In Torgau ist Gottfried Kohlhase kein Unbekannter. Er war Gründungsmitglied und mehrere Jahre Vorsitzender des NABU-Kreisverbandes, hatte maßgeblichen Anteil an der Einrichtung des „Biberhofes Torgau“ und lädt regelmäßig zu Führungen in die Natur rund um Torgau ein. Und wenn er da nicht unterwegs ist, zieht er selber los mit Kamera und Notizheft – zu Pirschtagen, wie er das selbst nennt. Nur hat er nicht vor, allerlei unschuldiges Wild zu schießen. Im Gegenteil: Er sucht die Vielfalt der wilden Natur.

Dieses Buch nimmt seine Leserinnen und Leser mit auf diese Pirschgänge, die das Leben des ausgebildeten Berufsschullehrers seit über 30 Jahren prägen.

Egal, ob Schnee und Frost die Teiche in bizarre Landschaften verwandeln oder der Frühling neues Leben in die kostbaren Seenlandschaften bringt: Er geht los und widmet sich in der Regel stundenlang der Beobachtung der Tiere, die sich auf den Seen und Teichen rund um Torgau regelmäßig einfinden. Akribisch vermerkt er jeden exotischen Neuankömmling, jede Veränderung in der Population von Grau- und Silberreihern, Bibern, Kranichen, Kiebitzen und Bekassinen.

Für einen Mann mit dieser Begeisterung für die belebte Natur geradezu etwas Selbstverständliches. Er weiß, dass man Geduld mitbringen muss und ein guter Beobachter sein muss, wenn man die wilde Vielfalt direkt hinter der Stadt entdecken will. Aber da er seine Kamera stets dabei hat, gelingen ihm auch immer wieder erstaunliche Bilder des wilden Treibens, kann er den Betrachtern regelrecht vor Augen führen, was jenseits der menschlichen Umtriebigkeit tatsächlich alles kreucht und fleucht. Das dürfte selbst für die Torgauer eine Entdeckung sein.

Bedrohte Vielfalt

Denn wer setzt sich denn schon mal ein paar Stunden in die Wüste Mark Benken, an den Großen Teich oder den Gehegeteich, um sich überraschen zu lassen, welche Tiere einem da vor Augen kommen? Die meisten Menschen haben gar nicht die Geduld und machen, wenn sie schon mal in der Natur unterwegs sind, einen solchen Lärm, dass alle Tiere flüchten und sich verstecken. Wir sehen deshalb von der Vielfalt des Lebens um uns herum größtenteils nur wenig.

Schon gar nicht mit den fachkundigen Augen eines Gottfried Kohlhase, der mit diesem Buch ja auch zeigt, wie vielfältig das Leben vor den Toren der Stadt auch heute noch ist. Auch wenn er in mehreren seiner Tagebucheinträge feststellen muss, dass es bei mehreren einst überall vorkommenden Tierarten massive Verluste gegeben hat, dass Beobachtungen seltener geworden sind.

Und eben auch, dass gedankenlose Mitmenschen weiter daran arbeiten, die Lebensräume der Tiere immer weiter einzuengen oder gar zu zerstören. Mittlerweile auch mit technischen Projekten wie Solarfeldern direkt auf Seen, auf denen eigentlich die Wildvögel zu Hause sind. Oder auf artenreichen Auenwiesen. Projekte, die ganz offensichtlich davon erzählen, dass ihre Befürworter von den komplexen Zusammenhängen in der Natur vor unserer Haustür keine Ahnung haben. Und die Verwaltungen, die solche Projekte genehmigen, auch nicht.

Man merkt schnell, wie bitter nötig dieses Buch ist, für das Kohlhase einige seiner markanten Pirschgänge aus den letzten Jahren gesammelt hat. Pirschgänge, die ihn nicht nur zu den Seen in der Torgauer Flur geführt haben, sondern auch auf die Melpitzer Blumenwiesen, wo er 2014 noch eine Hasenhochzeit beobachten konnte.

Es sind ja auch die Tiere der Feldflur, die zunehmend unter Druck geraten und vor unseren Augen verschwinden. Die Kiebitze natürlich auch, die Kohlhase 2017 auf den Melpitzer Wiesen beobachtet hat, während die Biber so langsam zurückkehren. Woran ja auch das Torgauer Biberprojekt einen Anteil hat.

Wenn auf einmal das Wasser fehlt

Mit den Bibern können wir Menschen wieder lernen, wie man Flüsse wieder in ihren Naturzustand versetzt und gleichzeitig Wasser in der Landschaft zurückhält. Denn Kohlhases Pirschgänge ab 2018 zeigten ihm ja auch, wie heftig die zunehmenden Dürre-Jahre den Wasserlandschaften um Torgau zusetzten.

Seen, die vorher immer ein Paradies des wilden Lebens waren, trockneten aus, Bäche führten kein Wasser mehr, Vögel und Amphibien schienen wie verschwunden. Umso überraschender für den Pirschgänger war die neu aufblühende Vielfalt, wenn dann ausgiebige Regenfälle die Gewässer wieder befüllten. Für eine gewisse Zeit kanm die Natur Hitze- und Dürrezeiten abfedern. Aber was, wenn das nun immer häufiger passiert?

So ist dieser reich bebilderte Band auch eine Erinnerung daran, welchen Reichtum wir zu verlieren drohen, wenn wir die Folgen des Klimawandels nicht in den Griff bekommen und weiter draufloswirtschaften, als ginge uns die gefährdete Natur nichts an. Selbst im Naturschutzgebiet Prudel an der Alten Elbe machten sich 2021 die Folgen der Dürre bemerkbar. Auch wenn hier das Öffnen des Siels zur Elbe hätte helfen können. Aber noch ticken die Wasserwirtschaftler nicht so. Und wertvolle Laichgewässer fallen einfach trocken.

Im Grunde erzählt Kohlhase ja in all seinen Tagebucheinträgen auch davon, wie schwer sich gerade die in Ämtern agierenden Menschen tun, ihr altes Denken zu ändern und die noch verbliebene Natur tatsächlich zu schützen. Immer wieder stehen private und Unternehmensinteressen höher, tut man so, als wären die schwindenden Naturreservate nicht so wichtig und irgendwie ersetzbar.

Obwohl viele der Tiere, die Kohlhase fotografiert hat, längst auf den Roten Liste stehen. Und man ihre Existenz nicht durch einzelne Schutzprogramme rettet, sondern nur durch die konsequente Bewahrung ihrer Lebensräume. Da sind Pläne für eine Photovoltaikanlage auf dem Kuhteich, über die Kohlhase 2021 schrieb, einfach nur rücksichtslos, drohen ein kleines Vogelparadies einfach zu zerstören.

Der Reichtum vor unserer Nase

Und so wären die Leser des Buches durchaus aufgefordert, Kohlhases Spuren zu folgen, mit Vorsicht und Geduld natürlich. Um einfach selbst zu sehen, wo die Haubentaucher und Flussseeschwalben zu beobachten sind, die Watvögel ihr Futter suchen und der Eisvogel brütet. Es ist ein Buch zum Staunen über die noch vorfindbare Vielfalt.

Aber auch eins mit traurigen Momenten, etwa wenn Kohlhase von den wegen Dürre abgestorbenen Eichen an der Alten Elbe erzählt. Man begegnet Kranichen, Wildgänsen und Seeadlern, schaut den Bibern geradezu beim Dammbau zu und sieht Möwen und Kormorane beim großen Fischmahl im Großen Teich von Torgau. Noch ist das alles da. Aber es ist bedroht – durch Klimawandel und menschliche Blindheit, die den Reichtum vor unserer Nase nicht sehen will, weil et bei schnellen Geschäften stört.

Und Kohlhase betont es auch selbst: Seine Tagebuchaufzeichnungen dokumentieren in vielen Fällen den Rückgang der Tierpopulationen in der Torgauer Region. Beutelmeisen, Raubwürger und Rebhühner, Rohrweihen und Braunkehlchen gehören zu den Tierarten, die in den letzten Jahrzehnten massive Rückgänge erlebten. Und das hat – wie Kohlhase feststellt – vor allem damit zu tun, dass ihre Lebensräume immer mehr zusammengeschmolzern sind oder systematisch zerstört wurden.

Noch immer gehen Lebensräume verloren, verstecken sich Bauherren und Verwaltungen hinter windigen Ausgleichsmaßnahmen, die rechnerisch irgendwie das Zerstörte ersetzen, den verschwundenen Lebensraum aber tatsächlich nicht wiederherstellen können. Kohlhases Bilder und Tagebucheinträge zeigen, wie komplex tatsächlich Lebensräume sind. Eine Komplexität, die man aber nur begreift, wenn man genau hinschaut – auch auf die Insekten und Pflanzen.

Alles hängt mit allem zusammen. Der Mensch kann bestenfalls helfend eingreifen, indem er wieder standortangepasste Wälder pflanzt. Aber er selbst kann die natürliche Vielfalt nicht schaffen. Er kann sie nur zerstören. Ahnungslos, wie viel da verloren geht, wenn Ämter nach Vorschrift immer neue Eingriffe in intakte Naturräume genehmigen.

Gottfried Kohlhase „Naturschätze im Torgauer Land“, Sax-Verlag, Beucha und Markkleeberg 2025, 19,90 Euro.

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