Es gibt auch Bücher, die bleiben manchmal ein bisschen liegen und müssen sich gedulden, bis sie gelesen werden. Thriller sind echte Kandidaten dafür. Eigentlich hatte der Empire-Verlag diesen jüngsten Thriller des Bochumer Autors Thomas Matiszik schon kurz vor der Buchmesse geschickt. Vielleicht gar hoffend, unsereins schafft es, das Buch noch schnell dazwischenzuschieben. Aber das macht man mit Thrillern lieber nicht.

Denn die zeichnen sich ja nun einmal dadurch aus, dass sie die Spannung immerfort steigern, die Leser immer stärker in die Sorge um die liebenswerten Helden versetzen, während das Böse in immer kürzeren Abständen zuschlägt, Opfer findet und am Ende natürlich die Helden in höchste Not bringt.

Und da Leser sich in der Regel mit den menschlich gezeichneten Helden identifizieren, leiden sie mit, geraten in Angst und Schrecken und werden immer panischer, wenn der Autor im nächsten Kapitel die Spannung nicht auflöst, sondern die nächste Situation schafft, von der man nur noch annehmen kann: Jetzt gibt es Tote. Das geht nicht gut aus.

Keine Schonung, für niemanden

Und Tote gibt es mehr als genug bei Matiszik, der in seiner Danksagung zugibt, dass die Arbeit an diesem Thriller kräftezehrend war. Nicht nur wegen der Corona-Bedingungen, unter denen er entstand und die natürlich auch kreativ schaffende Leute massiv unter Druck gesetzt haben, auch weil ein einsames Arbeiten zwar manchmal gut ist, der Konzentration wegen – der Psyche aber tut das gar nicht gut.

Und dazu kommt: Seine Heldin, die geschasste Polizistin Corinna Dupont – konnte Matiszik natürlich nicht sterben lassen. Aber er konnte sie auch nicht schonen. Mehrfach nicht. Im ersten Band der Thriller-Reise bekam sie schon die Diagnose, die ihr Leben völlig aus der Bahn warf – eine Form der Demenz, die aber mit Medikamenten behandelbar ist.

Doch als ihr behandelnder Arzt selbst um Hilfe bittet, weil er selbst in einem riesigen Schlamassel sitzt, bekommt sie es mit Typen zu tun, die eher ins Horrorkabinett der menschlichen Leidenschaften gehören.

Nicht die einzigen übrigens. Ein Serientäter, der für seine Taten eine unerhört niedrige Haftstrafe bekam, kommt genau während der neuen Mordfälle, mit denen sich Corinnas einstiger Kollege Schmelzer herumschlagen muss, wieder in Freiheit und hat natürlich nichts anderes vor, als sich jetzt an einer Reihe Menschen zu rächen. Während sein einstiger Kumpan, der seinerzeit für die Tötung der Opfer verantwortlich war, in Freiheit herumläuft.

Und Corinna wird dann auch noch entführt, da scheinen also weitere dubiose Gestalten einfach zuzuschlagen in dieser Stadt irgendwo im Ruhrgebiet, wo scheinbar alles für die blutigen Umtriebe der Sadisten und Mörder bereitet ist. Auch politisch.

Denn da ist auch noch der Vorgesetzte von Schmelzer, der eigentlich schon wegen Fehlverhalten suspendiert war, nun aber mitten in dieser Serie grausiger Mordfälle zurückkommt und alles tut, der Mordkommission die Arbeit schwerzumachen.

Wenn das Peter-Prinzip …

Eine Type, die mittlerweile zum Standard in deutschen Kriminalromanen gehört.

Was einen zumindest die Stirn runzeln lässt. Denn wenn die Autoren recht haben, die solche nichtsnutzigen Vorgesetzten schildern,  – und in Teilen beschreiben sie ja auch eine tatsächlich unzureichende Wirklichkeit – dann hat das Peter-Prinzip in deutschen Polizeibehörden fatale Folgen.

Dann steigen eben auch diejenigen auf, die in dem Job völlig überfordert sind. Oder völlig fehl am Platz wie dieser Jochimsen, der seine Karriere augenscheinlich einem dubiosen Immobilienunternehmer verdankt, der mit seinem Geld so viel Macht entfaltet, dass er nicht nur einen Zugriff auf den Polizeiapparat hat, sondern auch seinen kriminellen Sohnemann, der sich gerade zum smarten Führer der örtlichen Naziszene entwickelt, aus der Haft holen kann, ohne dass die Polizei etwas machen kann.

Und dass auch noch Nazischläger den ermittelnden Polizisten das Leben schwermachen, wäre also mehr als genug, die Sache völlig aus dem Ruder laufen zu lassen. Wie wollen die Ermittler überhaupt überleben, wenn das Böse das Böse schützt und einflussreiche reiche Männer alle Möglichkeiten haben, das Recht nach ihrem Willen zu verbiegen? Kein Wunder, dass der Polizeiberuf derart unter Beschuss geraten ist.

Die Zeit läuft …

Für Matiszik ist es natürlich vor allem ein Mittel, die Dramatik immer weiter zu steigern und eine Heldin und einen Helden nach dem anderen in immer aussichtslosere Positionen zu bringen. Am Ende verdichtet sich alles auf eine Nacht, ein paar wenige Stunden.

Und gäbe es nicht ein aufgewecktes Mädchen, das sich auch von der Polizei nicht einreden lässt, es hätte vielleicht nur Gespenster gesehen, und einen Mann, der selbst einst Opfer eines Quälers geworden ist, die beide dranbleiben und der Polizei helfen, die eine oder andere Szene könnte völlig entgleiten.

Die Mörder sind zu gewieft und rücksichtslos, zu gut vorbereitet – gar mit einer Thermo-Zelle in einem Wohnhaus, über deren erstaunliche Möglichkeiten selbst gut dotierte Forschungsinstitute staunen würden.

Aber Schmelzers Team, zu dem Corinna irgendwie doch dazugehört, lässt nicht locker. Auch dann nicht, als Fiona Pfeiffer zusammengeschlagen wird, weil sie die Entführung ihrer Freundin Eloisa verhindern wollte. Andere würden erst einmal im Krankenhaus ihre Wunden lecken.

Aber die Ärzte schauen nur verwundert zu, wie die eingelieferten Heldinnen umgehend wieder aufbrechen, denn die Zeit läuft. Kommen sie zu spät, stirbt ein Mensch. Und in dieser Nacht sind mindestens vier brutale Typen unterwegs. Typen, die in gewöhnlichen Polizeiberichten eher die Ausnahme sind.

Das gewöhnliche Verbrechen ist auch gewöhnlicher in der Ausführung, hat simplere Motive und hat eher wenig mit dem Almachtswahn von Typen zu tun, die ihren Spaß daran haben, andere Menschen zu quälen und zu erniedrigen.

Um Haaresbreite …

Und da sich alles immer mehr verdichtet, dürfte jeder, der sich erst einmal in diese vierbödige Geschichte hineingelesen hat, mit einer schlaflosen Nacht rechnen, wenn er das Lesen des Thrillers schlecht geplant hat.

Deswegen müssen Thriller manchmal warten, bis genug Zeit ist, sie so zu lesen, dass man bis zum Ende durchkommt, ohne dadurch die Nacht zu gefährden oder gar das eigene Seelenheil, weil man mit den Gefangenen und Gequälten mitleidet.

Am Ende gibt es dann auch noch die fälligen Überraschungen. Denn auch in der Welt der Thriller ist eigentlich die Regel, dass das Gute doch irgendwie siegt. Ob es hält, wird jeder dann im nächsten Dupont-Thriller von Matiszik lesen.

Sofern er Thriller mag und nicht lieber schöne staubtrockene Krimis, die von den tatsächlichen Abgründen unserer Gesellschaft erzählen und dem Drama eines Berufes, der auch immer gegen soziale und politische Missstände anarbeiten muss – wenn das die Kommissare und Kommissarinnen noch aushalten.

Denn Thrill gibt es genug in unserer Gesellschaft. Nur kommt der meistens als dumpfes Vorurteil daher, als Nadelstreifen, Gier, Machtgelüste und gärende Selbstgerechtigkeit, die sich gern mal in kleiner oder großer Kriminalität entladen.

Das kommt am Rande auch bei Matiszik vor. Aber die Mordkommission hat eben auch mit den finstersten Seiten unserer Gesellschaft zu tun. Und wenigstens eine hält das am Ende nicht mehr aus und verabschiedet sich lieber.

Auch aus Liebe. Denn wer will schon eines Tages darauf warten müssen, die Nachricht zu erhalten, dass die Geliebte im Einsatz ums Leben kam? Und bei den Einsätzen, die Schmelzers Team erlebt, ist das oft nur eine Sache von Haaresbreite, dass es passiert.

Thomas Matiszik, Todesprüfung Empire-Verlag, Lofer 2022, 14,99 Euro.

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