Was ist da los mit diesem Deutschland? Warum sind so viele Leute verbittert und wütend? Nicht nur im Osten. Aber gerade dort. Nur zu bereit, die Parteien zu wählen, die Wut und Jammern zum Parteiprogramm gemacht haben. Im Herbst 2024 sorgten gleich drei ostdeutsche Landtagswahlen für Entsetzen. Die Ampelregierung in Berlin steckte in ihrer letzten Krise. Doch irgendwie redete niemand über die Ursachen der miserablen Stimmung. Katrin Göring-Eckardt wollte es aber wissen. Und reiste durchs Land, um mit den Menschen zu reden.

Verschiedensten Menschen: Ärzten, Heizungsbauern, Schulleiterinnen, Alleinerziehenden, Ehrenamtlichen, Feuerwehrleuten, aber auch Leuten wie dem Romanautor Frank Schätzing, der 2021 mit „Was, wenn wir einfach die Welt retten?“ ein Buch zur Klimakrise geschrieben hatte, weil er überzeugt davon war, dass das uns alle angeht.

Wir stecken mittendrin in der Klimakrise, müssten eigentlich alle anpacken, um das Land zukunftsfest zu machen. Und stattdessen dominieren Frust, Gejammer, Angst und Verweigerung, bekommen Parteien die Stimmen, denen die Klimakrise völlig egal ist, die sie sogar leugnen. Als wäre auch die Zukunft der Kinder und Enkel egal.

Natürlich fragt sich Katrin Göring-Eckardt auch das, warum das Thema auf einmal derart in der Aufmerksamkeit weggerutscht ist. Als hätten die Deutschen die Nase voll, wollten nichts mehr von Katastrophe hören. Obwohl auch ohne Klima die Nachrichten voller Katastrophen sind.

Raus aus dem UFO

Aber es waren zwei Dinge, die Katrin Göring-Eckardt sehr bald spürte bei all ihren Gesprächen mit Menschen, die alle einen anderen Blick auf ihr Leben und die große Politik haben. Oft auch sehr vernünftige Vorstellungen von dem, was eigentlich getan werden müsste. Doch viele teilten das Gefühl, dass „die da oben“ ihre Sorgen und Probleme nicht mehr wahrnehmen, dass Politik abgehoben ist und Politiker in ihrer Blase leben.

Und Katrin Göring-Eckardt weiß um das Problem. Seit 1998 sitzt sie für Bündnis 90 / Die Grünen im Bundestag, und der ist in vielen Belangen ein UFO, in dem die Abgeordneten in Sitzungswochen geradezu abgeschottet agieren, von Ausschusssitzung zu Plenarsitzung eilen.

Die Gelegenheit, einfach wieder mal raus ins Land zu fahren und mit „ganz normalen“ Menschen zu reden, ergibt sich viel zu selten. Und dazu kommen die in den letzten Jahren zunehmenden Aggressionen, die Katrin Göring-Eckardt auch im Wahlkampf wieder erlebte. Da kommen zwar die Leute zur Wahlkampfveranstaltung – aber sie wollen nur Wut und Frust abladen.

An einem Gespräch mit den Politiker/-innen ist ihnen meist gar nicht gelegen. Das Land zerreißt, immer mehr Menschen sind kaum noch in der Lage, ohne Aggression mit Andersdenkenden zu reden, ihre Blase zu verlassen und den Anderen wieder als genauso gültigen Menschen zu betrachten wie sich selbst.

Aber Demokratie lebt vom Gespräch – auch und gerade vom Gespräch zwischen Menschen, die auf die Welt und ihr Probleme aus völlig unterschiedlichen Perspektiven schauen. Aber wie bekommt man das als bekannte Politikerin hin, die von ihren Gesprächspartnern sofort in ihr politische Kästchen einsortiert wird? Und die verinnerlicht hat, dass man Andere immer wieder mit Argumenten von der Richtigkeit der eigenen Position überzeugen muss?

Man hört zu. Katrin Göring-Eckardt gibt öfters zu, wie schwer ihr das fiel. Und wie oft sie sich selbst zur Raison rufen musste, ihre Gesprächspartner jetzt nicht zu belehren. Sondern trotzdem zuzuhören und einfach zu akzeptieren, dass auch die Position ihrer Gegenüber berechtigt ist: Sie haben ihre eigenen Erfahrungen gesammelt – z. B. mit einer überbordenden Bürokratie, die mittlerweile tatsächlich das ganze Land zu lähmen droht.

Dass aber auch Menschen, die eigentlich nur unbürokratische Hilfe brauchen, mit Bergen amtlicher Antragsformulare nicht nur zuschüttet, sondern auch dauerhaft beschäftigt. Motto: Du musst erst mal richtig beweisen, dass du Hilfe brauchst.

Überforderung und Verbitterung

Wobei eine der Überraschungen für Katrin Göring-Eckardt auch war, dass gerade die Menschen in Bürgergeldbezug und in prekären Lebensverhältnissen viel weniger jammerten, sondern eher einen stillen Stolz dabei zeigten, dass sie ihr Leben und das ihrer Kinder trotzdem gedeichselt bekommen. Ein fast übersehenes Moment: Wie stolz Menschen darauf sein können, trotz widriger Bedingungen ihr eigenes Leben in Griff zu haben.

Aber auch hier macht sich ein psychologisches Phänomen bemerkbar, das Katrin Göring-Eckardt nach einem Gespräch mit einer praktizierenden Psychologin „Verbitterungsstörung“ nennt. Das ist tatsächlich ein seit 100 Jahren bekanntes Phänomen und gesellschaftliche Krisenerfahrungen wie die Corona-Pandemie können solche Störungen verstärken. Und nicht nur das.

Auch das gehört zu den Erkenntnissen dieser Reisen durchs Land, dass die Nachwirkungen der Corona-Krisenerfahrung bei vielen Menschen bis heute zu spüren sind. Vor allem bei Menschen, die seitdem nicht wieder geschafft haben, aus der Pandemie-Einsamkeit herauszukommen und wieder lebendige Beziehungen mit anderen Menschen aufzunehmen. Als hätte sich da die Angst vor anderen Menschen verfestigt. Zusätzlich zu all den anderen Ängsten, die durch die Krisen unserer Zeit geschürt werden.

Wozu nun einmal auch gehört, dass ganz offensichtlich einige der Beruhigungspillen der Wohlstandsgesellschaft nicht mehr wirken. „Gerät mit dem Ende der Fortschrittsverheißung des ‘immer besser, schneller und größer’ auch die Demokratie in Bedrängnis?“, fragt sich Katrin Göring-Eckardt. „Kann unsere Demokratie nicht ohne Wachstumsversprechen auskommen?“

Eine mögliche Antwort fügt sie gleich selbst hinzu: „Wirft man einen Blick auf einen anderen Seelentypus unserer Tage, kann man zumindest bei der letzten Frage durchaus ins Zweifeln geraten, denn das Wurzelwerk der Wut ist vor allem Angst. Die Angst vor Veränderung, vor Abstieg, vor Zumutungen, die mir meinen vertrauten Alltag wegnehmen.“

Wo trifft man noch Menschen?

Und Veränderungen stehen an. Auf allen Gebieten. Wer behauptet, es müsse sich nichts ändern, lügt. Die Menschen im Land merken es ja allerenden, wie Dinge nicht mehr funktionieren – und da geht es nicht nur um die Dienstleistungen des Staates, sondern auch um kaputte Brücken, Straßen und Schulen in der eigenen Stadt, um überschuldete Kommunen, geschlossene Schwimmhallen, verschwundene Kneipen, Poststationen, Ärtzeniederlassungen, Supermärkte …

Ein Phänomen, das Katrin Göring-Eckardt auch aus ihrer Heimat Thüringen kennt, wohin sie einige ihrer Gesprächsreisen führen. Denn das verändert zwangsläufig die Wahrnehmung unseres Landes, wenn all die Orte, an denen man einmal Dienstleistungen fand und Kontakte zu anderen knüpfte, schließen und verschwinden.

Und natürlich fragt sie auch eine Pfarrerin, kommt Katrin Göring-Eckardt ja selbst aus der kirchlichen Opposition in der DDR. Aber den Kirchen laufen die Mitglieder weg. Sie spielen immer weniger die Rolle des gemeinschaftlich Verbindenden. Obwohl sie doch ein Ort wären, an dem Menschen wieder Kontakt zueinander finden könnten.

Aber das Phänomen begegnet ihr immer wieder: Überall vereinsamen Menschen und schaffen es nicht mehr, ihre gesellschaftliche Isolation zu überwinden. Und gerade die Vereinsamten sind dann – wie sie feststellt – oft auch diejenigen, die den blauen Verheißungen der Populisten folgen.

Was auch mit einer inneren Haltung zu tun hat, die vielleicht nicht einmal nur Post-DDR-typisch ist: der Erwartung, dass „die da oben“ alles wieder in Ordnung bringen. Und dass man nur „die da oben“ auswechseln muss, dann schnurrt der Laden wieder. Aber so funktioniert Demokratie nicht. Das sehen auch die meisten Gesprächspartner/-innen von Katrin Göring-Eckardt so.

Sie kennen alle den Druck einer ständigen Überforderung, der Selbstständige genauso plagt wie Ärzte, Handwerker, Künstler und „Aufstocker“. Ständig steckt man in einem Rechtfertigungsdruck. Und bekommt dafür trotzdem nicht die erwartete Belohnung, das Gespür, dass jetzt alles gut läuft, dass man mal verschnaufen kann.

Die Krisen in der Tür

Und dann stehen da – wie unheimliche Geister – die ganzen Krisen in der Tür. Und man weiß nicht, wie man die nun auch noch lösen soll, wo es schon „die da oben“ nicht hinkriegen. Wie dann ein winziges Detail dazu führen kann, dass dieses Gefühl der Überforderung das ganze Land zum Kochen bringt, schildert Katrin Göring-Eckardt anhand des legendären „Veggieday“.

Da hatten sich ein paar Grüne einfach nur gewünscht, dass es in den Kantinen des Landes einfach jede Woche einen Tag gibt, an dem es nur vegetarische Gerichte gibt. Eigentlich sinnvoll in einer Welt, in der die Massentierhaltung zu den größten Klimakillern gehört.

Abe schon das Ansinnen ließ das Fass überlaufen. Und gerade im Portfolio der eigenen Partei findet Katrin Göring-Eckardt einige solcher Dinge, die eigentlich selbstverständlich sind, bei den Bürgern aber wie eine Zumutung ankommen, wie ein Eingriff in ihr eh schon strapaziöses Leben.

Ja, wie geht man damit um? Erst recht, wenn man weiß, dass die Überforderung im Land auch damit zu tun hat, dass es im Grunde keine Vision gibt, wie dieses Land einmal aussehen soll? Oder kann. Eine Vision, an der alle mitarbeiten können.

Stattdessen lösen Zukunftsvorstellungen bei den meisten Deutschen Ängste aus, Gefühle der völligen Überforderung. Jede Veränderung wird als Zumutung erlebt. Wie man diesen Blick auf Zukunft verändern kann, darüber hat Katrin Göring-Eckardt mit Frank Schätzing gesprochen.

„Wir sind Angst-Weltmeister“, sagt Schätzing. „Wir sind nicht mehr das Land, das unermüdlich versucht, Dinge gut zu machen, sondern wir sind ein Land, das unermüdlich versucht, so wenig wie möglich verkehrt zu machen.“

Das ist dann wohl das beste Rezept für Verweigerung und permanente Überforderung. Nur ja nichts falsch machen. Warum erinnert mich so etwas immer wieder ans deutsche Schulsystem? Kann es sein, dass wir genau dies Angst mit aller Sturheit immerfort antrainieren?

Wann ist etwas gut genug?

Ja, aber wie kommen wir da wieder heraus? Dazu gehört dann wohl, wie Katrin Göring-Eckardt feststellt, auch die Einsicht, dass das 30 Jahre lang funktionierende Wohlstandsmodell Deutschland an sein Ende gekommen ist – „billige Energie aus Russland und erfolgreiche Marktanteile in China“. Muss die Demokratie immerzu Versprechungen machen, die sie gar nicht erfüllen kann? Heißt Transformation nun, dass wir lernen müssen, uns zu bescheiden?

Oder geht es eigentlich um eine ganz andere Haltung zu unseren Wünschen, unserer Demokratie und dem, was wir leisten können? Worauf Katrin Göring-Eckardt im letzten Kapitel „Unverzagt und frohgemut“ eingeht. Denn dass wir so schnell das Gefühl der Überforderung haben, hat auch damit zu tun, dass wir immer perfekt sein wollen, mit weniger geben wir uns nicht zufrieden.

Wir wollen immer die Allerbesten sein (Exportweltmeister, Fußballweltmeister, Papst …) Dass es uns damit oft genug dreckig geht und wir ganz und gar nicht glücklich sind damit, lassen wir vielleicht mal gucken, wenn uns jemand fragt: „Wie geht es dir?“ In der Regel sagt man dann: „Gut.“ Und gut ist. Und wir haben wieder niemanden, der uns einfach mal tröstet, zuhört, versteht.

Und so hat sich Katrin Göring-Eckardt schön länger angewöhnt, mit „Gut genug“ zu antworten. Da muss man dann nicht mehr Strahlemann und Strahlefrau mimen, sondern kann auch zugeben, dass einen die Arbeit schlaucht, dass man Durchhänger hat und sich oft genug nur schwer aufrappeln kann, wieder das Notwendige zu tun.

Aber – so betont die Autorin – es entlastet auch, weil man dann sich auch selbst zugesteht, die Dinge einfach so gut wie möglich zu machen, aber sich nicht mit Perfektion zu überfordern. Also auch mal abzulassen und sich mit dem Guten zufrieden zu geben.

Was dann erstaunlicherweise für überbordende Gesetze, die Bürokratie oder auch die Ausübung eines politischen Amtes gilt. Und letztlich auch für die Fähigkeit von Politiker/-innen, zuzugeben, wenn sie müde oder ausgebrannt sind. Und auch mal loszulassen wie 2024 Kevin Kühnert.

Trost und Gemeinschaft

Aber es gilt genauso für Ärzte, freiwillige Helfer, Lehrer/-innen. Das tun, was einem möglich ist. Und nicht verzweifeln, wenn man keine 100 Prozent erreicht. Wenn die Dinge eben nur gut werden – man aber vielleicht Helfer und Mitstreiter gewinnt, die einem helfen. Und so etwas geben wie Zusammenhalt und auch mal Trost.

Denn auch das ist ein Ergebnis dieser Gespräche: Dass wir wohl augenscheinlich in einer ziemlich trost-losen Gesellschaft leben. Aber eine trostlose Gesellschaft ist am Ende eine, „die allen Jammer ausbeutet, indem sie Schuldige benennt und alle Ängste bewirtschaftet.“ Also die Gemeinschaft spaltet und in Schwarz und Weiß teilt. Trost bietet das wirklich nicht.

Den findet man nur im gemeinsamen Tun, um die Dinge besser zu machen. Und da helfen dann nun einmal Gespräche mit Leuten, die anders ticken als man selbst. Auch das ein Resümee dieser Gespräche. Und auch etwas, was mit dem „gut genug“ zu tun hat, das im letzten Kapitel dominiert: Das wiederzugewinnende Staunen darüber, was wir selbst eigentlich schon geschafft und geleistet haben.

Aber dieses Gefühl kennen wirklich vor allem die, die anpacken, die nicht darauf warten, dass „Vater Staat“ oder „die da oben“ alle Probleme lösen.

Es geht ganz offensichtlich auch um ein wiedergewonnenes Verhältnis zur Demokratie, das in den letzten Jahren gewaltig unter die Räder gekommen ist. Katrin Göring-Eckardt dazu: „Wenn wir nicht den Wert erfassen und würdigen, den unser Leben, unsere Demokratie, unser Wohlstand und unsere Rechtsstaatlichkeit, unsere Institutionen und unser Alltag haben, dann gewinnen am Ende diejenigen, die der Finsternis Macht geben wollen.“

Katrin Göring-Eckardt Deutschland, lass uns reden Ullstein, Berlin 2025, 25,99 Euro.

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