Wahrscheinlich geht es vielen Menschen so. Sie landen in beruflichen Sackgassen. Aus verschiedensten Gründen. Manchmal einfach, weil Menschen, die für sie wichtig sind, falsche Ratschläge gegeben oder einfach blödes Zeug erzählt haben, ihre Verachtung ausgekübelt. So wie es Bernadette ging in ihrem Job bei einer Zeitschrift mit dem vielversprechenden Namen „Paradies“, nach der man in Dresden wahrscheinlich lange suchen muss. Obwohl die Idee bestechend ist: Eine Lifestyle-Zeitschrift aus Sachsen. Irgendetwas ist da wohl nach 1990 falsch gelaufen.
Es sind solche kleinen Einfälle der Leipziger Autorin Barbara Handke, die einen daran erinnern, dass die deutsch-deutsche Malaise eigentlich eine Malaise des Nicht ist, all der Dinge, die es eigentlich auch ganz selbstverständlich im Osten geben müsste, aber nicht gibt.
Wie eben so ein Magazin, bei dem Bernadette nur noch so etwas ist wie das Mädchen für alles, nachdem ein paar wahrscheinlich genauso böse gemeinte Sprüche über ihre Arbeit als Redakteurin und ihre Texte bei ihr zu einer totalen Schreibblockade geführt haben. Dass dann auch noch die Trennung von ihrem Mann dazu kam und die schwierige Pubertät ihrer Tochter Therese, die mit der Trennung der Eltern irgendwie so gar nicht zurecht kommt, sorgte endgültig für einen schier unlösbaren Knoten.
Eine absolut verfahrene Situation. Da wäre so mancher geneigt, das Handtuch zu werfen. Und so recht scheint sich auch kein Blick in die Zukunft aufzutun, als Bernadette da durch den Dresdner September radelt, um sich mit ihrer Freundin Lotta zu treffen, die auch ihre Arbeitskollegin ist.
Eine Freundschaft, von der man ganz am Ende weiß: Da hat sich sich wohl jemand gewaltig getäuscht. Täuschen lassen. Wie wir Menschenkinder nun einmal alle sind, angewiesen auf Zuspruch, Trost und Lob unserer Mitmenschen. Nicht ahnend, wie leicht wir gerade durch dieses Bedürfnis manipulierbar sind.
Königliche Gobelins
So weit, die Freundschaft mit Lotta unter diesem Aspekt zu betrachten, geht Bernadette auch am Ende des turbulenten Monats nicht, den sie dann fast gänzlich in Madrid verbringt, mehr oder weniger von Lotta als Ersatz geschickt, weil Lotta gern Urlaub machen möchte. Da könnte ja die hilfsbereite Bernadette eben den Termin in der Madrider Gobelin-Manufaktur übernehmen und über die Herstellung eines originalgetreuen Gobelins für das Dresdner Residenzschloss berichtet. Oder besser: die Informationen sammeln, damit Lotta dann darüber schreiben kann.
Die Königliche Gobelin-Manufatur gibt es tatsächlich. Und in gewisser Weise lässt sich das Madrid-Abenteuer auch genau so an, wie sich das Lotta wohl gedacht hatte. Aber manchmal braucht es genau so einen kleinen Anstoß und Menschen wie Bernadette werden aus ihrem Trott gestoßen, merken, dass das Leben nicht nur eine Einbahnstraße ist, auf der man dann – eingeschüchtert und völlig entmutigt – einfach nur noch darauf wartet, dass gar nichts mehr geht.
Ein kleiner Anstoß, ein paar Stupser. Manchmal sind es wildfremde Menschen, die überhaupt erst einmal wahrnehmen, dass dieser kleine, eingeschüchterte Mensch nicht nur liebenswert ist, sondern auch lauter Eigenschaften hat, die einen staunen lassen.
Barbara Handke lässt ihre Heldin in Madrid gleich mehreren solcher Menschen begegnen, die in ihr eben nicht die willige kleine Hilfskraft aus dem Redaktionsbüro sehen, sondern die attraktive, kluge und mitreißende Frau, mit der man ganze Nächte im heimlich erkletterten Museumspark verbringen kann. Oder wilde Gespräche über deutsche Philosophen im Café führen kann, so wie es Ed tut, der als Erster in Madrid beginnt, die entmutigte Reisende aus dem fernen Sachsen aufzumuntern.
Er selbst ein Gestrandeter, nachdem er sein Philosophiestudium in Deutschland beenden musste. Nun jobbt er eben im Café, zaubert perfekte Kaffeekreationen und hält die Gäste mit Ermutigungen bei Laune. Oder macht ihnen gar Dampf, dass sie sich jetzt bitteschön über ihren Laptop hängen und die Geschichte über die Gobelin-Manufaktur schreiben soll. Wie es Bernadette dann auch tut.
Und zwar richtig tut. Sodass der Artikel über die Manufaktor im „Paradies“ dann tatsächlich aus ihrer Tastatur stammt. Die Redaktionschefin ist zufrieden. Bernadette ist wieder zurück im Team.
Ermutigung und Freiheit
Natürlich nicht ahnend, in welchen Porzellanladen sie dadurch geraten ist. Und dabei war es eine weitere Ermutigerin in Madrid, die ihr den eigentlichen Anstoß gegeben hatte, den Text einfach ohne viel Brimborium zu schreiben und nicht bloß Notizen zu liefern – die selbstbewusste Karen, die so reich ist, dass sie sich nicht mal Gedanke darüber machen muss, ob sie irgendwelche Grenzen überschreitet.
Es ist nicht nur ein Buch über Ermutigungen, das Barbara Handke hier geschrieben hat, sondern auch eins über die verschiedenen Welten, in denen Menschen leben, denken und fühlen – die einen völlig unbelastet, weil sie über genug Geld verfügen wie Karen. Die anderen mit permanenter Sorge um die nächste Miete, so wie Bernadette.
Aber die Ermutigung hilft, dass Bernadette so langsam auftaut und wieder lernt, Dinge zu tun, von denen sie nicht weiß, ob es am Ende gut ausgeht. Sich traut, Bernadette zu sein.
Das dürfte viele Leserinnen und Leser berühren. Denn in so einer Klemme stecken viele Menschen. Gerade all jene, die mit ihrem kargen Gehalt knausern müssen und im Lauf der deprimierenden Jahre gelernt haben, dass für alle Träume und Extra-Wünsche kein Geld da ist. Dass also eigentlich nichts geht.
Eingeklemmt in ihre kargen Verhältnisse halten sie durch und stemmen trotzdem noch Familie, pubertierende Kinder, kaputte Partnerschaften. Und nehmen dann auch die entsprechende Haltung ein, nehmen sich zurück, verschwinden regelrecht, trauen sich nicht mehr, den Kopf oben zu tragen und deutlich und selbstbewusst zu sprechen.
Davon dürfte jeder in seinem Umfeld eine ganze Reihe kennen. Und dabei geht es letztlich in diesem Buch um Freiheit. Die Freiheit, wieder mit eigener Stimme zu sprechen, die eigenen Wünsche ernst zu nehmen und die eigenen Stärken nicht immer nur zu verstecken, weil man denkt, damit bei den andere Menschen anzuecken.
Wieviele Menschen machen sich so klein und unscheinbar? Und denken tatsächlich, dass andere mit ihren abfälligen Urteilen über sie auch noch recht haben.
Wenn zwei sich trotzdem finden
Aber in Madrid ändert sich alles. Nicht gleich. Denn so eine Verwandlung passiert nicht von heute auf morgen. Sie braucht Zeit, braucht dramatische Rückfälle, Momente des Beinahe-Verzweifelns und dann wieder tastende Schritte, ob es vielleicht doch geht.
Und dass Bernadette am Ende nicht aufgibt und nach einer überstürzten Abreise aus Madrid (Therese hat sich in einem illegalen Studio ein Tattoo stechen lassen und liegt nun im Krankenhaus) ist Bernadette am Ende wieder da, eingeladen zur feierlichen Übergabe der Gobelins für das Dresdner Residenzschloss.
Aber das hat einer angeleiert, den sie anfangs überhaupt nicht für voll genommen hat, als stoffelig und unnahbar erlebte – der Fotograf Tom Eden. Eigentlich eine bekannte Größe auf seinem Gebiet. Aber selbst mittendrin in einer verzwickten Familienkonstellation, die dann auch noch ihren dramatischen Höhepunkt erlebt.
So gesehen ist es eine geradezu romantische Zwei-finden-sich-Geschichte. Aber herausgearbeitet aus sehr irdischen Lebenssituationen, in denen viele Menschen landen, obwohl sie das nie so erleben wollten. Die Partner verlieben sich fremd, der Streit beginnt um die Kinder und um den Ort, an dem diese künftig leben sollen. Und die ganze Energie, die man eigentlich für die Arbeit brauchte, geht im familiären Gezerre verloren. Da finden sich also zwei, die eigentlich voll beschäftigt wären mit ihrem eigenen ins Trudeln geratenen Leben.
Und doch gehört das zusammen. Den Blick für die Menschen um uns herum gewinnen wir tatsächlich erst wieder, wenn wir aufblicken und uns nicht in den Vorstellungen, die Andere uns eingeredet haben, einigeln. Den Kopf hoch und – wie Bernadette – mit ein bisschen königlicher Haltung in die Welt gucken und das Leben wieder als Herausforderung annehmen. Da hilft sogar ein gar nicht geplanter Friseurbesuch.
Das Glück am Schopf
Orte, an denen man das lernen und Neues wagen kann, gibt es genug. Und wenn einen die Anderen aus Missgunst oder Neid irgendwo an der nächtlichen Autobahn aussetzen, dann jammert man eben nicht, sondern plant seine nächsten Schritte strategisch. Und lernt dabei Menschen kennen, von denen man nie gedacht hätte, dass man sie mal kennenlernt.
Aber das passiert eben nur, wenn man herauskommt aus der alten Spur und – auch mit Unterstützung hilfreicher Zeitgenossen – wieder lernt, dass letztlich alles von einem selbst abhängt. Dass man kein Blatt im Wind ist und manche Gefühle – auch die zur rebellierenden Tochter – nur zu berechtigt sind. Denn wo kämen wir hin ohne all diese Gefühle?
Eben.
Im Grunde ist Barbara Handkes Roman ein einziges Ermutigungsbuch. Für alle, die das blöde Gefühl haben, in Situationen gelandet zu sein, die sie nur noch einengen und niederhalten. Was eben auch mit Freundinnen wie Lotta zusammenhängt, die letztlich geradezu rätselhaft reagiert. Es geht also auch um Freundschaften, die eigentlich keine sind. Und um den ja nicht kleinen Mut, sein Glück vielleicht doch mal am Schopf zu packen. Vielleicht ein bisschen überrascht dabei, wer einem dieses Glück alles gönnt.
Aber dazu muss man sich trauen. Stimmt. Und vielleicht hilft ja eine Reise nach Madrid dabei.
Barbara Handke „Bernadette ändert ihr Leben“ Rowohlt Wunderlich, Hamburg 2025, 25 Euro.
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