Dieses seltsame Jahr 2020 mit seinen abgesagten Konzerten und Tourneen hat so manchen zum Nachdenken gebracht, nicht nur über Gott und die Welt, sondern auch über das, was einem wichtig ist im Leben, was einen antreibt und einem das Herz aufschließt. Lauter Dinge, die auch treue Anhänger einer der beliebtesten A-Cappella-Bands des Landes umtreibt. Denn vergessen sind die Wise Guys nicht. Und eigentlich hat auch nur Corona Daniel „Dän“ Dickopf zum Kürzertreten gezwungen

Sonst hätte er mit seiner Nachfolger-Gruppe „Alte Bekannte“ auch 2020 wieder ein volles Reiseprogramm gehabt und eher keine Zeit für schöne lange Gespräche in einer Kölner Kneipe mit Bernd Becker, Journalist und Geschäftsführer des Luther-Verlags, gefunden. Es ist eher erstaunlich, dass nicht noch mehr Interviewer diese Chance genutzt haben. Denn die gewöhnliche Kulturpresse macht so etwas immer seltener. Meistens einfach deshalb, weil man die Leute nicht mehr hat, die so etwas können, die in Gesprächen mit Berühmtheiten nicht selbst glänzen und recht haben wollen. Die Tugend des Zuhörenkönnens stirbt.Aber in diesem Fall ist nicht mal der „social media“-Quatschladen dran schuld, wie Dickopf eher beiläufig feststellt. Denn natürlich unterhalten sich die beiden auch über den Ruhm, das Berühmtwerden und die Rolle der Medien. Und das Ergebnis ist betrübend, denn nicht nur Lokalzeitungen haben ihre kulturelle Kompetenz fast alle eingebüßt.

Die Kulturredaktionen waren das Allererste, das abgebaut wurde, als die Sparrunden in den Zeitungsredaktionen begannen. Die einstmals fest angestellten Kulturredakteure wurden durch Freelancer ersetzt, Volontäre oder Praktikanten, die das dann eher als Bringepflicht verstanden, nicht als echte harte Arbeit. Und auch nicht als Aufgabe, den Lesern die Vielfalt der Kultur aufzuschließen. Auch deshalb ist das Wohlergehen der Kulturmacher unseren Corona-Politikern so herzlich egal.

Wer keine Stimme hat und keine Präsenz, den fragt auch niemand. So gesehen war der 25-jährige Erfolg der Wise Guys sogar ein erstaunliches Phänomen, denn auch die Radiosender der Republik ignorierten diese Sängertruppe aus Köln. Eine Bestandsaufnahme, die auch andere deutschsprachige Musiker/-innen machen können. Deutsche Radiosender schielen schon seit Jahrzehnten nur noch auf die Quote und spielen deshalb alle dieselben Hitlisten rauf und runter, immer dieselben Songs aus der Plattenküche. Für Entdeckungen fehlt dort der Platz, meist auch die Kompetenz, der Mut und das Gespür sowieso.

Und trotzdem sangen sich die Jungs aus Köln in die Herzen eines immerfort wachsenden Publikums, füllten immer größere Hallen und zeigten, dass auch mit a cappella echter stimmungsvoller Pop zu machen war. Was vielleicht einfach mit dem Mut der Jungs zusammenhing, die ganz harte Tour von ganz unten durchzusingen – angefangen mit Straßenmusik, wo man die Vorübereilenden mit wirklich guten Darbietungen einfangen muss – aber auch lernen muss, wie frustrierend es ist, wenn der Funke nicht überspringt.

Der Erfolg kommt nun einmal erst dann, wenn die oben auf der Bühne einen Weg finden zur Begeisterung der Leute unten im Saal, wenn da etwas Menschliches überspringt. Und zwar möglichst immer, bei jedem Konzert. Auch dann, wenn es innerhalb der Band mächtig kriselt wie auf der Abschiedstournee der Wise Guys, auf denen die Fünf noch einmal zeigten, wie professionell sie geworden sind. Auch wenn dabei Freundschaften endeten, über die Daniel „Dän“ Dickopf natürlich auch erzählt.

Denn das meiste, was einem wirklich wichtig ist im Leben, kann man nur machen, wenn man Menschen findet, mit denen man wirklich durch dick und dünn gehen kann. Dazu gehören nun einmal auch Freunde, die einen begleiten bei solchen durchaus mutigen Projekten wie einer A-Cappella-Band.

Wise Guys – Wir werden Euch vermissen

Aber wie ist das dann mit Heimatliebe und der besonderen Beziehung zu Köln? Darf man das fragen? Becker fragt es und trifft bei Dickopf auf einen, der mit dem ganzen Heimattamtam gar nichts anfangen will. Warum auch? Es ist der erste Schritt zur Überheblichkeit, dazu, sich als etwas Besseres zu fühlen als andere Leute. Zum Beispiel die aus Bielefeld. Leipzig kennt ja diese lokalen Ego-Blähungen auch, meist hervorgebracht von Leuten, die zwar wissen, was PR ist, aber selbst keine schöpferischen Beziehungen zum Ort haben. Also auch nicht wissen, was eine Millionenstadt wie Köln für ihre Bewohner so lebenswert macht und anregend. Und was ihnen selbst bei der Heimkehr aus der Eifel das Gefühl gibt, nach Hause zu kommen.

Das können nämlich wirklich nur die erzählen, die in einer Stadt zu Hause sind und die Menschen hier mögen, die Mentalität, manchmal auch besondere Orte wie den Dom oder die Kneipen, die es in Köln noch gibt. Manchmal kann man es nicht mal benennen, man spürt es nur. Was nicht ausschließt, dass man sich auch an anderen Orten der Welt wohlfühlt oder sich auch dem Publikum in anderen Städten nah fühlt. Auch wenn das manchmal schwer ist, denn nicht alle gehen so aus sich heraus wie die Kölner.

Man merkt schon bei Dickopfs langen Antworten, dass er sich ein Leben lang Gedanken gemacht hat über die Verschiedenheit der Menschen, ihre seltsamen Träume und Narreteien. Einige seiner bekanntesten Lieder werden zwischen den Antworten zitiert. Und sie zeigen einen Texter, dem kein menschliches Thema wirklich fremd ist – der aber immer bemüht war, klare, singbare Zeilen zu schreiben und dabei mit Überraschungsmomenten, Pointen und der Fähigkeit zur Selbstironie zu arbeiten.

Denn auch wenn er menschliche Schwächen aufs Korn nimmt, merkt man immer, dass er sich selbst nie ausklammert. Auch dann nicht, wenn es traurig wird, denn Liebe, Sterben und Depression kommen natürlich auch drin vor. All die schwierigen Dinge im Leben, ohne die das Leben aber nicht zu Herzen geht. Ein Thema, bei dem er auch mit den heutigen Comedians ins Gericht geht. Denn wer seine Witze nur damit generiert, dass er über andere Leute herzieht, der ist nicht wirklich lustig. Der bedient eigentlich das Schäbigste in den Menschen und stachelt sie gegeneinander auf.

Man ahnt so ein wenig, warum die Programme der Wise Guys so viele Menschen berührt haben und sie sich in den Liedern wiedererkannt haben. Und warum sie auch nach drei Jahren noch trauern, auch wenn die Mitglieder der Band dann ihre eigenen neuen Projekte aufgezogen haben, so wie Daniel „Dän“ Dickopf die „Alten Bekannten“.

Und wo schon im Titel von Gott die Rede ist: Natürlich fragt Becker auch nach Religion und Katholischer Kirche. Und so wird auch ein ganz gegenwärtiges Thema angeschnitten und die durchaus berechtigte Frage, warum sich die katholische Kirchenhierarchie so schwertut, von ihren alten Ritualen und Verleugnungen zu lassen. Was ja noch eine zusätzliche Dimension bekommt in unserer Zeit, in der so viele Menschen nicht nur einsam, sondern ratlos sind und ihre Hilflosigkeit in Wut und Hass verwandeln, in Ausgrenzung und Selbstgerechtigkeit.

Als wären immer irgendwelche anderen an ihrem Schicksal schuld und sie selbst hätten nicht mal die Kraft, ihr Leben selbst am Schopf zu packen. „Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie davon gehört, dass aus Hass etwas Gutes entstanden wäre“, sagt Dickopf. „Diese Überzeugung müsste mir erst einmal jemand widerlegen. Und wenn man dann noch die Erkenntnis gewinnt, dass nämlich Hass nur Schlechtes, Kummer, Leid und Not erzeugt, dann muss man sich einfach vom Hass abwenden.“

Wobei er sehr genau weiß, dass es vor allem Einsamkeit und Verunsicherung sind, die Menschen anfällig machen für Hass. Aber da kommt man wirklich nur heraus, wenn man seine Einstellung zum Leben ändert und den Mut findet, wieder rauszugehen, mit anzupacken, zu helfen und sich einzubringen. Etwas, was Dickopf freilich auch nur bei wenigen katholischen Pfarrern sieht.

So gesehen ist die (katholische) Kirche Teil unserer gesellschaftlichen Kümmernisse und lebt eindeutig nicht die Armut und Offenheit eines Jesus vor. Da kann man als Mitglied dieser Kirche schon ins Grübeln kommen. Und als kirchenfreies Mitglied unserer Gesellschaft ebenfalls. Denn die unberatenen Kirchenoberhäupter stehen da ja leider in bester (Männer-)Gesellschaft der Selbstgerechtigkeit, Verleugnung und des zelebrierten Egoismus.

Und damit erzeugen sie leider genau die Unsicherheiten, die Menschen anfällig machen für die Sehnsucht nach einen „starken Mann“ oder „Erlöser“. Das fehlende Selbst-Vertrauen wird zur Suche nach einem, auf den man alle seine Sehnsüchte projizieren kann. Das aber hat mit einem selbst gestalteten Lebensweg nichts mehr zu tun.

Der entsteht erst so, wie es Daniel „Dän“ Dickopf hier über seinen Werdegang zum Sänger erzählt, gewiss auch aus dem Vertrauen von Eltern, wie er sie wohl hatte, die ihren Kindern den Rücken stärken, aus ihren Wünschen etwas Handfestes zu machen.

Vielleicht fehlt es daran heute zu viel. Denn dieses seltsame Recht, anderen Leuten immerfort zu sagen, „wo es langgeht“, hat nun einmal genau das zur Ursache: Die falsche Überzeugung, dass man selbst den einzig richtigen Weg kennt. Also die übliche Einbahnstraße derer, die sich Umwege und Suchen nach den eigenen Möglichkeiten immer erspart haben. Oder feige ausgewichen sind, wenn es darum ging.

Vor jenen kühnen Momenten, von denen Dickopf zu Beginn der Kneipengespräche erzählt, wo es um die ersten Anfänge in der Schulband ging und die Entscheidung der Jungen, die sich da zusammengefunden haben, die Sache nun richtig anzupacken und sich rauszutrauen – erst mal auf Familienfeste und Firmenfeiern und dann auf immer größere Bühnen. Den Mut findet man aber nur, wenn man es ausprobiert, wenn man sich den Augen, Ohren und Urteilen anderer Menschen aussetzt.

Erst daraus entsteht die Professionalität, die diese Künstler auch nach Jahrzehnten noch beherzt nach vorn treten lässt, egal, wie groß das Lampenfieber ist, und so gut sein lässt, wie sie es in dem Moment vermögen. Auch in Dankbarkeit den Menschen gegenüber, die da unten stehen und einfach nur richtig gut unterhalten werden wollen.

So nebenbei merkt man beim Lesen natürlich auch, dass einem wie Daniel „Dän“ Dickopf nicht nur dieses Publikum fehlt, sondern unsereinem auch das Erlebnis im Publikum, dieses einfach mitgerissen werden und zu merken, dass Musik etwas Gemeinsames ist, das man mit sehr vielen Menschen teilen kann.

Gerade weil es in diesen Gesprächen gar nicht hochphilosophisch zugeht, erwärmt das Buch beim Lesen, als säße man die ganze Zeit dabei und würde nur zuhören müssen, wenn einer erzählt, wie aufregend das Leben sein kann, wenn man die Dinge nur mutig anpackt und sein Bestes geben will. Und zwar für Menschen, selbst wenn sie so unterkühlt reagieren wie die Franken. Der eine kann es besser zeigen als der andere, wenn ihn etwas wirklich vom Hocker reißt.

Aber selbst in diesem Corona-Jahr war kein Anlass, zu verzagen und den Mut zu verlieren. Im Gegenteil. Wer es genutzt hat, hat die Zeit für richtig lange Kneipengespräche gefunden. Oder eben anderswo, wo man zu zweit mal übers Eingemachte reden konnte. Was man ab und zu schon mal tun sollte, sonst vergisst man es zu leicht, dass das, was man aus seinem Leben macht, in den eigenen Händen liegt.

Daniel „Dän“ Dickopf Sommer ist, was in deinem Kopf passiert, Luther-Verlag, Bielefeld 2021, 15 Euro.

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