Lesen Sie dieses Buch. Schenken Sie dieses Buch Ihrem Mathematiklehrer. Ihrer Ethiklehrerin, Ihrem Abgeordneten. Und verlangen Sie, dass sie das Buch auch lesen und verstehen. Und wenn Ihre Abgeordnete das Buch nicht versteht – wählen Sie sie ab. Denn nichts ist katastrophaler als Abgeordnete und Politiker in Ministerämtern, die nicht einmal verstehen, wie ein Staat sich finanziert. Axel Stommel erklärt in diesem Buch all das, was die üblichen „Ökonomieexperten“ verschweigen, verdrehen, vermüllen. Unsere völlig überschuldeten Staaten sind kein Zufall. Sondern eine Katastrophe.
Eine Katastrophe für uns Bürger, für unsere Demokratie und für unsere Zukunft. Und das hat mit all den verlogenen Begriffen zu tun, die uns als Weisheit der modernen Staatskunst angedreht werden: Schwarze Null, Schuldengrenze, Neuverschuldungsverbot, Austeritätspolitik usw. Der ganze Müll einer Finanzjonglage, die dazu führt, dass sich reiche und wohlhabende Staaten wie Deutschland immer weiter in einer Schuldenspirale verstricken.
Dabei wurde uns ja gerade in den letzten Monaten erst recht gepredigt, wie wichtig Schuldenaufnahmen sind, um endlich wieder (mehr) zu investieren. Es wurde uns als „Sondervermögen“ verkauft. Das darf man ruhig bewusste Irreführung nennen. Die 500 Milliarden oder 1 Billion Euro sind kein Vermögen. Damit beginnt die Lüge schon. Es sind neue Kreditaufnahmen des Bundes, also Schulden. Nichts anderes.
Falsche Vorstellungen im Kopf
Aber das Problem ist ein anderes. Und deswegen wird der Ökonom Axel Stommel sehr grundlegegend in diesem Buch. Er weiß, dass in den Köpfen der meisten Menschen die falschen Vorstellungen stecken, die deutsche Finanzminister seit über 30 Jahren verbreiten.
Stets im Verein mit lauter „Wirtschaftsweisen“ und Hochschulökonomen, die diese falschen Vorstellungen von der Staatsfinanzierung mit aufgeblasenen (aber falschen) Theorien untermauern und den Bürgern bis heute – in verschiedenen Variationen – das Trickle-down-Märchen von Ex-US-Präsident Ronald Reagan erzählen: Wenn man nur die Steuern immer weiter senkt, damit die „Investoren“ mehr Geld haben, wird mehr investiert und der so neu geschöpfte Wohlstand tröpfelt dann auch bis ganz nach unten. Ein Märchen aus dem Jahr 1980. Auch wenn die Vorläufer dieser Schnapsidee noch älter sind.
Aber seitdem wird auch in Deutschland mit diesem Märchen Finanzpolitik gemacht. Wird den Bürgern eingeredet, der Staat müsse sparen, konsolidieren, streichen, kürzen usw. Motto: Wir könnten uns das alles nicht (mehr) leisten.
Die meisten aber erfahren nicht einmal in der Schule, dass längst in der Praxis bewiesen ist, dass Staaten so nicht funktionieren. Dass Wohlstand nicht mit kaputtgesparten Staaten einhergeht, sondern mit hohen (Spitzen-)Steuersätzen und einem Staat, der investiert und investieren kann. Aber nicht auf Grundlage von Schulden, sondern von Einnahmen.
Weshalb Stommel erst einmal ausführlich erklärt, warum ein Staat nicht genauso funktioniert wie der Haushalt der schwäbischen Hausfrau und auch nicht wie ein Unternehmen, das Kredite aufnimmt, um neue Produktstrecken zu finanzieren und dann mit den neuen Produkten wieder Gewinn erwirtschaftet. Staaten erwirtschaften keine Gewinne. Aber Staaten investieren.
Jeder Euro, den der deutsche Staat ausgibt, ist eine Investition. Warum auch Gehälter für Polizisten, Lehrerinnen, Ärzte, Richter usw. Investitionen sind, erläutert Stommel sehr ausführlich. Bis in den Sozialetat hinein, der in Deutschland in den letzten Jahren zwar nominell angewachsen ist, aber – gemessen am BIP – nicht prozentual.
Deutschland lebt unter seinen Verhältnissen
Deutschland lebt nicht über seine Verhältnisse. Und ist trotzdem knapp bei Kasse. Was eine Übertreibung ist. Denn über 30 Jahre Austeritätspolitik zeitigen ihre Folgen. Jeder kann sie sehen. Die Unterfinanzierung der Bahn ist längst Dauerthema. Kaputte Brücken, Straßen, Schulen sind längst Dauerthema.
Die Kommunen rutschen gerade bundesweit in tiefe rote Zahlen. Bundesländer legen sogenannte „Sparhaushalte“ vor, obwohl es im Kern längst Kürzungshaushalte sind. Und die Bürger schauen verblüfft auf ein Land, das sich vor ihren Augen in eine Investruine verwandelt und gleichzeitig mit Riesenschritten auf den Staatsbankrott zumarschiert.
Stommel erklärt akribisch, dass hinter diesem seit den 1970er Jahren veränderten Verständnis von Staatsfinanzierung eine politische Agenda steckt. Eine Agenda, mit der die Reichen und Superreichen nicht nur dafür sorgen, dass ihre Steuerlast permanent sinkt und sie immer größere Anteile ihrer Vermögen vor der Versteuerung schützen.
Was dazu führt, dass die Vermögen der Superreichen seit Jahren wachsen. Und – das dürfte für alle, die in Mathematik nicht aufgepasst haben, überraschend sein – gleichzeitig die Schulden der Staaten im selben Maß wachsen. Die wachsenden Schulden des Staates sind auf der anderen Seite die wachsenden Vermögen der Superreichen.
Die damit aber ein Problem haben. Denn sie legen ihr Geld ja nicht bei der Sparkasse an oder im Sparschwein unterm Bett. Ihr Geld sucht Anlagen. Weshalb diese Leute wie besessen davon sind, nicht nur Immobilien aller Art zu kaufen (und damit die Immobilienpreise in irrwitzige Höhen jagen), sondern neben Aktien auch robuste Anleihen.
Und welche Anleihen wären robuster als Staatsanleihen? Also machen sie – über ihre Lobbyisten und die ihnen hörigen Politiker – nicht nur Druck, dass der Staat spart und die Steuern senkt, sondern auch, dass der Staat fleißig Schulden macht.
Ein Vermögen, das gar keins ist
Als der (alte) Bundestag am 18. März den Beschluss zum 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen fasste, werden in Villen und Bankenzentralen die Korken geknallt haben. Denn wer kauft diese Staatsanleihen denn? Es sind die Leute, die über das entsprechende Geld verfügen.
Und die sich darauf verlassen können, dass der Bund die fetten Zinsen auf diesen Anleihen auch brav bezahlt. Mit unserem Steuergeld übrigens, um das an dieser Stelle mal zu erwähnen. Wir alle zahlen die Zinsen für die Schulden des Staates.
Aber wie sollte sich ein Staat nun finanzieren, wenn er ordentlich wirtschaften will? Nicht über Schulden stellt Stommel immer wieder fest. Für einen Staat gilt, dass die Ausgaben die Einnahmen bestimmen. Denn anders als die überforderte hektische Hausfrau hat der Staat ein Instrument in der Hand, das Unternehmen und Privathaushalte nicht haben: die Steuern.
Die genau deshalb so heißen, weil der Staat damit steuert. Nämlich nicht nur die Inhalte seiner Politik, die er mit dem Geld finanziert, sondern auch seine Einnahmen. Er kann nicht nur, er muss seine Einnahmen den Ausgaben anpassen.
Stommel arbeitet sehr akribisch heraus, wie gerade das Geld, das der Staat einnimmt und hundertprozentig auch wieder ausgibt, erst ermöglicht, die selbst gesetzten politischen Ziele zu erreichen. Und natürlich tut er das, nachdem er die heute üblichen beiden Hauptströmungen der ökonomischen Lehrstuhlweisheit erläutert hat.
Die Hauptströmung verdammt den Staat zum Sparen und Steuernsenken. Mit den beobachteten dramatischen Folgen einer über Jahrzehnte verschleißenden Infrastruktur und einer rasant wachsenden Staatsverschuldung (trotz allen Geredes um Neuverschuldungsverbote).
Dabei lässt er auch den peinlichen Auftritt des damaligen deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble nicht aus, der sich regelrecht in die griechische Haushaltsführung einmischte und Griechenland (über die sogenannte Troika) zum rabiatesten Sparkurs verdammte, den ein europäisches Land in den letzten Jahren erlebt hat.
Futter für den Populismus
Aber Stommel beschäftigt sich auch mit der Nebenströmung, sie seit Anfang des Jahres Aufwind hat – den Befürwortern einer wachsenden Staatsverschuldung. Die freilich nichts am falschen Sparverhalten des Staates ändern und gleichzeitig völlig ausblenden, dass mit dem wachsenden Schuldenberg auch die Zinsausgaben wachsen. Allein die stetig wachsenden Zinsausgaben für die wachsenden Schulden sorgen inzwischen dafür, dass der Bundeshaushalt ins Minus rutscht, die Schulden also noch schneller wachsen.
Wer ist da eigentlich besoffen?
„Während man mit der Sparalternative alles verschlechtert, vor allem die deflatorische Nachfragelücke vergrößert, erreicht man mit der Einnahmeverbesserung glatt fünf Ziele auf einen Streich“, schreibt Stommel, „nämlich eine Stärkung
der Zukunftsfähigkeit durch Investitionen in Bildung, Infrastruktur, Forschung, Entwicklung u. a.
des Wirtschaftskreislaufs
des sozialen Ausgleichs sowie
der gesellschaftlichen Stabilität.
Zusätzlich nimmt man Luft aus dem aufgeblähten Finanzmarkt.“
Er muss gar nicht extra betonen, dass der zunehmend radikalisierte Populismus von heute eine direkte Folge des vom „Sparen“ besessenen Staatshaushaltens ist, das nur einer einzigen, winzigen Gruppe zugutekommt und riesige Vermögenszuwächse zuschanzt: den Superreichen. Niemandem sonst. Das merken die Menschen.
Sie leben ja alle in den kaputtgesparten Kommunen und Regionen. Politik ist auch Mathematik. Gnadenlose Mathematik. Und die Bürger merken, wie ihr Staat nicht nur immer schlechter funktioniert. Sie merken auch, wie Leute mit viel Geld immer mehr Macht über diesen Staat gewinnen und sich auch noch als „spendable“ Geldgeber ausgeben, wenn sie Staatsanleihen kaufen.
Die der Staat gar nicht verkaufen müsste, wenn er sich über auskömmliche Steuern ausreichend finanzieren würde.
Eigenkapital statt Schulden
Steuereinnahmen sind für den Staat Eigenkapital. Auf das er auch keine Zinsen zahlen muss. Das aber Gewinne für die gesamte Gesellschaft erzeugt, wenn es einfach investiert wird – in kluge Köpfe, eine gut ausgestattete Verwaltung, ein funktionierendes Justizwesen, eine zuverlässige Polizei, in Straßen, Schulen, Museen, Theater und Kindertagesstätten.
Staatliche Investitionen tragen überall Früchte und sorgen dafür, dass auch die Armen und Geringverdiener teilhaben können. Steuergerechtigkeit schafft Teilhabegerechtigkeit.
Man merkt schon, wie die Superreichen genau daran kein Interesse haben. Denn sie profitieren von zerrissenen Gesellschaften, von Menschen, die jeden Job annehmen müssen, egal wie mies er bezahlt wird, von Verachtung, Neid und Ausgrenzung.
Man ahnt hinter all dem, was Stommel auflistet, warum unsere Demokratie derart aus den Fugen geraten ist. Und dass das genau im Interesse derjenigen Leute ist, die aus dieser Gesellschaft immerfort neue Vermögenszuwächse abzweigen, während der Staat seit Jahrzehnten völlig untersteuert ist.
Wenn man in einem derart untersteuerten Staat mit fehlender Vermögensbesteuerung und viel zu niedrigen Spitzensteuersätzen auch noch gnadenlose Austeritätspolitik betreibt, verstetigt man die staatliche Handlungs(un)fähigkeit auf viel zu niedrigem Niveau. Auf einem Niveau, auf dem nicht einmal mehr die notwendigen Zukunftsinvestitionen getätigt werden können.
Und dann diese aufklaffenden Löcher mit neuen Schulden stopfen zu wollen, verschärft das Problem sogar und schafft noch größere Finanzklemmen in der Zukunft. Stommel: „Staatliche Verschuldung ist grundsätzlich unwirtschaftlich und unsozial zugleich. Für die Demokratie ist sie gefährlich. Indem sie den Primat der Politik untergräbt, arbeitet sie beständig daran, die sachlich gebotenen und deshalb wünschenswerten Verhältnisse in Wirtschaft und Gesellschaft auf den Kopf zu stellen.“
Selbst Politiker haben den Primat der Politik vergessen
Primat der Politik. Eine Formel, die wohl den meisten unserer gewählten Politiker zutiefst fremd sein dürfte. Wir wählen diese Leute zwar, damit sie unsere Interessen vertreten. Aber tatsächlich weichen sie genau dieser Aufgabe aus. Geht ja nicht. Können ja die wirklich reichen Menschen nicht besteuern, die darben ja sonst, die armen Schweine.
Und so finanziert man den Staat vor allem aus den Steuern der Habenichtse. Auch das schildert Stommel. Es sind Einkommenssteuer und Mehrwertsteuer, die den größten Teil unseres Staates finanzieren. Und Mehrwertsteuer zahlen selbst die Obdachlosen und Sozialhilfeempfänger, wenn sie sich was zu essen kaufen. Das war die Steuer, die zuletzt erhöht wurde: die Steuer, die wir alle zahlen.
Aber Stommel zeichnet eben auch das Bild des zunehmend machtlos gemachten Staates, der immer häufiger nach der Pfeife seiner Gläubiger tanzen muss. Und das sind nicht wir, die gewöhnlichen Steuerzahler, sondern die Leute, die die Staatsanleihen horten.
„Wie viel Expertentum ist erforderlich, um zu erkennen, dass ein Schuldner nicht über seinen Gläubiger bestimmen kann und dass demzufolge nur ein Staat, der nicht selber als Schuldner dem Finanzmarkttreiben unterworfen ist, dem Treiben eben dieser Finanzmärkte jene Regeln und Grenzen setzen kann, die zwingend geboten sind und mit großen Mehrheiten gefordert werden?“, fragt Stommel zu Recht.
Wie kann es sein, dass private Ratingagenturen auf einmal die Macht haben, Staaten die Liquidität abzusprechen? Je weiter Stommel in seiner Analyse kommt, umso deutlicher wird, wie systematisch die (neoliberale) Theorie von der Austerität des Staates die Funktionsfähigkeit unseres Staates untergräbt und den Staat und seine ahnungslosen Politiker zu Erfüllungsgehilfen einer Politik macht, die die Wähler überhaupt nicht gewählt haben.
Schulden als Ausnahmefall
Und wie ist das mit den Schulden? Hat nicht John Maynard Keynes selbst Schulden als staatliche Handlungsmöglichkeit benannt? Hat er. Aber nur als Ausnahme – nämlich im Fall von Krisen, in denen der Staat mit Kreditaufnahmen und sofortigen massiven Investitionen gegensteuern kann und vor allem die Kaufkraft der Menschen stärkt.
Dauerhafte Staatsverschuldung kommt bei Keynes nicht vor. Und Stommel verweist natürlich auch auf die katastrophalen Folgen der aufgehäuften Geldvermögen, die in Billionenhöhe um den Erdball jagen und nach Anlagen suchen.
Es sind diese aufgeblähten, an keine reale Wirtschaftskraft mehr gebundenen Finanzvermögen, die immer wieder für die riesigen Finanzkrisen sorgen, die in den letzten Jahren passiert sind. Die größte und verheerendste die von 2008. Fast vergessen.
Die Bundesrepublik hat diese Krise mit einer riesigen Schuldenaufnahme „bewältigt“. Schulden, die heute immer noch auf dem Konto des Bundes stehen, niemals abgetragen wurden, schon gar nicht von den Hauptverursachern der damaligen Krise.
Natürlich kann so eine Besprechung nur ein Überflug sein über die sehr genauen Ausführungen Stommels zur Staatsfinanzierung, zu seiner fundierten Kritik an den heute dominierenden Vorstellungen von Staatsfinanzierung, Schwarzen Nullen und Schulden.
Und zu seinen sehr klaren Ausführungen dazu, warum nur eine kluge und ausreichende Aussteuerung des Staates eben diesen Staat wieder funktionsfähig im Sinne seiner Bürger macht. Und vor allem aus der Geiselhaft der Finanzmärkte befreit, die heute viel mehr in der deutschen Politik bestimmen als alle Wähler bei allen Wahlen zusammen.
Das sollte einem als Wähler und Abgeordneter schon bewusst sein.
Lesen Sie das Buch. Versuchen Sie es zu verstehen. Und fragen Sie Ihren Mathelehrer, warum er Ihnen Mathematik nicht am Beispiel von Staatsfinanzen beigebracht hat.
Axel Stommel Staatsfinanzierung: Steuern, Sparen oder Verschulden? Büchner Verlag, Marburg 2025, 22 Euro.
Empfohlen auf LZ
So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:













Keine Kommentare bisher