Es ist ja nicht nur in Leipzig so, dass stocksteife Fraktionen immer neue Anträge stellen, um noch mehr Technik-Spielzeuge in die Schulen zu drücken. Immer mit der Behauptung, die Kinder (oder die Lehrer) müssten fit gemacht werden für das digitale Zeitalter. Nur dummerweise kommen die Forderungen selten von Lehrern, von närrisch gemachten Schülern schon eher.

Der Landesschülerrat ist ja von der Idee, die Schulen mit noch mehr digitalen Endgeräten auszustatten, regelrecht bezaubert. Der Druck der Lobby-Verbände ist ja entsprechend groß. Und die arbeiten schon lange nicht mehr so plump, dass sie ihre Forderungen als Unternehmensmitteilung versenden. Sie arbeiten viel feiner. Mal über Sponsorenverträge mit Schulen, über die sie mal Geräte wie Laptops „spendieren“, mal über Kursangebote für die ach so rückständigen Lehrer, mal über „kostenlose“ Bildungspakete für die Schüler.

Und parallel beackert man seine Fahnenträger, all die lernfreudigen Politiker in Bundes-, Landes- und Kommunalparlamenten, denen man freundlich und nachdrücklich beibringt, wie rückständig doch unsere Schulen sind und wie es allerorten an Medienkompetenz mangelt.

Ein Thema, das auch Neil Postman schon beschäftigte, als es „nur“ um Fernseher und TV-Lernprogramme in amerikanischen Schulen ging, dankend angenommen von Schulleitungen, denen das simpelste Geld zum Kaufen von Lernmaterialien fehlte. Dass dahinter reine Konzerninteressen standen, spielte bald keine Rolle mehr in einem Schulsystem, das von den Regierungen immer mehr zusammengespart wurde.

So weit sind wir zwar noch nicht. Aber der Druck diverser Lobbyvertreter, immer mehr „digitale Bildung“ in die Schulen und die Lehrpläne zu pressen, hat massiv zugenommen.

Da konnte man schon mal das Gefühl bekommen, dass man augenscheinlich in einer Seifenoper gelandet war, in der alle anderen sich vereinbart haben, denselben sinnlosen Spruch immer wieder anzubringen, egal, ob er passt oder nur noch wie ein Alter-Herren-Witz klingt.

Denn das geht ja nicht erst seit heute so. Seit Jahren wird die Aufrüstung der Schulen mit Internet, WLAN, PCs, jetzt Laptops und immer mehr „Medienwissen“ vorangetrieben. Zuletzt mit der Forderung untermauert, die Schüler sollten auch gleich Programmieren lernen. Nur: Die Lernergebnisse verbessern sich nicht. Was ja zumindest der Sinn solcher Investitionen sein sollte: Dass hinterher mehr Schüler bessere Lernergebnisse und Lernerfolge haben.

Aber das ganze Zeug hilft überhaupt nicht beim Lernen.

Das stellt jetzt auch einer in einem Gastbeitrag in der „Frankfurter Rundschau“ fest, der es wissen muss: Der Gymnasiallehrer Nils B. Schulz. Für ihn ist all das, was Google & friends da betreiben, um ihren Krempel in die Schulen zu bekommen, die reine Gegenaufklärung – die Erziehung zur Unmündigkeit. Ganz im Kantschen Sinn. Eigentlich sollten unsere Schulen ja aufklärerisch wirken und ihre Schüler befähigen, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen und sich eben nicht entmündigen zu lassen – auch nicht von übermächtigen Tech-Firmen, die ihre Macht dazu missbrauchen, die Nutzer unmündig zu machen.

Man lernt mit dem ganzen Krempel nichts. Unterricht funktioniert, so Nils B. Schulz, nur von Mensch zu Mensch.

Selbst die verwendeten Worte sind Fakes und suggerieren etwas, was die ganze schnieke Technik nicht zu leisten in der Lage ist. Schulz: „Sprachkritik, auch das ein weiterer Zug aufklärerischen Denkens, demaskiert Begriffe, die IT-Enthusiasten so gerne verwenden, wie ‚personalisiertes‘ oder ‚individualisiertes Lernen‘. Hinter diesen Begriffen verbergen sich Programme, die Profile von Schülerinnen und Schülern erstellen, um diese dann zu steuern. Die so positiv konnotierten Begriffe kaschieren das, was schon Marshall McLuhan ‚Automatisierung‘ nannte.“

Dass sie mitten in die Unterrichtsgestaltung eingreifen, wenn sie Laptops und WLAN für alle Schulen fordern, ist Leipziger Kommunalpolitikern möglicherweise nicht bewusst. Was wohl auch daran liegt, dass sie nie vor Schulklassen stehen und auch nie versucht haben, jungen Menschen das Rüstzeug zum selbstständigen Denken zu geben.

Stattdessen gehorchen sie selbst den Sprechblasen der großen Konzerne und besorgen deren Geschäft mit deren Argumenten.

Schulz: „Diese haben das Bildungssystem schon längst als lukrativen Markt entdeckt. So werden Schulen zum Absatzmarkt der IT-Firmen, die im Verbund mit Stiftungen und Politik, und zwar parteiübergreifend, die Klassenräume technifizieren.“

Und den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner mit seinem nur scheinbar coolen Spruch „Digital first. Bedenken second“ hat er gefressen. Das ist ein Spruch, der den unmündig handelnden Konsumenten will, der eine Technologie nutzt, von der er nicht mal weiß, was sie anrichtet. Für einen Planeten wie unseren ist das tödlich. Und für junge Menschen, die künftig eine Menge Probleme unserer technikbesessenen Gesellschaft lösen müssen, eine Katastrophe.

Mündigkeit fängt – da hat Schulz Recht – mit bedenken an. Erst nachdenken über eine Herausforderung, alle verfügbaren Parameter nutzen und dann wissend entscheiden, nicht getrieben von Marketing-Strategen, die den lieben langen Tag lang Zeit haben, ihren Technikkram über alle möglichen Wege dorthin zu bringen, wo er die verheerendsten Wirkungen entfaltet: In die Schulen.

Denn wenn Kinder dort schon lernen, dass es ohne diese Geräte nicht geht und dass man ohne diese Geräte auch nichts lösen kann, dann verändert das eine ganze Gesellschaft. Und es schafft sehr viele unmündige Menschen.

Und das hat (Schulz deutet es nur an) auch mit dem ganzen PISA- und INSM-Wettbewerbsdenken zu tun. Es tritt ja nicht allein auf. Dahinter stecken große Lobbyverbände, die den Glauben verbreiten, eine Gesellschaft sei optimierbar und über digitale Prozesse steuerbar. „Schülerinnen und Schüler werden als Regelkreissysteme gefasst, die es zu optimieren gilt“, schreibt Schulz. In so einem Denken werden kompetente Lehrer überflüssig. Und kompetente Schüler ebenfalls. Sie stören ja die Optimierung.

Die ganze Serie „Nachdenken über …“

 

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“… die Schüler sollten auch gleich Programmieren lernen.” – Nein, nicht gleich und nicht auch noch, sondern ab dem geeigneten Alter vor allem, anstatt den Computer ‘nur’ als Anwender zu nutzen. Dieses Werkzeug in seiner Funktionsweise grundsätzlich zu verstehen, zu verstehen, wie man diese Funktionsweise selbst steuern kann macht ebenfalls mündig. Die intensive Nutzung von digitalen Medien als Unterrichtsmittel dagegen bringt m. E. (aus eigener Erfahrung sowohl als lernender als auch als lehrender Mensch) nur sehr wenig, kann sogar den für jeden Lernerfolg absolut notwendigen persönlichen Austausch zwischen Lehrenden und Lernenden bzw. von Lernenden untereinander behindern. Zudem kann zu viel und vor allem die zu frühe Nutzung von Computern & Co. (wie gesagt, als bloße Anwendung) auch schaden. Ein interessantes Buch zu diesem Thema: Manfred Spitzer – Digitale Demenz.

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