Die Reise nach Torgau lohnt sich – auch nach dem großen Reformationsjubiläum 2017, als es ja nicht nur in Sachsen große Ausstellungen gab und zuvor gewaltige Anstrengungen, historische Gebäude, die mit Luther und der Reformation etwas zu tun hatten, wieder nutzbar zu machen. Das einst Georg Spalatin gehörende Haus in der Katharinenstraße 8 in Torgau ist dabei etwas Besonderes. Nicht nur wegen Spalatin.

Georg Spalatin ist jener berühmte Berater Friedrichs des Weisen, der die Verbindung zu Martin Luther hielt und damit letztlich ermöglichte, dass das Kurfürstentum Sachsen zum Ausgangspunkt der Reformation werden konnte. Er organisierte Luthers Rettung auf der Wartburg. Er war Beichtvater und Geheimschreiber des Kurfürsten, der neben Wittenberg Torgau auszubauen begann als prachtvolle Residenz, würdig eines Fürsten, der sogar als möglicher Anwärter auf den Kaisertitel gehandelt wurde. Und es war ein Fürst, der sich darum sorgte, dass seine treuesten Unterstützer auch versorgt waren, wenn sie nicht mehr im Dienst des Fürstenhauses standen.

So kam auch Spalatin zu einem Haus: 1523 belehnte ihn Friedrich der Weise mit dem Priesterhaus, das zu dieser Zeit noch in einer Sackgasse stand, möglicherweise auch gar nicht zugänglich war von der Gasse aus, die Im Sack hieß und heute die Katharinenstraße ist. Mit dem Haus, das Friedrich der Weise 1494 hatte errichten lassen, war ein Altarlehen verbunden, was Spalatin auch Einkünfte sicherte. Mit der Erbauungszeit um 1494 ist es wohl das älteste Priesterhaus, das heute noch in Sachsen existiert. Die bekannteren Priesterhäuser in Zwickau werden auf 1521 datiert.

Und dass es die Zeiten überstand, hat vor allem damit zu tun, dass es bis 2011 tatsächlich bewohnt war. So hatte 2011 der Förderverein für Denkmalpflege, der sich seit 2006 schon rührig um die Restaurierung eines Handwerkerhauses aus der Renaissance bemüht hatte, die einmalige Chance, das Priesterhaus für 2.500 Euro zu erwerben und mit Unterstützung mehrerer Fördergeldgeber etappenweise zu sanieren.

Ganz sicher half dabei auch der Name Spalatin, der ja tatsächlich eine Zeit lang hier wohnte. Damit passte das Haus ideal in die Vorbereitungen des Reformationsjubiläums, auch wenn das Haus nur zehn Jahre im Besitz Spalatins war, der schon 1526 seine Pfarrstelle in Altenburg antrat.

Doch sei wohl davon auszugehen, dass er in den wenigen Jahren, in denen er in Torgau wohnte, auch die namhaften Reformatoren immer wieder zu Gast hatte, betont etwa Oberbürgermeisterin Romina Barth im Grußwort.

Das Buch, das Jürgen Herzog und Elfie Werner jetzt für den Torgauer Geschichtsverein herausgegeben haben, rekonstruiert nicht nur die Baugeschichte des Hauses, sondern auch die nachweisbaren Besitzer, sodass etwas sichtbar wird, was sonst kaum jemals so lebendig erfahrbar wird: dass auch so ein Haus seine Schicksale hat, sich immer wieder verwandelte, neuen Wohn-und Nutzungsbedürfnissen angepasst wurde und die Zeiten überdauerte, weil immer neue Generationen auch flickten, um- und anbauten.

Besonders ausführlich sind die Kapitel, in denen Denkmalpfleger und Baubetreuer erzählen, was sie bei der Untersuchung der Bausubstanz alles an älteren Umbau- und Nutzungsspuren fanden, wie sie die ursprünglichen Verhältnisse rekonstruierten und dann in einem intensiven Abwägungsprozess zu der Lösung kamen, die seit 2017 in der Katharinenstraße 8 besichtigt werden kann.

Denn besonderen Wert legte man natürlich darauf, das Wohnumfeld von Priestern der Reformationszeit möglichst wieder herzurichten, sodass es dem Ursprungsgebäude möglichst nahekommt. Ganz ließ sich das Gebäude nicht wieder in den Ursprungszustand zurückführen. Das macht das im Buch abgebildete Modell des ursprünglich komplett als Fachwerkbau errichteten Hauses deutlich.

Später wurden gerade die Mauern im Erdgeschoss durch Steinmauerungen ersetzt. Die Treppe im Haus veränderte immer wieder ihren Platz, je nachdem, wie sich die Raumzuschnitte veränderten. Immerhin lebten und arbeiteten auch lange Zeit Handwerker im Haus, wohnten teilweise bis zu vier Mietparteien auf dem Grundstück, wurden Hofgebäude an- und ausgebaut. Und das Fachwerk war teilweise ebenso von den Witterungseinflüssen mitgenommen wie das Dach heftig in Schieflage geraten war.

Das wirkt auf den ersten Blick sehr technisch. Aber gerade weil detailliert erzählt wird, welche Lösungen Denkmalpfleger und Baufachfirmen für jedes einzelne Problem finden mussten und welche Kompromisse dabei umzusetzen waren, zeigt das Buch auch ganz ähnlich wie Achim Ilchmanns Bücher zur Rettung des Rokoko-Stadthauses „Zum güldenen Heer“ in Erfurt, wie spannend und aufregend die Wiedernutzbarmachung solcher Kleinode ist. Gerade dann, wenn man vor der Frage steht, wie viel man vom Ursprünglichen eigentlich retten kann und was nachempfunden werden muss. Oder soll.

Da ist das Knowhow der Handwerksfirmen gefragt, genauso wie das Fingerspitzengefühl der Bauherren, die im Fall Katharinenstraße 8 schon frühzeitig planten, das Haus zum Teil der in Torgau zu besichtigenden Bauwerke der Renaissancezeit zu machen.

Womit Torgau auf der Landkarte der Reformation tatsächlich ein Alleinstellungsmerkmal hat, denn es gibt keine vergleichbare Stadt, die so viele unterschiedliche Gebäude aus dieser Zeit in ihrer unterschiedlichen Nutzung zeigen kann – vom kurfürstlichen Schloss über das prächtige Bürgermeisterhaus bis zu diesem Priesterhaus, in dem heute wieder eine Priesterstube ahnen lässt, wie ein Geistlicher im späten 15., frühen 16. Jahrhundert lebte.

Etliche Fotos in diesem Buch zeigen nicht nur das Baugeschehen, manche zeigen auch den Zustand des Hauses vor der Rettung. Das beklemmendste ist eigentlich das Foto von Manfred Bräunlich aus dem Jahr 1968, das zeigt, wie heruntergekommen die Häuser in der Katharinenstraße damals schon waren. Auf ihm ist auch noch das eindrucksvolle Nachbarhaus zu sehen mit seinem Sitznischenportal, das wenige Jahre später wegen Baufälligkeit abgerissen wurde. Da verblüfft es schon, dass das einstige Priesterhaus bis 2011 bewohnt blieb und damit auch bewahrt wurde.

Dass die Rekonstruktion des Hauses am Ende rund 1,2 Millionen Euro kostete, erzählt natürlich auch von dem Spagat, der immer eingegangen werden muss, wenn man so ein historisch einmaliges Gebäude nach Jahrhunderten der Nutzung und mit all den durch die Zeiten verursachten Schäden möglichst substanzschonend wiederherstellen und – in diesem Fall – für museale Nutzungen einrichten möchte. Das umfasste auch den gepflasterten Hof, archäologische Untersuchungen (natürlich wurde auch nach dem Standort der einstigen Latrine gesucht) und die Installierung eines Vortragsraums im Hofgebäude.

Heute wird im Haus nicht nur Georg Spalatin gewürdigt, sondern auch Johann Walter, der in Torgau tätige „Urkantor der evangelischen Kirchenmusik“. Und das Haus ist Teil des „Torgauer Museumspfads“, auf dem man die Residenzstadt der Lutherzeit in vielen verschiedenen Facetten erleben kann.

Jürgen Herzog, Elfie Werner (Hrsg.) Das Priesterhaus Georg Spalatins in Torgau, Sax-Verlag, Beucha und Markkleeberg 2020, 19,80 Euro.

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