern darf man den Apostroph im Titel durchaus vermissen, denn eigentlich geht es um die Fratze des Janus, jenes zwiegesichtigen rƶmischen Gottes, der sich als Januskƶpfigkeit bis heute in unserem Sprachgebrauch erhalten hat. Und es geht nicht nur um eine Januskƶpfigkeit in diesem Buch ā€“ etwa Erich Honeggers Problem, der nach einem Jagdunfall sein Gesicht verloren hat und Ć¼berglĆ¼cklich die Chance bekam, von einem Unfallopfer ein neues Gesicht transplantiert zu bekommen.

Ein Gesicht, das ihn in erhebliche Konflikte bringt bei seiner Reise in die alte Heimat, wo man dieses Gesicht ganz und gar nicht vergessen hat, denn es gehƶrte einem Stasi-Mitarbeiter und Aufseher im Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau.

Darauf deutet auch das schon fĆ¼r den Titel verwendete Foto hin: Es ist eine Arrestzelle im ehemaligen Jugendwerkhof, der wie keine andere Einrichtung dieser Art fĆ¼r das verachtungsvolle MenschenverstƤndnis der DDR-Regierung im Allgemeinen und der ab 1963 amtierenden DDR-Bildungsministerin Margot Honecker im Besonderen steht, die die Verantwortung trug fĆ¼r das finstere Korrektionssystem der Jugendwerkhƶfe.

Ɯberall im Land wurde von einem stolzen sozialistischen Menschenbild schwadroniert. Aber in Wirklichkeit hegten die FunktionƤre eine regelrechte Verachtung fĆ¼r Menschen, die keine Opportunisten und Karrieristen waren.

Gerade junge Menschen erlebten in der Honecker-DDR sehr schnell, wie sie in den Augen dieser gefĆ¼hllosen Machthaber zu ā€žRowdiesā€œ, ā€žDrĆ¼ckebergernā€œ und ā€žAsozialenā€œ wurden. Und dass Erziehung bei diesen Leuten hieƟ: den Charakter brechen, Menschen so lange quƤlen und zermĆ¼rben, bis sie jeden menschlichen Widerstand aufgeben.

Da haben wir Ć¼brigens das zweite Janus-Bild, das ZƤuner auch selbst benennt: ā€žSowohl Erich Honecker als auch seine Frau Margot waren Opportunisten mit Januskƶpfen. Nach auƟen prƤsentierte man eine liberalere Jugendpolitik, hinter den Kulissen spielte sich im Geheimen die Repression weiterhin ab.ā€œ

Das klingt sehr heftig. Aber es ist nur zu verstƤndlich, wenn man die Passagen im Buch zum Jugendwerkhof Torgau gelesen hat. Die jungen Menschen, die dort ā€“ ohne Gerichtsbeschluss und in der Regel ohne einen wirklich konkreten Tatvorwurf ā€“ zur Korrektion eingeliefert wurden und nicht mal wussten, wie lange sie hier eingesperrt werden sollten, waren gezeichnet fĆ¼rs Leben. Und sind es noch, wenn sie mit dieser Erfahrung bis heute Ć¼berlebt haben.

Und es gibt noch ein drittes Janus-Motiv im Buch, eines, das uns mitten hineinfĆ¼hrt in die ostdeutsche Gegenwart mit ihren erschreckenden Wahlergebnissen fĆ¼r eine rechtsradikale Partei und einem Auftrumpfen rechtsextremistischer Netzwerke, die sich mit AnschlƤgen und Demonstrationen immer offener in die Ɩffentlichkeit wagen. Und man weiƟ nicht wirklich, wer hinter diesen Netzwerken die FƤden zieht, auch wenn man einiges Ć¼ber die Personen weiƟ, die da zum Beispiel bei der IdentitƤren Bewegung sichtbar werden, deren Spuren nicht nur in diesem Buch auch nach Ɩsterreich fĆ¼hren.

Und andere Spuren fĆ¼hren nach Russland. Und wieder andere in eine unbewƤltigte DDR-Vergangenheit, der augenscheinlich immer noch viele Ostdeutsche nachtrauern. Wenn nachtrauern das richtige Wort ist und wir es nicht tatsƤchlich mit Menschen zu tun haben, die nie gelernt haben, ein freies und selbstverantwortliches Leben zu fĆ¼hren, und die sich zurĆ¼cksehnen in ein System, in dem sie keine Verantwortung tragen, sondern nur noch Befehlen gehorchen mĆ¼ssen. Wo Opportunismus belohnt wird, wo man also einfach zum BefehlserfĆ¼ller und MitlƤufer wird, sein Gewissen in der Garderobe abgibt. Oder wo auch immer.

Man merkt schon, dass GĆ¼nther ZƤuner diese ostdeutschen VorgƤnge doch sehr genau beobachtet (und zu den Orten der Handlung eine Menge recherchiert hat) und sie auch mit seinen ƶsterreichischen Erfahrungen interpretiert. Denn diese Art kraftmeiernder Opportunismus mit rassistischem SchmƤh, den kennt auch die Alpenrepublik mittlerweile nur zu gut. Samt den ach so braven BĆ¼rgern, die es fĆ¼r einen Akt der Freiheit halten, ihr Kreuz bei Leuten zu machen, die die nationalistische Karte unters Volk verteilen. Oh ja, das Wƶrtchen Volk, bei dem die so Angefixten geradezu in Schunkelstimmung kommen.

Es kommt auch in diesem Buch vor. Denn Erich Honeggers Reise nach Zwickau lƶst eine Kette von Ereignissen aus, bei denen nicht nur zwei seiner GesprƤchspartner gewaltsam zu Tode kommen, sondern er selbst (mit dem Gesicht jenes einstigen Jugendwerkhof-BĆ¼ttels) Leute aus der Deckung lockt, die seit Jahren daran arbeiten, die Macht mit Waffengewalt an sich zu reiƟen.

Und weil er nur zu gern wissen will, wessen Gesicht er da trƤgt, erfƤhrt er natĆ¼rlich auch, wie dieser Mann in einem beschaulichen ƶsterreichischen Nest zu Tode kam. Wobei ihm dabei ein ziemlich aalglatter ƶsterreichischer Boulevard-Journalist namens Ossi Manhart hilft, der ziemlich frĆ¼h ahnt, dass diese Honegger-Geschichte Stoff fĆ¼r einen richtigen Scoop bietet und der dafĆ¼r auch seine Existenz riskiert.

Es wird also fĆ¼r die beiden Helden der Geschichte im Verlauf der Ereignisse zunehmend brenzlig, erst recht, nachdem sie in Grimma einen alten FunktionƤr verƤrgert haben, der in seiner Nachbarschaft sowieso schon als bƶsartig, unzufrieden und hasserfĆ¼llt aufgefallen war. Und der augenscheinlich bestens vernetzt ist in einer Untergrundgruppe, die wie die RAF operiert, aber mit Rechtsextremen aufs Engste verbandelt ist. Und die sich auch gleich mal ā€žWir sind das Volkā€œ nennt (WSDV).

Allein das schon ein Schachzug, mit dem ZƤuner seine ganze Skepsis gegenĆ¼ber diesen verbitterten, rachsĆ¼chtigen Leuten deutlich macht, die sich in Online-Netzwerken und auf den StraƟen als ā€ždas Volkā€œ gerieren und mit der Parole natĆ¼rlich auch versuchen, den Eindruck zu erwecken, sie seien tatsƤchlich die Mehrheitsgesellschaft. In ā€žJanus Kopfā€œ wird das Ganze noch ein wenig tiefgƤngiger, weil diese Untergrundgruppe augenscheinlich handfeste UnterstĆ¼tzung aus Russland bekommt, wobei vƶllig offenbleibt, ob sie nicht gar von dort aus gesteuert ist.

Dass mit dieser Truppe nicht zu spaƟen ist, merken Manhart und Honegger schon bald, auch wenn ihre Abenteuergeschichte tatsƤchlich erfolgreich zu enden scheint ā€“ mit Auftritten in Talkshows, die die beiden vor allem nutzen, um die Erinnerung an die brutalen Schicksale der im Jugendwerkhof Torgau einst Eingesperrten zu erinnern, und mit einem Bestseller, mit dem Ossi Manhart sich als investigativer Journalist rehabilitiert.

Aber am Ende hat ZƤuner dann doch noch eine schwarze Pointe fĆ¼r seine Leser eingebaut, bevor er in einem recht umfangreichen Anhang kurz erzƤhlt, was fĆ¼r eindrucksvolle SehenswĆ¼rdigkeiten man in Zwickau findet, was man zum Widerstand im Osten wissen muss, zum Thema Gesichtstransplantation und vor allem zum Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau, der ja symbolisch steht fĆ¼r ein System, das einen bestimmten ā€žErzieherā€œ-Menschenschlag geradezu hervorgebracht hat, der keine GefĆ¼hle und kein Gewissen kennt.

Und der 1989/1990 in der Regel eiligst das MƤntelchen in den Wind hƤngte, wƤhrend die in Torgau Schikanierten jahrzehntelang um Anerkennung ihrer Leiden und ein bisschen EntschƤdigung kƤmpfen mussten.

GĆ¼nther ZƤuner ā€žJanus Fratzeā€œ, Lychatz Verlag, Leipzig 2019, 19,95 Euro.

 

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