KommentarAls die jüngste „Maischberger“-Talkshow am 30. November über die Bildschirme flimmerte, wurde auch wieder eine Studie zitiert, die noch gar nicht in der Welt ist: eine von der Hamburg Media School für die Otto-Brenner-Stiftung erstellte Studie zur Medienberichterstattung über die „Flüchtlingswelle im Sommer 2015“. Hoppla. Autsch. Ja, das war jetzt ein direktes Zitat vom NDR. Hoch lebe das deutsche Fernsehen.
Das Zitat habe ich hier nicht ohne Grund hingesetzt, weil es eine Menge sagt über das, was da im August, September, Oktober 2015 in der deutschen Medienberichterstattung passiert ist. Und das deutsche Fernsehen hat einen gewaltigen Anteil daran. Was schon Problem Nr. 1 der von Michael Haller geleiteten Erhebung benennt. Immerhin suggeriert Michael Haller auch im Kurzinterview für das NDR-Magazin „Zapp“, dass die euphorische Berichterstattung „der Medien“ für einen Glaubwürdigkeitsverlust eben dieser deutschen Medien sorgte. „Zapp“: „Viele Medien verloren in dieser Zeit an Glaubwürdigkeit, fasst Haller in einer ersten Deutung seine Ergebnisse zusammen.“
Was schon mal eine sehr steile These ist und durch nichts belegt.
Es ist schon erstaunlich, dass das bei „Zapp“ einfach nachgeplappert wird. Und bei „Maischberger“ gar wieder in eine „Lügenpresse“-Diskussion ausartete, über die sich Christian Wolff in seiner Kritik zu Recht erbost. Arbeiten bei den öffentlich-rechtlichen Sendern eigentlich keine Journalisten mehr, die so etwas prüfen? Die nicht mal munter werden, wenn jemand frank und frei behauptet, Medien in Deutschland hätten an Glaubwürdigkeit verloren?
Wer belegt das?
Die eingängigen Erhebungen jedenfalls nicht.
Etwa die des „Bayerischen Rundfunk“, die dieser am 2. Mai 2016 veröffentlicht hat.
Danach genießen „die Medien“ in Deutschland sehr hohe Glaubwürdigkeit.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk zum Beispiel kommt auf einen Wert von 75 Prozent, knapp vor den Tageszeitungen mit 73 Prozent.
Das Privatfernsehen schmiert mit 51 Prozent schon deutlich ab.
Alles Zahlen, die darauf hindeuten, dass die These der Studie falsch ist.
Übrigens auch im finsteren Sachsen. Die Zahlen zur Glaubwürdigkeit der Medien hat die sächsische Staatsregierung gerade erst im „Sachsen-Monitor“ abgefragt.
Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk halten 75 Prozent der Befragten für sehr bis eher glaubwürdig. (Über das „eher glaubwürdig“ darf man sich Gedanken machen – aber auf einer völlig anderen Ebene.) Regionale Tageszeitungen kommen ebenfalls auf 75 Prozent, überregionale auf 59 Prozent. Letzteres müsste erklärt werden und man käme der Sache ganz bestimmt auf die Spur, wenn man einmal die gesamte Berichterstattung der großen deutschen Zeitungen über den Osten seit 1990 unter die Lupe nimmt. Vertrauen haben sie sich mit dieser sehr löchrigen Berichterstattung wirklich nicht erarbeitet.
Was aber nichts am Befund ändert: An der Glaubwürdigkeit der Medien hat der Sommer 2015 gar nichts geändert.
Für ein Kippen der Stimmung (wenn es ein solches überhaupt gab), haben andere gesorgt.
Was übrigens die zweite fragwürdige These anspricht: Ist die Stimmung überhaupt gekippt? Oder ist etwas ganz anderes passiert? Haben nicht die Medien selbst den Schwerpunkt ihrer Berichterstattung deutlich geändert?
Auch die FAZ schreibt in Bezug auf die noch nicht veröffentlichte Studie: „Parallel dazu habe sich die Einstellung der Bevölkerung gewandelt.“
Was statistisch schlicht fragwürdig ist. Denn im August feierte das Wort „Willkommenskultur“ zwar eine Art mediales Feuerwerk. Aber es kam mit Angela Merkels „Wir schaffen das“ überhaupt nicht neu in die Welt. Im Gegenteil. Die Bertelsmann Stiftung hat das Thema schon seit Jahren auf der Agenda und befragt die Deutschen regelmäßig zu ihrer Einstellung zur Willkommenskultur. Mit seit 2012 steigenden Werten. Und gleichzeitig ebenso steigender Problemsicht. Denn dass die Bundesrepublik gern ein Einwanderungsland sein möchte, das sehen die Meisten – dass die Ämter und Behörden darauf aber gar nicht richtig vorbereitet sind, hat sich auch schon vor der Verwaltungsmisere des Herbstes 2015 abgezeichnet.
Es war keine Flüchtlingskrise, sondern eine hausgemachte Verwaltungskrise.
Zitat Bertelsmann Stiftung: „Andererseits sieht die Bevölkerung Handlungsbedarf, die Willkommenskultur auszubauen. Damit Deutschland für Einwanderer attraktiv ist, sprechen sich 82 Prozent für spezielle Hilfen beim Arbeitsamt aus (2012: 68 Prozent). 76 Prozent sind für leichtere Anerkennung der im Ausland erworbenen Schul- und Berufsabschlüsse (2012: 69). 62 Prozent befürworten, dass dauerhafter Aufenthalt ermöglicht werden sollte (2012: 55). 56 Prozent meinen, Deutschland sollte die Einbürgerung erleichtern (2012: 44), und 54 Prozent meinen, die Benachteiligung von Einwanderern solle durch Gesetze bekämpft werden (2012: 47).“
Das stammt weder aus dem Herbst 2015 noch aus dem Herbst 2016, sondern aus dem Frühjahr 2015.
Was auch diese ganze Ernüchterungsdiskussion in Zweifel zieht. Denn genau über diese Probleme berichten Medien nun seit Herbst 2015 intensiv. Bis heute. Sie haben also ziemlich folgerichtig das Thema gewechselt. Nicht wegen einer von außen angemahnten „Glaubwürdigkeit“, sondern weil nach Ankunft der ersten großen Flüchtlingsgruppen genau diese Probleme auftauchten: Es fehlte an Erstaufnahmeeinrichtungen, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge versank im Desaster, weil man in den Vorjahren das Personal radikal heruntergespart hatte, Landesregierungen agierten hektisch und intransparent, die Kommunikation mit den Bürgern vor Ort setzte viel zu spät ein. Oft galt die ziemlich dumme Haltung: Augen zu und durch.
Und das, was die Stimmung tatsächlich zum Kippen brachte, das waren die zunehmenden Wortmeldungen von Politikern, die den Bürgern dann auch noch regierende Ratlosigkeit suggerierten – das Gegenteil von „Wir schaffen das.“
Mal aus der geradezu symptomatischen Wortmeldung von Stanislaw Tillich vom 19. Oktober 2015 zitiert, Ministerpräsident von Sachsen und augenscheinlich völlig überfordert in seinem Amt: „Die Aufnahmefähigkeit der Gesellschaft ist begrenzt und damit auch eine für beide Seiten gewinnbringende Integration. Die heutigen Beschlüsse sollen helfen, das Asylrecht so zu gestalten, dass es denen, die Schutz und Hilfe brauchen, besser gerecht wird. (…) Wir müssen es schaffen, dass weniger Menschen über Deutschlands Grenzen zu uns kommen. (…) Wir dürfen gegenüber denen, die zu uns kommen, nicht sprachlos bleiben. Wir müssen ihnen vom ersten Tag an sagen, was bei uns gilt, was uns wichtig ist und was uns ausmacht.“
Damit war er nicht allein. Eine ganze Reihe namhafter deutscher Politiker nutzten im Herbst 2015 die Gelegenheit, sich so zu Wort zu melden und damit die Schwerpunktsetzung der Berichterstattung über die Flüchtlingspolitik noch weiter zu verschieben – weiter hin ins Problematische. Jede dieser kraftmeiernden Wortmeldungen war natürlich eine Meldung wert, die sich sofort wieder fortpflanzte durch all die hochnervösen Medien, die auch noch den letzten Unfug übernehmen, um Aufmerksamkeit und Reichweite zu erzielen.
Teil 2 der notwendigen Kritik folgt gleich an dieser Stelle.
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