Es wird weiter geknüpft. Während immer mehr Menschen in den Ningel-Angeboten ihrer Smartphones versumpfen und den Bezug zur Wirklichkeit verlieren, schalten andere immer öfter lieber ab. Denn sie wissen, dass ihnen die Online-Wichtigtuer nur kostbare Lebenszeit stehlen. Zeit, in der man auch nützliche und schöne Dinge machen kann. Dinge, wie sie Heike Becker in sechsten Mitmach-Buch vorstellt.

Sie ist „Handarbeiterin aus Leidenschaft“, betont der Verlag, eigentlich Physiotherapeutin von Beruf und mit ihrer Familie in Halle an der Saale zu Hause. Aber vor 20 Jahren entdeckte sie die alte Knüpfkunst der Margaretenspitze für sich. Seit 2004 gibt sie Kurse in dieser Technik. Und Makramee ist dieser alten Technik direkt verwandt. Beides braucht Geduld und Fingerspitzengefühl.

Aber was heißt hier: braucht?

Man gewinnt sie auch, diese Geduld. Denn man muss sich dafür aus den ganzen blinkenden Ablenkungen des Alltags auskoppeln, wieder zu sich und zur Ruhe finden.

Einen ruhigen Arbeitsplatz braucht man sowieso dafür, am besten einen, an dem man sich wohlfühlt und es auch genießen kann, dass man einmal nicht für andere rackert und rotiert, sondern sich auch mal auf die Schaffung kleiner Kunstwerke konzentriert – in diesem Fall Accessoires und Schmuck in Mikro-Makramee.

Die uralte Liebe zum Schmuck

Alles nicht nützlich im Sinn der arbeitsamen Hausfrau. Aber wenn alles nur nützlich wäre im Leben, hätte die Menschheit niemals Fortschritte gemacht. Wäre wohl auch nie zu so etwas wie Menschheit geworden. Denn archäologische Funde belegen nun einmal, dass Schmuckstücke in vielfältigster Form seit zehntausenden von Jahren zum Menschen gehören. Wer Schmuck gestaltet, erzählt Geschichten und zeigt, dass es immer noch etwas mehr gibt als das bloße Überleben. Die Welt der Fantasie und das staunende Wahrnehmen von Schönheit.

Sicher sehr weiblich in diesem Fall. Aber dafür liebt man sie ja auch und bewundert sie, wenn unsere freundlichen Mitbewohnerinnen Vasen mit glitzernden Netzen schmücken, langweilige Übertöpfe dekorieren, filigrane Gardinen knüpfen oder bunte Lesezeichen zaubern. Alles einfach Dinge, die das Zuhause schöner machen.

Und nicht nur das. Denn natürlich lohnt sich auch der Blick auf die Schönen selbst, wenn sie stolz ihr Armband mit Herzknoten anlegen oder den glitzernden Kragen, der aus jedem Kleidungsstück ein Festkleid macht. Oder gar mit einem richtigen Pompadour auftauchen – etwas, was eigentlich in die Welt Jeanne-Antoinette Poissons, dame Le Normant d’Étiolles, marquise de Pompadour, duchesse de Menars zu gehören scheint. Aber wer möchte selbst nicht zuweilen ein bisschen fürstlich sein, ein wenig schwebend über dem netten, kleinen Alltag?

Denn das ist ja das Eigentliche, was bis heute an den Regierungszeiten Ludwig XV. und seines Enkels mit der Nummer XVI fasziniert: die Lust an der Präsentation, an Mode, Schmuck und Accessoires. Und damit etwas Ur-Menschliches, das gar nicht teuer sein muss, kein Prunk und kein Luxus, sondern einfach Liebe zum Detail und Aufmerksamkeit für das Schöne.

Lauter schöne Knoten

Was man sich alles, wie Heike Becker hier wieder zeigt, auch selbst erschaffen kann – aus Baumwollgarnen und Kunstfasern, mit Perlen, Ringen und anderen leicht einflechtbaren Kleinigkeiten, die erst im Geflecht zeigen, wie etwas Schönes entsteht. Und weil noch nicht alle mit Makramee und Margaretenspitze vertraut sind, gibt es auch wieder die grundlegende Handlungsanweisung, wie man die vielen verschiedenen Knoten zustande bringt und auch die filigransten Kunstwerke auf einem Klöppelkissen mit ganz vielen Nadeln herbeizaubern kann.

Und damit man auch gleich ausprobieren kann, wie es geht, hat Heike Becker sofort einen Schwung Muster beigefügt, nach denen man (kleine) Hunde, Seesterne, Fische, Weihnachtsbäume, Schutzengel oder blaue Ohrringe anfertigen kann. Mit Fotos, die die einzelnen Arbeitsschritte zeigen.

Also genau das, was einen regelrecht zwingt, sich einfach mal auf eine sehr filigrane Handarbeit zu konzentrieren und Schritt für Schritt ein hübsches Kleinod zu schaffen. Mit der Belohnung, sich richtig freuen zu dürfen, wenn es gelungen ist. Und stolz sein zu dürfen auf sich selbst, weil man es selbst gemacht hat und nun weiß, wie es geht.

Heike Becker „Accessoires & Schmuck in Mikro-Makramee“, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2023, 16,95 Euro.

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