Die Abenteuer des Lebens warten meist schon hinter der nächsten Wand. Jeder weiß das, der sich wirklich mal auf ein richtiges Familienleben eingelassen hat. Und Kinder bekommen. Also auch jede Menge schlaflose Nächte, Jagd nach Kita-Plätzen, wilde Orkane und panische Momente. Nur: Die meisten schreiben das nie auf. Schon gar nicht mit dem wilden Humor einer Autorin wie Kirsten Fuchs, die inzwischen zweifache Mutter ist und ganze Seite füllen kann mit dem Rätseln über das Wort Muttermund.

Denn: Wie viele Muttermünder hat eigentlich eine Mutter? Wer so fragt, ist längst in jenen frivolen Welten, in denen nichts mehr steif und unantastbar ist wie in der verzopften Welt des 19. Jahrhunderts, das bei manchen Leuten noch heute im Kopf herumwabert. Aber für die ist dieses Buch natürlich nicht geschrieben. Eher für all die jungen Partnerschaften, die das wirklich ganz frisch erleben oder erlebt haben, wie es einem mit Kindern so ergeht. In diesem Land. In dieser Welt, die irgendwie nicht wirklich für Kinder und Eltern eingerichtet ist.

Und sowieso: Zehn Jahre hat ihre Gemeinde auf neue Geschichten warten müssen. Natürlich wegen der Kinder, von denen es eins inzwischen bis ins Teenie-Alter geschafft hat. Was ja bekanntlich völlig neue Momente im Familienleben auslöst und Eltern trainiert in Abgeklärtheit, die sich natürlich mit einer anderen Fähigkeit beißt: Immerfort zu befürchten, dass den Kindern Ungeahntes zustößt.

Die wilden Abenteuer der Eltern

Und wirklich ab- und ausgeschaltet hat Kirsten Fuchs in der Zeit natürlich nicht. Im Gegenteil: Sogar kleine Aphorismen hat sie geschrieben, in denen sich viele Eltern wiedererkennen dürften. So wie in diesem: „Ich interessiere mich nicht mehr für den Sinn des Lebens, nur noch für den Unsinn.“ Den bekommt man gleich zum Einstieg serviert, bevor sich Mutter Kirsten erst einmal richtig ins Philosophieren über Muttermünder stürzt. Harter Stoff für den flotten Anfang (den man leider, leider nicht von der Steuer absetzen kann). Aber er gibt die Flughöhe vor, in der die Geschichten aus dem Fuchs-Alltag auf die Leser einprasseln.

Es geht mit einem verlegten Handy los, den Freuden der Schwangerschaft, der Mühsal des Wochenbetts und dem großen Elternabenteuer: „Wie man ein Kleinkind ins Bett bringt“. Und wer Kirsten Fuchs kennt, sei es auch nur aus ihren Büchern, weiß: Sie nimmt kein Blatt vor den Mund.

Sie findet noch in den wildesten Momenten den doppelten Boden, die untergründige Pointe, die aus dem Drama, bei dem man als Eltern bald auf allen Vieren kriecht, eben doch ein Stück Lebenserfahrung machen – blank und unverpackt, ruppig wie das Leben selbst. Und damit wohl ehrlicher als fast alles, was es im Buchladen im Regal „Eltern & Kind“ zu finden gibt.

Schon gar nicht so persönlich und direkt. Denn selbst in ihren Texten ist Kirsten Fuchs eine Frau, wie sie leibt und lebt, schwitzt und (berechtigte) Angst vorm Zahnarzt hat. Eine richtige Frau. Keine von diesen überzeichneten Power-Frauen, die einem Werbung, Ratgeber und Hochglanzzeitschriften ständig präsentieren.

Nebenbei natürlich immer noch auch Freischaffende, die irgendwie ihre Steuererklärung hindeichseln muss (mit einem öffentlichkeitsscheuen Steuerberater), bei der Lesebühne „Fuchs & Söhne“ auftritt und sich mit der Bank um die Freigabe ihres Kontos streitet – nur dass bei dieser Bank augenscheinlich kein Service mehr richtig funktioniert.

Die wirkliche Welt der Kinder

Willkommen in der richtigen Welt. Und das ist geradezu das Umwerfende an diesen kleinen Geschichten aus der Wirklichkeit, in der diese Wirklichkeit nur ein ganz klein wenig überzeichnet ist. Zugespitzt auf die unheimlichen Pointen, die aller Nase lang herumliegen, die man aber nur sieht, wenn man mit den überwachen Augen eine Mutter ständig Ausschau hält, wo Gefahren lauern könnten für die kleinen Biester, die sie zu behüten hat. Nicht ganz allein.

Da ist ja auch noch der Mann, der tatsächlich einspringt, wenn die Regie beim kleinen oder großen Kind übernommen werden muss. Also mal eine andere Type Vater, als sie sonst durch die Medien geistert. Trotzdem abgeklärt, wie man das nur wird, wenn man der Frau tatsächlich nicht allen Schietkram allein überlässt.

Sodass man mit Kirsten Fuchs tatsächlich in jener Welt landet, in der Kinder groß werden heutzutage. In einer unperfekten Welt, wo Eltern auch mal völlig platt auf dem Teppich liegen und sich wundern, dass sie nachher doch wieder hochkommen und das Chaos erneut als Herausforderung annehmen. Oder mit einem Kirsten-Fuchs-Spruch: „Perfektionismus hat irgendwen bestochen, um eine so übertrieben guten Ruf zu bekommen.“

Und: Natürlich leidet man mit, wenn man es kennt. Denn all die kleinen, scheinbar überspitzten Szenen, sind tatsächlich das, was das Leben in Familienbanden ausmacht. Mit allen Ängsten, Beulen und Frustrationen. Und dem Gefühl, nur noch neben sich zu stehen oder an der Decke zu schweben. „Durchdrehen ist Karussellfahren“, bringt es die Autorin auf den Punkt.

Und wer nun denkt, dass es hier nur aus einem Schrecken in den anderen geht, der hat nie wirklich mit Kindern gelebt. Und damit erlebt, wie erfrischend das Lachen mitten in solchen Situationen sein kann. Erst recht mit dem staubtrockenen Humor einer Kirsten Fuchs, die sich selbst nie schont, nie über den Dingen steht oder schwebt, sondern mittendrin sitzt im Kladderadatsch. Und dabei zu merken, dass es eigentlich niemanden gibt da oben oder so, dem man ständig alles recht machen muss.

„Ich finde es einfacher, Kinder lustig zu finden statt anstrengend.“

Und dann im Dschungelcamp …

Man wächst mit ihren kleinen Erzählungen aus der Wirklichkeit regelrecht hinein in diese Welt, die – man muss nur in die obligatorischen Medien schauen – nichts mit der offiziellen Schönfärberei zu tun hat. Kinder machen Arbeit, Sorgen und Ärger. Jede Menge. Und sie sind zum Knuddeln süß, wollen aber nicht ständig geknuddelt werden. Sie haben ihre eigenen Vorstellungen von Ordnung, können aber kein Geheimnis für sich behalten. Und sie machen den Tag zum Abenteuer.

Einfach weil sie da sind und tun und lassen, was sie nun einmal tun und lassen. Während Mama sich mit Schokolade durch die Nacht rettet. Oder jetzt mal aus einer dieser kleinen Geschichten zitiert, die Kirsten Fuchs auch schon für ein Hörbuch eingelesen hat: „Ich bin Anfang des Jahres noch unstrukturierter als sonst, und wenn ich eine Superheldin wäre, dann Müdewoman, aber ich habe immerhin eine wunderbare Erklärung. Ich hab Winterdepressionen und ich glaube, genau dafür sind billige Unterhaltungsformate erfunden worden.“

Also sieht man Kirsten Fuchs auch mal vor diversen Folgen von Dschungelcamp sitzen und den ganzen verlogenen Quatsch von der Mattscheibe kommentieren. Trocken, messerscharf. Bei falscher Romantik überkommt sie ganz offensichtlich die schöne Lust, den ganzen falschen Mist auseinander zu nehmen.

Und gleichzeitig die ständig präsente Überforderung anzutippen, mit der nun einmal junge und nicht mehr ganz so junge Eltern leben in dieser Welt, in der nicht nur Zähne Privatsache sind, sondern auch Kinderkriegen. Und sie ist ganz bestimmt nicht die Einzige, die dann so knapp auf den Punkt gebrachte Gedanken denkt: „Beim nächsten Mal Erwachsensein kann ich bestimmt alles.“

Schief geht immer genug. Die Waschmaschine bekommt Schleudertrauma, das Kleine steckt den Ehering in den kleinen Schlitz im Waschbecken und der Teenager kommt seit Tagen nicht aus seinem Zimmer. Im Grunde bietet jeder Tag genügend Stoff, sich als Mutter völlig machtlos und ungenügend zu fühlen.

Nur dass Kirsten Fuchs das nicht mit romantischer Schönmalerei übertüncht, sondern die Dinge beim Namen nennt (aber eine Teenager-Selbshilfegruppe vermisst) und die Dinge mit ihrem trockenen Humor so gnadenlos auf den Punkt bringt, dass man aufpassen muss, vom eigenen Lachen nicht aus dem Lesesessel gefegt zu werden (oder aus dem Bett, wenn man da liest).

Denn da unten, im wilden Myzel unserer Unzulänglichkeiten, lauert das Lachen, dürfen wir merken, wie verrückt und sinnlos es ist, immer so zu tun, als wären wir allwissend und perfekt. Sind wir aber nicht.

Waren wir auch nie. Nur dass selten jemand so ehrlich war, uns in all den Verwirrungen übermüdet ins Gesicht zu schauen und zu sagen, wie es wirklich ist. Und sei es der Moment, in dem das Baby endlich schläft, weil der Staubsauger summt.

Die echten Tipps und Tricks, wie man den Tag mit Kindern überlebt und einigermaßen gedeichselt bekommt, die geben sich Mütter heimlich beim Smalltalk, wenn die Männer beschäftigt sind. Die stehen nicht in den teuren Ratgebern. Genau sowenig, wie man bei einer gewissen Frau Kondo erfährt, wie man wirklich Ordnung in sein Daheim bekommt. Auch dazu gibt es eine deftige Geschichte.

Und mal ehrlich: Wer Elternratgeber kauft und dieses Kirsten-Fuchs-Buch liegen lässt, der hat schon was falsch gemacht, bevor das Kind auf die Welt kommt.

Kirsten Fuchsr „Muttermund tut Wahrheit kund“ Voland & Quist, Berlin 2025, 20 Euro.

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