Manchmal macht das (Deutsch-)Lehrersein richtig quälenden Spaß. Was? Wie?, fragen Sie sich sicher jetzt. Das passt doch überhaupt nicht zusammen. Manchmal landet man als Pädagoge eben doch in den Selbstzweifeln, nah am Burn-Out, wenn man sich fragt, ob man alles richtig gemacht hat im Ausdrucks- oder Orthographieunterricht mit unserer heranwachsenden Generation.

Vor den Tests und Klausuren der 10. und 11. Klassen immer schon vorher warnt, dass „vor allem“ und „immer noch“ eben NICHT zusammengeschrieben werden. Oder heißt es nicht vielleicht doch „zusammen geschrieben“? Nein. Denn die Kooperation mit dem Lehrer oder der Lehrerin ist während einer Leistungskontrolle ebenso wenig erlaubt wie mit dem Nachbarn oder der Nachbarin.

Und was „ließt“, nein, was „liesst“ – auch falsch – liest man nicht alles, wenn die Aufsätze und Klassenarbeiten am Schreibtisch vor einem liegen und man sich im „Korrekturexil“ befindet. Könnte man direkt eine Abiturzeitung mit sprachlichen Pannen und semantischen Unklarheiten füllen, wenn nicht schon die Orthographie den wichtigsten Stolperstein für eine korrekte Schreibnorm darstellte.

Da ist auch ein Austausch unter den Fachkolleg/-innen mal quälend, mal lustig, mal bedenklich. Während man mit der Ethikkollegin noch gemeinsam schmunzelt, wenn man Zeilen liest wie „Die Moslems beten Richtung Neckar“, kommt man in der 11. Klasse schon ins Grübeln bei den „Vrefeltaten“, die dem „Mehrtürer“ Jesus angetan wurden. (Der es offenbar mit einer Autobahnblockade der römischen Polizei zu tun gehabt hatte.)

Da traut man beim Lesen seinen Augen kaum, weiß aber im nächsten Moment, dass es unsere Jugend ist, die wir erzogen und gebildet haben und dass ein verinnerlichtes Fehlerbewusstsein ebenfalls zu den Bildungs- und Erziehungszielen in der Schule gehören muss. Und somit einen Bildungsauftrag darstellt.

Erleichterung erfährt der pädagogische Sprachdompteur im orthographischen und semantischen Dschungelcamp verständlicherweise, wenn er oder sie sich nicht alleine wähnt in der nationalsprachlichen Norm- und Formulierungskrise. Die sich immer „effizienter“ (ökonomischer?) und letzthin „flacher“ und oberflächlicher zu entwickeln scheint. Da ist zwar alles „fachkompetent“ und „klickzahlorientiert“ – geht aber – zwangsläufig? – nicht immer qualitativ in Richtung Grimme-Preisverleihung.

Ebensolche Erleichterung, ständiges Schmunzeln bei gleichzeitigem Kopfschütteln bis hin zu lautem Auflachen verschafft einem Peter Köhler (*1957), taz-Kolumnist, Schriftsteller und Satiriker beim Lesen seines jüngsten Traktats „Respekt zu diesem Deutsch!“, erschienen vor zwei Monaten und verwendbar in fast allen „Schultüpen“. Mindestens in der Vorweihnachtszeit bis zum Jahresende. Aber auch darüber hinaus.

Denn es ist die „Sprache, die die Grenzen meiner Welt“ zeigt. Wittgensteins These hilft „wohlmöglich“ („beliebter“ Fehler Klassen 10/11) nicht gegen Sprachverflachung und schlimmstenfalls -verfall; sie schärft aber dennoch das Bewusstsein für deren korrekten Gebrauch und Durchdenken des geschriebenen und gesprochenen Wortes.

Äußerst humorvoll nimmt uns Köhler mit in das Fehler#besser „Schreckenskabinett“ alltäglicher Sprachverhunzung. Mal ist es ein SPD-Oberbürgermeister aus Bayern, der über die Beziehung seiner Partei zur Gewerkschaft Klage führt: „Die Bande ist seit Langem nicht mehr so stark, wie sie sein sollte.“

Titelblatt der November-Ausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG, LZ 108
Die November-Ausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG, LZ 108. Foto: LZ

Oder wenn bei der Bundeswehr die „Truppe durch das unwirsche Terrain“ gejagt, von einer „gespaltenen Kindheit“ berichtet oder man heute aufgrund des Verkehrslärms „aus seinem kurzschlüssigen Schlaf“ gerissen wird.

Köhler „switcht“, nein, er springt zwischen semantischen und orthographischen Todsünden hin und her, verweist aber auch zu Recht auf – vorsichtig gesagt – eigenartige und oftmals auch sehr eigenwillige Formen frühkindlicher Sprachbildung. Manche Grundschullehrerin weiß davon ein Lied zu singen, wenn sie sich mit rechtschreibdidaktischen „Methoden“ des „Schreibens nach Gehör“ anfreunden soll.

Das Resultat? Das liest sich dann so, dass man zweimal hinschauen muss, um zu wissen, wer oder was gemeint ist. Da gibt es im Wald eine „Oile“ und im Dorf die „Foirwer“. Köhler weiß auch, wohin das bei den Erwachsenen führt: zu den „Gebharden“ in Südafrika, zur „Lymphdrehnasche“ bei einer Mainzer Physiotherapeutin oder zur „Impriknierung“ einer Hamburger Firma.

Man glaubt es kaum, wenn man seine Fehleraufzählung liest, hält sie für Faschingsscherze, aber es muss ihn wohl tatsächlich gegeben haben, den Kölner Innenausstatter, der sich als „absolute Choriefe für alte und neue Teppiche“ bezeichnet(e).

Dankbar bin ich ihm, wenn er mit eigenen Worten die Notwendigkeit eines korrekten Sprachgebrauchs umreißt. S. 44: „Korrekte Orthographie zeugt von Wissen und Bildung und ist folglich eine ernste Sache. Umso lustiger ist es deshalb, Fehler zu machen – oder eben, sie zu bemerken! Ein langweilig korrekt geschriebener Text erleichtert das Lesen, weil man nicht herumrätseln muss; aber das heißt zugleich, dass das Gehirn nicht gefordert wird.

Zudem kann es nur gut sein, wenn infolge einer mangelhaften Orthographie Misstrauen gegen einen womöglich nicht ganz koscheren Inhalt keimt: Der Kopf sucht nach Gründen für die Fehler und arbeitet, dazu hat man ihn.“

Und weiter heißt es an der Stelle: „Außerdem ist es wie mit allen Regeln: Sie zu lernen, ist anstrengend und kostet Zeit, in der man sich viel besser anders beschäftigen könnte. Zugegeben, Regeln vereinfachen das Leben, wenn man sie intus hat, weil man fortan Zeit und Anstrengung spart. Die Folge: Man wird faul! Das kann in einer Hochleistungsgesellschaft nicht richtig sein.“

Entdeckt habe ich Köhlers Sprach(-fehler)-Betrachtungen auf den Seiten des Eulenspiegel-Verlages.

Dies zeigt, dass seine Sammlung von lexikalischen und sonstigen „Verfehlungen im Normbereich“ nicht zu ernst zu nehmen ist? Vielleicht doch. „Ich binn stols ein Deutcher zu sein!“ hatte im Februar 1992 ein Eingeborener an eine Leipziger Hauswand gesprüht. Dieses frühe, vereinigungsdeutsche Beispiel ist wohl auch ein warnender Beleg dafür, der – „absolut fokussiert“ (beliebte Wendung an allen passenden und unpassenden Stellen in gymnasialen Oberstufenaufsätzen) – auf ein Phänomen verweist. Auf einen Zusammenhang. Den zwischen Normverständnis und Intelligenz.

Peter Köhler Respekt zu diesem Deutsch! C.H. Beck, 2022, 224 S.

„Überm Schreibtisch links: ‚Absolut fokussiert‘“ erschien erstmals am 25. November 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 108 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

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