Wie kann man das Fehlen von Lehrern kompensieren? Indem man die Stundentafel kürzt. Und das verkauft man dann als Entlastung der Schüler. So geschehen am Dienstag, 26. Juni, in Sachsen. Da kündigte Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU) die Kürzung der Stundentafel in Sachsens Schulen an. Das sei so in der Regierungskoalition abgesprochen.

Den wirklichen Grund verriet er auch – ein bisschen versteckt.

„Hohe Priorität hat für uns, die Stundenlast der Schülerinnen und Schüler zu verringern und zugleich Freiräume für bestimmte Lerninhalte und mehr individuelle Förderung zu eröffnen“, sagte Kultusminister Christian Piwarz am Dienstag, 26. Juni, bei der Vorstellung der Stundentafeln in Dresden. Der Minister verwies dabei auch auf eine beabsichtigte Stärkung der Medienbildung und der politischen Bildung. Zugleich stellte er klar, dass mit den veränderten Stundentafeln auch Lehrerarbeitsvolumen freigesetzt werde, welches der Unterrichtsabsicherung zugutekommen soll.

Ob in Sachsens Schulen jemals die Vermittlung von echter Medienkompetenz Einzug hält, das bezweifeln wir. Bislang ging es immer nur um technische Geräte und Werbung für allerlei interaktiven Schnickschnack.

Aber da, wo der Minister glaubt, kürzen zu können, tut es dafür richtig weh.

„So werden ab dem Schuljahr 2019/2020 in Grundschulen in der 3. Klassenstufe je eine Unterrichtsstunde weniger Musik und in der 4. Klassenstufe (Klst.) je eine Stunde weniger Deutsch und Sport unterrichtet“, meldet das Kultusministerium. Deutsch und Sport?

Da setzt der Minister die Axt direkt beim Thema Sprachkompetenz und körperliche Fitness an, beides seit Jahren schon echte Problemfelder in Sachsens Schulen.

„Die beschlossenen Anpassungen waren überfällig. Ab dem Schuljahr 2019/2020 werden wir unsere Schüler gezielt entlasten und mehr Freiräume für individuelles Lernen ermöglichen”, meinte denn auch gleich noch der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag, Lothar Bienst. „Zugleich werden aber auch neue Lerninhalte wie Medienbildung und politische Bildung stärker verankert. Mit diesen Inhalten machen wir unser Bildungssystem weiter fit für ein Lernen im digitalen Zeitalter!“

Lehrernotstand wird zur Kürzung der Stundentafel

Logisch, dass die bildungspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, Cornelia Falken, in dieser Kürzung nichts anderes sieht als einen Versuch, das Fehlen von Lehrern irgendwie zu kompensieren: „Dass der Kultusminister mit den Motiven für eine Kürzung der Stundentafel hinter dem Berg hält, kann man ihm nicht nachsagen. Was er beabsichtigt und warum, spricht er offen aus.

Die vorgesehenen Änderungen der Stundentafel, von denen eine Reihe von Fächern betroffen ist, sollen Lehrerarbeitsvolumen freisetzen, das gebraucht wird, um den Unterricht abzusichern. Die ‚Freiräume für bestimmte Lerninhalte und mehr individuelle Förderung‘, die sich der Minister erhofft, sind angesichts des akuten Lehrernotstands kaum realistisch.“

Und mit der angekündigten Erhöhung der Mittel für Ganztagsangebote (GTA) verstärke der Kultusminister auch noch die Tendenz, den Fachunterricht zu reduzieren und in den Ganztagsbereich zu verlagern. Hiervon ist besonders der Kunst- und Musikunterricht betroffen. Augenscheinlich haben Kunst und Musik in der digitalen Weltsicht heutiger Kultusminister keinen menschenbildenden Wert mehr. Ist das nur eine Eulenspiegelei? Oder zeigt sich hier schon die Verachtung für einen kreativ denkenden Menschen?

„Für den regulären Schulunterricht sind außerschulische Angebote kein gleichwertiger Ersatz, schon allein weil Ganztagsangebote nicht von allen Schülerinnen und Schülern besucht werden“, sagt Falken. „Die Linke fordert den Kultusminister auf, vor einer Reduzierung der Stundentafel die entsprechenden Lehrpläne zu erstellen. Bevor Änderungen an der Stundentafel vorgenommen werden, müssen die Unterrichtsinhalte geklärt sein.“

Welche Lerninhalte werden dran glauben müssen?

Denn das Problem in Sachsen waren nie die Stundentafeln, sondern die mit oft genug völlig unnützem Wissensballast vollgestopften Lehrpläne. Wenn die Stundenzahl aber gekürzt wird, wird dieses Wissen entweder nicht mehr vermittelt – wir werden wohl noch mehr Sprachpanscher bekommen, die ihre eigene Sprache nicht beherrschen und ihre eigene Kultur nicht kennen – oder das Ganze wird noch weiter zusammengepresst.

Und auch Petra Zais, bildungs- und sportpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag, hält die Kürzungen für fatal. Gerade im wichtigen Sportunterricht die Schere anzusetzen, ist geradezu ungesund.

„Auch wenn nun, entgegen früherer Pläne, alle Fächergruppen in den Blick genommen wurden: Beim Schulsport wird über Gebühr gekürzt. Sowohl an Grundschulen (Klassenstufe 4) als auch an Oberschulen (Klassenstufen 7, 8, 9 und 10) und Gymnasien (Klasse 7) wird künftig weniger Sport unterrichtet. Das ist das falsche Signal“, sagt die Grünen-Abgeordnete.

„Die Petition ‘Für eine bewegte Schulzukunft unserer Kinder und Jugendlichen‘ hat ein deutliches Zeichen für die Wertigkeit des Schulsports gesetzt. Landesweit haben fast 30.000 Menschen ihren Protest gegen die Kürzung des Sportunterrichts zum Ausdruck gebracht. Lange war die reguläre dritte Sportstunde in allen Schularten und Klassenstufen ein hart erkämpftes sächsisches Alleinstellungsmerkmal. Und eine gute Sache! Ich halte die nun geplante Reduzierung für einen großen Fehler.´“

Schon heute haben die Kinder in Sachsens Schulen viel zu wenig Bewegung. Wer da den Sport kürzt, hat sichtlich keine Ahnung, was körperliche Bewegung mit der Fähigkeit zum Denken und der Persönlichkeitsbildung zu tun hat.

„Die Erhöhung der Mittel für Ganztagsangebote (GTA) wird diese Kürzungen nicht kompensieren können. Das Ganztagsangebot Sport ist immer freiwillig und kann daher nur begrenzt den Sportunterricht ersetzen. Die Verlierer wären dann gerade die, die den Sport am nötigsten brauchen. Nur der Schulsport erreicht alle Kinder und Jugendlichen unabhängig von ihrer sportlichen Neigung oder sozialen Herkunft“, geht Zais auf einen sichtlich brisanten Punkt ein.

„Kultusminister Christian Piwarz (CDU) zäumt das Pferd von hinten auf: Erst werden die Stundentafeln gekürzt, dann – ‚begleitend‘ – die Lehrpläne überarbeitet. Das ist aus meiner Sicht die falsche Reihenfolge. Zunächst sollte es um Inhalte gehen, dann um die nötigen Stunden. Hier hätte ich mir ein anderes Vorgehen gewünscht. So bleibt der schale Nachgeschmack, dass letztlich doch der Wille zur Freisetzung von Lehrerressourcen handlungsleitend war.“

Die Verzweiflung der Staatsregierung beim Thema Lehrermangel

Und Holger Zastrow, Vorsitzender der sächsischen FDP, sieht es im Grunde genauso: „Die lange angekündigte Veränderung der Stundentafel ist der verzweifelte Versuch von Schwarz-Rot, die Forderung nach mehr politischer und informatorischer Bildung irgendwie in die Stundentafel zu bringen, ohne die Schüler noch mehr zu belasten. Was jedoch fehlt, ist eine breit geführte Diskussion, was sächsische Schulen in der heutigen Zeit überhaupt leisten müssen.

Zudem wird beim Reformkonzept des Kultusministeriums deutlich, dass mit dieser Maßnahme auch der Stundenausfall gesenkt werden soll. Das ist aber kein Argument für das Vorhaben, sondern zeigt vielmehr die Verzweiflung der Staatsregierung beim Thema Lehrermangel. Die Kürzung des Sportunterrichts hat zudem nichts mit Abbau von Stress für Schüler zu tun – vielmehr wird sich die Verringerung der Stundentafel negativ niederschlagen und schädigt den guten Ruf Sachsens als Sportland.“

Und was sagt die SPD, die ja bislang die sächsische Bildungspolitik oft zu Recht kritisiert hat?

„Die Veränderungen sind aus unserer Sicht gut überlegt und ausgewogen. Sie sind dringend notwendig. Die Schüler werden entlastet. Und genauso wichtig: Die Schulen werden entlastet. Für das Schuljahr 2019/20 kann mit mehr Lehrerstunden geplant werden, sodass sich der Unterrichtsausfall reduziert“, sagt Sabine Friedel, bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion.

„Dass die Entscheidung auch Kritik hervorruft, ist nachvollziehbar. Aber zwei Dinge gilt es zu bedenken. Einerseits: Sind Stunden, die nur auf dem Papier stehen, aber ausfallen, wirklich besser? Kaum. Ich halte es für richtig, dass das Kultusministerium angesichts des Lehrermangels inhaltlich Verantwortung übernimmt, statt Kürzungen auf die einzelnen Schulleiter abzuwälzen. Nur so ist gewährleistet, dass die Qualität der schulischen Bildung landesweit erhalten bleibt und Abschlüsse nach wie vor vergleichbar sind.

Ich werde nicht aufhören, die Krise der sächsischen Lehrerversorgung als Chance zu sehen: Wir sind mittendrin im digitalen Zeitalter. Schule muss sich dringend verändern. Wir brauchen neue Lehrpläne und ein neues Verständnis von Bildung. Die Not hat uns in den letzten Jahren Innovation ‚aufgezwungen‘ – vom jahrgangsübergreifenden Unterricht in Grundschulen über Schulassistenz und jetzt eine Reduzierung der Stundenzahl. Wie viel stärker wäre es, solche Änderungen selbst voranzutreiben, statt sie so lange abzuwehren, bis es nicht mehr anders geht?“

So kann man sich den selbst produzierten Lehrermangel auch schönreden.

Aber wer glaubt, Deutsch und Sport durch digitale Geräte ersetzen zu können, der ist auf einem ziemlich seltsamen Weg.

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Es gibt 3 Kommentare

Doch, Lehrermangel gibts schon, vor allem da, wo Keiner hin will, und das geht bei Chemnitz los!
Frau Zais hat Recht: erst muss man an die Lehrpläne ran, dann sieht man ja, wo Zeit gespart werden kann. Müssen sich Fünftklässler In Geo wirklich mit Küstenformen beschäftigen, von denen ihre Eltern nie gehört haben? Können Inhalte in Mathe und den Naturwissenschaften aus den oberen Klassen in die Uni verschoben werden? Und warum werden Ethik und Religion (!) nicht angetastet?
Denken und Kompetenzen müssen in den Unterricht, dann kommt das Spezialwissen aus Anwendungen oder Neigungen der Schüler. Und: Klassenstärke auf 20! Dazu Geld ins System – gern auch über Steuererhöhungen oder besser eine Bildungsabgabe!

Es existiert kein Lehrermangel! Die Stellen sind in Sachsen schlecht bezahlt und unbedingt aufs Dorf will keiner.

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