Es ist quasi ein Spaziergang zum Geburtstag, den Sabine Knopf hier zusammengestellt hat und mit dem man die heutige Buchstadt auf flotten Sohlen erkunden kann. Denn der Börsenverein des deutschen Buchhandels feiert dieser Tage seinen 200. Geburtstag. Gegründet wurde er 1825 in Leipzig. Natürlich in Leipzig. Leipzig war damals das Zentrum des deutschen Buchgewerbes. Die deutsche Buchstadt eben. Was es bis ungefähr 1943 blieb. Dann legten die alliierten Bomber das Grafische Viertel in Schutt und Asche. Aber die Legende lebt.

Sie ist Teil der Leipziger Erinnerung. Und man ist eben doch ein bisschen stolz darauf, dass sie alle mal hier saßen und die Welt mit spannenden Büchern beschickten, alle die heute noch berühmten Verleger von Brockhaus bis Reclam, von Tauchnitz bis Meyer, von Kippenberg bis Wolff. Und: Man kann sie besuchen. Man kann sich zumindest die noch vorhandene Zeugnisse der alten Buchstadt noch erlaufen.

Und zwar nicht beginnend im Grafischen Viertel, das ja erst im 19. Jahrhundert entstand, sondern in der City. Denn als Leute wie Erasmus Reich die Stadt zum Zentrum des deutschen Buchhandels machten, da saßen die berühmten Verlage natürlich noch alle in den alten Mauern der Stadt, meistens dicht um die Gebäude der Universität herum, weshalb sich vom 15. bis 18. Jahrhundert fast alles in der Gegend von Ritterstraße, Grimmaischer Gasse und Altem Neumarkt abspielte.

Ganz selbstverständlich. Denn als sich um 1480 mit Marcus Brandis der erste Buchdrucker in Leipzig etablierte, galten Bücher noch als Luxusgut. Und die Käufer hatten fast alle irgendwie mit der Universität zu tun.

Start mit Espresso

Mal ganz zu schweigen davon, dass die ersten Drucke fast alle auf Latein waren. Bis das Buch auch eine bezahlbare Ware für das normale bürgerliche Lesepublikum wurde, dauerte es ein paar Jahrhunderte. Aber auch da spielten Leipziger Verleger eine ganz zentrale Rolle. Und natürlich beginnt Sabine Knopf ihre Spaziergänge auf den Spuren der Buchstadt (es sind so ungefähr zwei plus x) fast in der City. Nur fast. Denn Spaziergänge in dieser Reihe des Lehmstedt Verlags beginnen fast alle am Bahnhof. Und da lohnt sich natürlich der Hinweis auf eine der schönsten deutschen Bahnhofsbuchhandlungen – die Buchhandlung Ludwig in einem der historischen Wartesäle. Wo man sein Buch auch gleich bei einem schönen Espresso lesen kann.

Denn zur Buchwelt gehören natürlich auch Cafés und Bibliotheken und Lesesäle. Und dann geht’s auf dem ersten Spaziergang da hin, wo zumindest Hausplaketten noch daran erinnern, dass hier einmal das Zentrum der deutschen Bücherwelt war – in die Ritterstraße zu Oelßners Hof, zum Roten Kolleg und zum Standort der alten Buchhändlerbörse am Nikolaikirchhof. Mit der Connewitzer Buchhandlung, Thalia und Hugendubel zeigt Sabine Knopf auch die Orte, wo sich Leselustige heute noch mit spannender Lektüre eindecken können.

Mit Kachelofen, Melchiar Lotter, Weidmann, Reich, Gleditsch und Breitkopf werden dann die Männer sichtbar, die damals die alte Buchstadt prägten, manchmal auch erst schufen. Und dieser Spaziergang ist wichtig, weil er auch den Leipzigern selbst zeigt, dass das erste Grafische Viertel genau hier lag: in der alten City.

Was vom Grafischen Viertel übrig blieb

Erst auf dem zweiten Spaziergang wird die City verlassen und geht es dann durch die geretteten Überbleibsel des Grafischen Viertels, das im Dezember 1943 in Schutt und Asche gelegt wurde. Die alliierten Bomber haben sehr genau gezielt. Denn hier saßen nun einmal nicht nur Brockhaus, Teubner und Reclam. Hier wurde auch die ganze Propagandaliteratur für das NS-Reich produziert.

Sabine Knopf erwähnt es bei einigen der geretteten und heute zumeist zu Wohnensembles umgebauten einstigen Verlags- und Druckereigebäude. Dieser zweite Rundgang ist natürlich der längste und stationenreichste. Denn hier saßen die Verlage und Druckereien ja dicht auf dicht.

Hier ließ Kai Meyer auch einen seiner turbulenten Romane spielen.

Hier rumpelten auch nach 1945 noch die Druckerpressen und war mit LKG auch der Großvertrieb des DDR-Buchhandels ansässig. Natürlich erwähnt Sabine Knopf auch die Abwerbung renommierter Verleger 1945 durch die Amerikaner, was dazu führte, dass gerade die namhaftesten Leipziger Verlage dann 40 Jahre lang gleichnamige Konkurrenten und Mutterhäuser im Westen hatten.

Was ja bekanntlich 1990 die wahnwitzige Hoffnung aufkeimen ließ, sie würden alle zurückkommen und sich wieder an ihrem alten Stammsitz ansiedeln. Einige unterhielten dann tatsächlich noch – wie Reclam – eine Dependance, die dann aber irgendwann sang- und klanglos geschlossen wurde. Die Zeit, dass man unbedingt am Messeplatz Leipzig sitzen musste, um Bücher in die Welt zu schicken, waren vorbei.

Verlegervillen und eine beliebte Messe

Aber wer dem Spaziergang folgt, merkt natürlich auch, welchen Reichtum Leipziger Verleger und Druckereibesitzer einst mit Büchern erwirtschafteten. Davon erzählen nicht nur die wenigen erhaltenen alten Verlagsgebäude, davon erzählen auch die Verlegervillen im Musikviertel und an der Käthe-Kollwitz-Straße, die Sabine Knopf quasi im dritten Teil der Spaziergänge einlädt zu bewundern.

Noble Häuser, denen man ansieht, dass die Verleger im späten 19. Jahrhundert zu den Reichen und Mächtigen in Leipzig gehörten. Ihre Druckerpressen lärmten im Osten der Stadt, wo auch die Schornsteine qualmten. So idyllisch, wie man das Grafische Viertel heute erlebt, war es damals nicht, als hier tausende Leipziger ihrem Knochenjob nachgingen. Es war laut, hektisch, rußig, verqualmt. Eben eine riesige Fabrik der Bücherproduktion.

Und da der Wind in Leipzig meistens aus Westen kommt, lebten die Verleger, denen die riesigen Buchfabriken gehörten, im Westen der Stadt nobel und mit frischer Luft.

Aber da enden die Spaziergänge nicht, denn auch außerhalb dieser erlaufenen Quartiere gibt es Sehenswürdigkeiten, an denen man die alte und die heutige Buchstadt erleben kann – von der Universitätsbibliothek über das Reichsgerichtsgebäude, wo die frühen Urheberrechts-Prozesse stattfanden, das Museum für Druckkunst in Plagwitz, das man auf jeden Fall besucht haben muss.

Bis zum deutschen Zentrum für barrierefreies Lesen und zum neuen Messegelände, wo die Buchmesse im Frühjahr immer wieder hunderrtausende Menschen anzieht, die Lesen und Bücher für ein Abenteuer in ihrem Leben halten.

Für alle, die Leipzig besuchen, weil sie die Zeugnisse der alten Buchstadt mal mit eigenen Augen sehen wollen, ist das jetzt der handliche Taschenbegleiter, an dem man sich orientieren kann. Und gewiss auch ein paar Entdeckungen machen kann, ob nun bei Giesecke & Devrient oder bei der Edition Peters. Oder bei den Grabsteinen auf dem Alten Johannisfriedhof, die daran erinnern, dass es immer unternehmungsfreudige Leute waren, die in Leipzig den Ort sahen, an dem man mit Büchern gute Geschäfte machen konnte.

Sabine Knopf „Buchstadt Leipzig“ Lehmstedt Verlag, Leipzig 2025, 9 Euro.

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