Dass Sachsen ein elitäres Bildungssystem hat, das Kinder aus sogenannten „bildungsfernen Familien“ gründlich aussiebt und demotiviert, darüber haben wir schon des Öfteren geschrieben. Was nichts daran ändert, dass sich nichts ändert. Das zeigt Jahr um Jahr die Verteilung der „Bildungsempfehlungen“ – auch in Leipzig.

Die hat normalerweise jedes Jahr die Linksfraktion im Landtag abgefragt. Aber irgendwie ist die kleiner gewordene Fraktion nicht mehr in der Lage, alle wichtigen Themen gründlich abzuarbeiten. Und das noch in einem Landtag, in dem die zweite Oppositionspartei ihr populistisches Geschäft betreibt und ganz bestimmt kein Partner für gemeinsame Oppositionsarbeit ist.

Und so gibt es für die Bildungsempfehlungen, die im letzten Schuljahr in Sachsen ausgereicht wurden, leider keine Antwort an die Linksfraktion, sondern nur eine an die AfD-Fraktion.

Aber die Zahlen ähneln natürlich denen der Vorjahre. Es hat sich ja nicht wirklich etwas geändert an einem Schulsystem, in dem Kinder mit schlechteren Startchancen auch noch dafür bestraft werden, dass sie schlechtere Chancen hatten.

Wohnort entscheidet über Bildungsempfehlung

Das wird deutlicher, wenn man die hohen Empfehlungsquoten fürs Gymnasium genau in jenen Grundschulen wiederfindet, die in den Wohnvierteln des gut verdienenden Bürgertums liegen – während dort, wo die Quote der Sozialhilfeempfänger hoch ist, auch die Empfehlungsquoten fürs Gymnasium denkbar gering sind.

Was nicht nur an den Sprachschwierigkeiten von Kindern mit Migrationshintergrund liegt, sondern auch an der Sicht der Lehrer auf die Kinder aus den nicht-betuchten Familien. Und natürlich an einem Lehrplan, der darauf, dass Kinder mit schlechteren Startbedingungen auf der Schulbank sitzen, keine Rücksicht nimmt.

Das Ergebnis: Während im sächsischen Durchschnitt Jahr für Jahr um die 55 Prozent der Viertklässler eine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen, liegen die Quoten in einigen Leipziger „Problemvierteln“ deutlich darunter. Obwohl nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Kinder dort dümmer sind als anderswo oder Intelligenz gar vererbt wird.

Im Gegenteil: Alles deutet darauf hin, dass hier Handicaps vererbt werden, ohne dass Schule viel dagegen tun kann. In der Antwort an den AfD-Abgeordneten Rolf Weigand sind die Quoten für die Schuljahre 2019 / 2020 bis 2021 / 2022 angegeben.

Und der Blick nach Leipzig zeigt im Grunde das starke soziale Gefälle zwischen den längst bürgerlichen Stadtvierteln wie der Südvorstadt, Schleußig oder dem Waldstraßenviertel, und den sozial benachteiligten Ortstteilen wie Grünau, Volkmarsdorf, Paunsdorf oder Neustadt-Neuschönefeld.

Karrierestart am Gymnasium

So bekamen an der 78. Schule in Lausen / Grünau 78 Prozent der Viertklässler nur die Empfehlung für die Oberschule, 28 fürs Gymnasium. An der Schule am Auwald in Schleußig war es genau andersherum: 78 Prozent an Gymnasialempfehlungen standen 22 Prozent Oberschulempfehlungen gegenüber.

Man merkt sehr deutlich, dass Kinder aus gutbürgerlichen Haushalten nicht nur bessere Erfolge bei der Notenvergabe erzielen, sondern dass die Eltern auch mehr Druck entfalten können, damit die Kinder den Sprung aufs Gymnasium schaffen. Der ja wiederum die Voraussetzung für Abitur und Studium und damit für eine gut bezahlte Tätigkeit im späteren Leben darstellt.

Hier ist die Schwelle, an der Richter, Manager, Professorinnen, Politikerinnen und Amtsleiter gemacht werden. Hier beginnt der Lift nach oben. Die Kinder merken davon in der Regel nichts, weil sie das Auseinanderdividieren nach der vierten Klasse auch nicht verstehen. Und ab der fünften Klasse sind sie sowieso fast nur unter Kindern aus gutverdienenden Haushalten.

Während die anderen sich dann an der Oberschule sammeln, einige wenige noch mit der Chance, nach der sechsten Klasse aufs Gymnasium zu wechseln. Aber die meisten bleiben da und gewöhnen sich schnell daran, dass sie im Leben immer als die zweite Wahl betrachtet werden.

Hohe Quoten in den bürgerlichen Wohnquartieren

Die Schulen, an denen überdurchschnittlich viele Empfehlungen fürs Gymnasium ausgeteilt wurden, liegen allesamt in den längst gutbürgerlichen Ortsteilen der Innenstadt. So die Lessingschule im Waldstraßenviertel mit 76 Prozent Empfehlungen fürs Gymnasium, die Schule 5 (die Containerschule am Waldstraßenviertel) sogar mit 90 Prozent, die Heinrich-Mann-Schule in Probstheida mit 77 Prozent oder die Schule am Floßplatz in der Südvorstadt mit 84 Prozent.

Während man die Schulen mit besonders geringen Quoten an Gymnasialempfehlungen eher in den Ortsteilen findet, die die Stadt als soziale Brennpunkte betrachtet. Angefangen mit der 85. Schule in Grünau, wo es nur 28 Prozent Empfehlungen fürs Gymnasium gab, bis zur Wilhelm-Hauff-Schule in Möckern mit 33 Prozent.

Wobei es im Vergleich zum Schuljahr 2019 / 2020 sogar einige Veränderungen gab. So hatte die Wilhelm-Hauff-Schule damals nur eine Quote an Gymnasialempfehlungen von 21 Prozent. Die Brüder-Grimm-Schule in Paunsdorf kam damals auch nur auf 23 Prozent, 2021 / 2022 dann aber auf 35 Prozent.

Und die Schule am Rabet in Neustadt-Neuschönefeld steigerte die Quote von 19 Prozent auf 38 Prozent.

Ob das ein Effekt der Corona-Jahre und einer dadurch bedingten besseren Benotung ist, verrät die Tabelle natürlich nicht. Auch nicht, ob hier das Engagement der Stadt Leipzig und die Arbeit der eingesetzten Sozialbetreuer/-innen Früchte trägt. Denn gerade die Kinder aus finanziell schlechter aufgestellten Familien bringen ja oft auch noch einen Ballast an sozialen und psychischen Problemen mit und brauchen eben eher soziale Unterstützung, um den Kopf zum Lernen freizubekommen.

Aber unübersehbar wird Leipzig noch lange brauchen, bis es für alle seine Kinder einmal ausgeglichene Chancen beim Bildungserfolg geben wird. Die Schaffung neuer Gemeinschaftsschulen, die längeres gemeinsames Lernen möglich machen, ist erst der Anfang. Denn die gehören eigentlich in genau jene Ortsteile, die auf der Karte, die den Titel des „Sozialreports 2020“ ziert, ganz dunkel eingezeichnet sind.

Es sind die Quoten der Sozialgeldempfänger, die natürlich korrespondieren mit den Haushalten, die finanziell knapp aufgestellt sind und ihren Kindern oft nicht den Rückenwind mitgeben können, den besser ausgestattete Haushalte ganz selbstverständlich mitgeben.

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