Robert Hausotte ist nicht zu beneiden. Eigentlich sollte seine Schule ein kurzes Interim in einer ausgemergelten Plattenbau-Schule sein. Aus den zwei Jahren sind nun fast vier geworden und außerdem ist der Schulhof seit fast anderthalb Jahren eine Baustelle – für eine andere Schule.

Der Englischlehrer vermisst die Würdigung der Arbeit an seiner Oberschule und an Oberschulen allgemein und hofft auf einen Neustart in der Quartiersschule Ihmelsstraße. Ein Interview über den schaurigen, aber auch schönen Alltag an der Oberschule und die Hoffnung auf eine befruchtende Zukunft auf einem neuen Campus.

Herr Hausotte, die Oberschule der Quartiersschule Ihmelsstraße führt noch ein Dasein zwischen Baulärm, Baugerüsten, blinden Fenstern und aufgerissene Schulhof. Was ist denn eigentlich hier los?

Ich muss dazu etwas weiter ausholen. Hier auf dem derzeitigen Campus begannen wir im Jahr 2019, nachdem die Schule vorher 2 Jahre als Außenstelle der 20 dgedient hatte. Uns wurde stets der Ausblick gegeben, dass wir 2021 an die Ihmelsstraße umziehen werden und das war ein Zeithorizont, der überschaubar war. Zwei Schuljahre wollten wir hier in dieser unsanierten Neubauschule aus der DDR-Zeit noch aushalten. 2019 sind ja die Bauarbeiten an der Quartiersschule auch losgegangen.

Doch dann gab es zwei Entwicklungen, die unsere Perspektiven verändert haben. Zum einen hat uns die Pandemie als Schule ausgebremst. Wir waren gerade im zweiten Halbjahr als neue Schule angekommen, als der erste Lockdown kam. Das hat die Entwicklung der Routinen in der Schule und der Schule als Ganzes erschwert, obgleich die Kollegen ganz tolle und ganz viele Ideen entwickelt und mitgetragen haben.

Die mehrmalige Verzögerung des Umzugs führte des Weiteren dazu, dass einige Schritte der Schulentwicklung immer in der Schwebe geblieben sind, sei es die Gründung eines Schulfördervereins, sei es die Schulnamensgebung. Weil der neue Campus und die Zusammenarbeit mit dem Gymnasium uns ganz andere Perspektiven eröffnen werden, schwang somit auch die Überlegung mit, nun nicht Entscheidungen zu treffen, die dann geändert werden, wenn wir erstmal eine Quartiersschule sind.

Was war das andere Problem?

Die Baustelle, die Sie nun vor unseren Türen sehen. Diese hatten wir so nicht mehr auf unserem jetzigen Gelände erwartet. Angedeutet wurde die aktuelle Baustelle im Sommer 2021, dann wurden wir offiziell informiert und dann gab es eine Verzögerung auf ein nicht genau genanntes Startdatum. Doch dann ging es plötzlich sehr schnell los. Da fühlten sich Lehrer und Schüler vor den Kopf gestoßen. Es gab nur eine Videokonferenz, dass es noch am selben Tag losgehen würde, ohne eine Chance zur Information an die Eltern und Lehrer.

Einen Schulhof sehe ich hier gerade nicht, Richtung Löbauer Straße Baustelle, im Innenhof wird ein Mehrzweckgebäude gebaut, Richtung Gorkistraße stehen Bauzäune. Welche Belastungen haben Sie als Schule erfahren?

Da waren kuriose und kritische Situationen dabei. Beispielsweise wurden Bäume gefällt, während der Unterricht lief, der Schulhof wurde gesperrt, während die Schule im Betrieb war, ohne dass wir es vorher wussten. Wir haben hier zudem Südseite, wo wir im Hochsommer die Fenster auf gar keinen Fall geschlossen halten können, ohne zu ersticken, aber Unterricht durch den Baulärm extrem erschwert wird.

Im Herbst 2022 kam eine weitere Baustelle dazu: Die Wasserwerke müssen auf unserem Gelände Wasserrohre erneuern, die allerdings nur am Rande etwas mit der Schule zu tun haben.

Gab es keine Möglichkeit, die Situation für alle Seiten erträglicher und vor allem sicherer zu gestalten?

Unsere engagierte Elternschaft hatte sich bei der Stadt Leipzig beschwert, nachdem wir ein halbes Jahr auf einer hässlichen Baustelle lernten und immer noch nicht wussten, ob die Baustelle zuerst abgeschlossen ist oder wir zuerst umziehen werden. Die Beschwerde im Herbst 2022 hat dazu geführt, dass wir mit dem Schulträger übereingekommen sind, dass der Arbeitsbeginn später am Tag erfolgt. Darüber war ich sehr froh. Doch dass diese Baustellen Probleme hervorrufen, hätte man auch vorher wissen können.

Gleichzeitig haben sich die Baumaßnahmen an der Quartiersschule verzögert, was für uns an dem aktuellen Standort ein Problem ist, weil hier seitens des Schulträgers in sehr geringem Maße investiert wurde. Uns wurde lange gesagt: Hier kriegt ihr nichts, dort, also an der Ihmelsstraße, dann alles.

Wir durften keine eigenen Beamer beschaffen und waren dem MPZ dankbar, wenigstens vier an anderen Schule ausgemusterte Geräte als Leihe zu bekommen. Das WLAN ist sehr schwach und in mehreren Zimmern nicht nutzbar. Nähmaschinen für das Fach WTH (Wirtschaft, Technik, Haushalt) konnten erst mit Nachdruck besorgt werden.

Mich ärgert, dass wir hier vier Jahre guten Gewissens in diesem, ich muss es leider so sagen, Loch gelassen wurden, ohne die Möglichkeit einer Bauverzögerung mitzudenken. Letztes Jahr haben uns Oberschüler mit dem Hauptschulabschluss verlassen, auf deren Zeugnis „Oberschule Ihmelsstraße“ steht, obwohl sie nie da waren. Diese Schüler haben es gesellschaftlich nicht immer leicht und werden von der Stadt mit so einer Schule „belohnt“.

Was geschieht mit dieser Schule, wenn sie ausziehen werden?

Die gegenüberliegende Astrid-Lindgren-Grundschule wird noch eine weitere Grundschule an ihre Seite bekommen. Dafür wird unser Gebäude kernsaniert, was dringend notwendig ist. Vor uns waren hier verschiedene Schulen als Interim untergebracht, unter anderem das Goethe-Gymnasium, zuvor wurde es als Asylbewerberheim genutzt. Der Industriegeschirrspüler steht noch unten im Keller.

Die Stadt Leipzig musste natürlich einen gewissen Bauplan einhalten und hat sich mehrmals dafür bei uns entschuldigt. Die Bauarbeiten konnte man nicht einfach einstellen.

Nun steht der Umzug unmittelbar bevor. Können Sie es überhaupt schon glauben?

Ja! Wir freuen uns auf den Umzug und das Gefühl des Neuanfangs. Ich habe Schüler, die seit vier Jahren fragen, wann endlich der Umzug kommt. Sie wollen endlich ankommen. Dass dann eben dort mit dem Gefühl des Neubeginns sehr viele neue Dinge entstehen, die möglich sind, erfüllt uns mit Hoffnung.

Die Schüler werden dann gut gefördert, werden viel lernen über sich und ihre Fähigkeiten und sich selbst weiterentwickeln durch positive Erlebnisse. Wobei ich sagen muss, dass ich mir seitens der Stadt Leipzig und des Landesamtes für Schule und Bildung mehr Werbung auch gegenüber meinen Kollegen sowie Eltern und außerschulischen Partnern wünsche.

Außerdem müssen die notwendigen Schritte hinsichtlich einer materiellen (es seien mehr Schulsozialarbeit sowie ein notwendiges Campusmanagement angedacht) und strukturellen Unterstützung (gleiche Verteilung der Ressourcen von Gymnasium und Oberschule) angegangen werden. Dreimal 15 Schüler starten am Gymnasium. Uns wurden die Klassen vollgemacht, weil Oberschulplätze knapp sind.

Die Quartiersschule hätte doch auch eine Gemeinschaftsschule werden können. Wieso ist das nicht passiert?

Die Idee einer Gemeinschaftsschule wurde 2020 tatsächlich diskutiert. De facto hat man sich dagegen entschieden, weil die Baupläne schon zu weit gediehen sind, eine Gemeinschaftsschule hätte mehr Horträume gebraucht, kleinere Gelände, kleinere Toiletten. Da war der Dampfer schon zu sehr ins Fahren gekommen. Und die Räume wären wahrscheinlich auch zu wenig geworden. Es waren damals sehr schöne Gespräche mit der Stadt, mit vielen kreativen Ideen.

Was reizt Sie an der Leitung einer Quartiersschule?

Dass eine Schule mit Konzept gegründet wurde, dass sich im Leipziger Osten die Bürgervereine hingesetzt haben und gesagt haben: Wir wollen eine Schule, bei der unser Viertel im Mittelpunkt steht. Das finde ich sehr reizvoll. Die amerikanisch-kanadische Idee der Einbindung einer Schule in die Gesellschaft schwebt mir vor.

Für mich ist es wichtig, dass eine Schule nach außen ausstrahlt, die Kinder gern ihr Schulleben an diesem Ort verbringen und Eltern gern vorbeikommen und mitwirken an dem, was dort wächst. Ich habe auf jeden Fall den Eindruck, dass immer mehr Eltern, deren Schüler an unsere Schule kommen, sich bewusst für diesen Gedanken entschieden haben und gute Ideen und eigene Ansätze haben, wie sie eine Quartiersschule voranbringen wollen.

Welche Potenziale sehen Sie als Schulleiter einer Oberschule in der Idee einer Quartiersschule?

Mit Herrn Bußmann, dem Außenstellenleiter des Gymnasiums, sind meine Stellvertreterin und ich dahingehend auf einer Wellenlänge. Der Abbau von Vorurteilen, längeres gemeinsames Lernen oder die Zusammenarbeit mit der Nachbarschaft sind Themen, die wir anpacken wollen.

Es wäre beispielsweise traumhaft, wenn der Bäcker von nebenan die Brötchen liefert, die meine Schüler sich dann schmieren oder wenn sie nebenan im Kleingartenverein die Himbeeren anpflanzen und die Bäume verschneiden können, damit sie sehen, dass sie vor Ort etwas bewirken können.

Die Inhalte und Ziele des „Lernen durch Engagement“ sind uns wichtig. Das heißt, dass alles, was in der Schule stattfindet, eine positive Konsequenz für die Gesellschaft haben soll. Konkret bedeutet das: Im Fach Deutsch bereite ich eine Lektüre vor, die ich im Altenheim vorlese, in WTH baue ich einen Nistkasten für den Park.

Wir glauben, in Zeiten von Fachkräftemangel den Schülern zielgenau zeigen zu können, wo ein gesellschaftlicher Bedarf für ihre Mithilfe ist. Wir wollen ihnen zeigen: Du kannst was schaffen, was relevant ist. Damit wollen wir nächstes Schuljahr beginnen, um den Begriff Quartiersschule mit Leben zu füllen. Aber klar ist: Wir brauchen tatkräftige Unterstützung von den Vereinen im Leipziger Osten. Wir allein können die Zusammenarbeit nicht gestalten.

Bei allem Potenzial birgt die Idee auch Risiken. Die Bildungschancen an beiden Schulformen sind, global gesehen, klar besser für die Gymnasialschüler. Wie wollen Sie dies angehen?

Zuallererst ist es mir eine Herzensangelegenheit zu betonen, wie sehr ich meine Schüler mag. Ich stehe zu der Schülerschaft, die ich hier unterrichte. Das sind ganz viele, ganz tolle kreative, junge Leute, die aus teilweise schwierigsten Verhältnissen kommen, von denen man zwischen Tür und Angel die schlimmsten Familienschicksale mit einem Schulterzucken mitgeteilt bekommt.

Sie lächeln trotzdem, sie machen trotzdem mit und es ist immer so bemerkenswert, wenn man sich überlegt, dass viele von ihnen aus zerbombten syrischen Städten hergekommen sind und neben ihnen auf dem Mittelmeer Menschen ertrunken sind, wir von ihnen verlangen, dass sie Vokabeln für eine Englischarbeit lernen und sie das trotz des Erlebten tun. Mir ist es wichtig, dass die Schüler hier Lob erfahren.

Das Titelblatt der LEIPZIGER ZEITUNG, Ausgabe 110. Foto: LZ
Das Titelblatt der LEIPZIGER ZEITUNG, Ausgabe 110. Foto: LZ

Natürlich haben wir auch den einen oder anderen Fall von Mobbing. Aber die Schüler kommen dennoch mit Kindern, die anders oder für sie eigenartig sind, gut klar. Sie sind sehr sozial miteinander, weil sie selbst aus Kontexten kommen, in denen es ihnen noch nicht gut genug gegangen ist.

Und eine weitere Sache möchte ich anführen: Wir haben bei uns keine Alkoholprobleme, ganz wenig Drogenprobleme, kaum Raucher. Unsere Schüler haben Probleme, ihren Frust zu kanalisieren, wir haben raue Umgangsformen und einen rauen Ton.

Für die Schüler ist es gar nicht klar, dass es grenzüberschreitend ist, was sie tun und sagen. Da sehen wir als Einrichtung natürlich Änderungsbedarf. Wir haben Schüler, die, wenn wir sie fragen, viele Ideen haben, was sie verändern können. Sie sind dankbar für unsere Unterstützung, sie sind gern hier und suchen bei uns Hilfe.

Dennoch werden sich Unterschiede aufgrund der Personalsituation und der Materialausstattung nur schwer vermeiden lassen …

Aufgrund des zahlreichen Unterrichtsausfalls konnten wir den Schülern bisher gar nicht die Strukturen bieten, die für eine Identifikation mit der eigenen Schule nötig sind. Wer nur 15 Stunden in der Woche an der Schule Unterricht hat, hat kaum Bezug zum Schulleben. Wir wünschen uns an dem neuen Standort, dass die Schüler täglich gern im Rahmen einer GTA-Schule herkommen, sie ein Gerüst haben und ihren Alltag dort schaffen.

Wir sorgen uns natürlich aber auch darum, das weiß die Stadt auch, dass eine Zwei-Klassen-Gesellschaft entstehen könnte. Dort gehen die potenziellen Bildungsverlierer durch die Schuleingangstür, dort die potenziellen Gewinner. Wir haben Angst, dass sich dies an der Quartiersschule kristallisiert. Gerade wenn man es nicht hinbekommt, die soziokulturelle Herkunft der Schüler zu egalisieren, sondern sie sich dort abbildet. Deswegen wollen wir dort aktiv rangehen, um das zu verhindern.

Ein weiterer Punkt ist natürlich die Materialausstattung. Wir möchten gemeinsam darauf achten, dass Oberschule und Gymnasium das gleiche Level an Ausstattung haben. Ich würde mich freuen, wenn die Eltern des Gymnasiums genauso für die Idee der gemeinsamen Schule, der Quartiersschule brennen wie wir in der Leitung. Schön ist für uns, dass wir einen gemeinsamen Lehrkräfteeinsatz haben, Lehrer also in beiden Schulformen arbeiten.

Welche Vorstellung von einer Gemeinschaft der Schüler haben Sie?

Derzeit gehen wir in die Grundschulen und stellen uns vor, sprechen mit den Schülern. Wir sprechen immer wieder über den Punkt Durchlässigkeit und das kommt an. Kinder wissen: Ich kann dann meine Freunde an der Schule behalten, auch wenn ich einen anderen Eingang reingehen werde, wenn ich mich verbessere oder verschlechtere. Wir haben eine ganz tolle Berufsorientierung und Praxisberater an unserer Schule, die die Schüler, die enttäuscht sind, auffangen können.

Herr Bußmann und ich wollen ganz viele Möglichkeiten der alltäglichen Begegnung schaffen: gemeinsame GTA und gemeinsame Klassenfahrt von Oberschule und Gymnasium, gemeinsame Exkursionen und Projekttage. Aktionen, in denen die Wissensvermittlung außen vor ist. Er und ich haben beide im Wochenplan Zeiten selbständigen Lernens eingeplant, warum sollen die Schüler beider Schulformen diese Zeit nicht gemeinsam verbringen und sich gemeinsam unterstützen?

Auch der Quartiersgedanke kann unabhängig von der Schulform gelebt werden. Spielzeit oder Lesezeit mit Senioren: Da ist es egal, ob ich Oberschule oder Gymnasium bin. „Mensch ärgere dich nicht“ kriege ich immer hin. Außerdem werden beide Schulformen feste GTA-Bänder mit einem Block pro Woche in der Unterrichtszeit haben und wir werden am neuen Standort an Schüler Aufgaben verteilen. Nur über Wirksamkeit entsteht Identifikation.

Und wir werden dort auch mit der Käthe-Kollwitz-Schule, einer Förderschule für Sprachentwicklung, kooperieren, die sich in Anger-Crottendorf befindet. Ab Klasse 7 wird eine zweistellige Schülerzahl zu uns an die Oberschule kommen. Den Inklusionsgedanken vor Ort auszugestalten, wird uns Freude bereiten.

Hinweis: Am kommenden Donnerstag, dem 2. März, findet von 16–19 Uhr ein Tag der offenen Tür in der Krönerstraße 3 statt. Interessierte sind herzlich eingeladen.

„Alle unter einem Dach – Eine Quartiersschule entsteht: Uns gibt es auch noch – Oberschule mit Potenzial sucht faire Chance im zweiten Anlauf (Teil 3)“ erschien erstmals am 24. Februar 2023 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 110 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops sowie bei diesen Szenehändlern.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar