„Mach mal, Leo, guck mal, was unser Chatbot macht!“ – „Unser Chatbot? Wir haben doch gar keinen!“ –„Wir müssen einen haben. Die Leute aus Mittweida wollen mit ihm sprechen.“ – „Welche Leute aus Mittweida?“ – „Die von der Fakultät Medien, Fachgruppe Content und Publikation. Leo? Wo ist der Bursche wieder!? Immer, wenn man ihn braucht …“ – So fing das an. Sie haben mich in der Kaffeeküche aufgestöbert. Und breitgeschlagen.

Das war am 10. August. Da hatte uns eine Frau G. eine Anfrage geschickt, ob einer von uns für ein Gespräch bereitstünde. Sollte irgendwie um Medien gehen. „Geht gar nicht um Medien“, sagten die Kollegen.

„Sondern?“, fragte ich.

Da war ich zu neugierig. Die anderen hatten längst beschlossen: „Das geht uns nichts an.“ Nur ich hatte nachgefragt.

Und bekam folgenden Text: „Wir möchten mit erfahrenen Medienschaffenden aus sächsischen Medienunternehmen wie Ihnen zu redaktionellen Einsatzmöglichkeiten von digitalen Assistenten bzw. Chatbots ins Gespräch kommen.

Insbesondere werden dabei ökonomische, technische und soziale Anforderungen an Assistenzsysteme sowie deren Chancen und Risiken für die Redaktionsarbeit Inhalt des Interviews sein.

Die Ergebnisse der Untersuchung sollen aufgrund ihres praktischen Verwertungspotenzials bezüglich der digitalen Transformation in Form von Handlungsempfehlungen in die Medienwirtschaft zurückgespielt werden. Darüber hinaus sollen die Daten basal zur Entwicklung einer redaktionellen Assistenzlösung dienen, die in einem Anschlussprojekt im praktischen Einsatz getestet werden soll.“

Kommt das von Zuckerberg?

„Kommt das von Zuckerberg?“

„Nein, das kommt aus Mittweida.“

„Aber die wollen uns einen Redaktions-Robot andrehen, hab ich das richtig verstanden?“

„Sieht so aus.“

„Die gehen davon aus, dass ihr Computer-Assi dasselbe kann, was unsre Leute mit ihrem Kopf machen?“

„Wieso haben wir eigentlich keinen Computer-Assi, der die Texte schreibt?“

Da haben sie mich vielleicht angeschaut. Aber alle miteinander.

Können Sie sich für KI erwärmen?

An der Mail hing dann auch noch ein ganz offizielles Schreiben von Prof. B., der uns auf die nonchalante Mittweidaer Art erklärte, worum es technisch gehen soll: „Zusätzlich wurde im Rahmen der Künstlichen-Intelligenz-Strategie (KI) verabschiedet, die Hochschule Mittweida als KI-Partner für regionale und überregionale Unternehmen der Wirtschaft sowie für öffentliche Einrichtungen und Behörden zu etablieren.

In diesem Zusammenhang wird die Fakultät Medien in der Fachgruppe Content und Publikation vom sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus (SMWK) zur Durchführung von schwerpunktübergreifenden Landesforschungsprojekten gefördert. Dieses Jahr wird das Projekt ‚Innovative prospects of utilizing self-service-systems for process automation of small and medium-sized enterprises in Saxony‘ zur explorativen Erhebung redaktioneller Einsatzfelder von digitalen Assistenzsystemen (bzw. Chatbots) von mir betreut.“

Da haben wir die Chatbots. Und die Künstliche Intelligenz (KI), von der zumindest die Leute in Mittweida glauben, dass die irgendetwas in „sächsischen Medienunternehmen“ zu suchen hat, wie sich Frau G. ausdrückte. Wie das in den anderen „sächsischen Medienunternehmen“ ist, weiß ich nicht. Da gibt des natürlich einige Verdachtsfälle, bei denen man vermuten könnte, dass sie dort auch noch den letzten bezahlten Journalisten eingespart haben und den „Content“ von Chatbots produzieren lassen.

Betrieben von Leuten, die vom Journalismus selbst nicht mehr viel wissen, weil sie ihn schon lange nicht mehr betrieben haben – so mit echten Menschen reden, Tatorte tatsächlich besuchen, Fragen stellen, nichts glauben, alles infrage stellen und dann auch noch eine eigene Perspektive reinbringen, wenn sie die Geschichte dann richtig erzählen. Mit allem drum und dran.

Innovation ohne Menschen? Immer her damit!

Einen Link haben sie uns auch mitgeschickt zum geförderten Forschungsprogramm des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Kultur und Tourismus (SMWK). Aber da ging es so überhaupt nicht darum, noch mehr Arbeitsplätze für Journalisten in Sachsen wegzurationalisieren.

Denn darum geht es ja überall, wo derzeit die fetten Konzerne aus Amerika versuchen, den Leuten einzureden, KI könne das alles besser. Irgendwie glauben die das da in Mittweida. Scheint da keine Zeitung mehr zu geben.

Aber in der Förderabsicht stand nichts davon, dass das SMWK in Sachsen die quengeligen und unberechenbaren Journalisten alle abschaffen will, weil ihr KI lieber ist. Die stellt nicht so nervige Fragen.

Da stand nur: „Grundsätzliches Ziel dieses Programms sind Erhalt und Stärkung des Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsstandortes Sachsen im nationalen und globalen Wettbewerb – insbesondere durch den Ausbau vorhandener Expertise sowie die Anregung der Entwicklung innovativer, zukunftsweisender Kompetenzen. Ebenso gefördert werden Projekte, welche die Initiierung und den Ausbau von Vernetzungsaktivitäten sächsischer Wissenschaftseinrichtungen untereinander vorantreiben sowie die Anbahnung und Etablierung von Kooperationen mit Wirtschaft und Gesellschaft unterstützen.“

Freilich kann ich mir gut vorstellen, dass die Leute da an der Fakultät Medien der Hochschule Mittweida meinten, jetzt könne man ja den verzweifelten Redaktionen in Sachsen, die ja meist schon wegen lauter Geldmangel ausgedünnt sind, die segensreiche Technik aus dem Silicon Valley andrehen. Wenn schon kein Schwein mehr Zeitungen liest, können die ja auch von Bots gefüllt werden.

Eine weltberühmte Journalistenschule

Natürlich hab ich nachgeschaut, ob die da überhaupt was wissen von Journalismus. Aber das wird dort gar nicht ausgebildet. Die einzige Journalistenausbildung in Sachsen gab es mal in Leipzig, aber Mittweida?

Da war ich zumindest ein klein bisschen überrascht, denn ihren Studis, die da so Dinge wie Medienmanagement (Bachelor), Medientechnik (Bachelor) oder Media Management and Technology (Master) lernen, bieten die tatsächlich ein richtiges Volontariat an der Mitteldeutschen Journalistenschule an.

Nie gehört. Ist das so was wie die Henri-Nannen-Schule? Tatsächlich nicht.

„Die Mitteldeutsche Journalistenschule in Mittweida ist eine Einrichtung der Akademie für multimediale Ausbildung und Kommunikation (AMAK AG) an der Hochschule Mittweida. Die Ausbildung richtet sich in erster Linie nach den Anforderungen, die an den Journalisten als Freelancer gestellt werden“, liest man da.

„Das Bildungsangebot der Mitteldeutschen Journalistenschule ist demnach ein studienbegleitendes Zusatzangebot.“

Es werden also gar keine Journalisten ausgebildet.

Aber die Berufsbezeichnung ist ja eh nicht geschützt. Was dazu führt, dass sich ein Haufen Leute, die gar nicht als Journalist arbeiten, doch so nennen. Und was das eigentlich bedeutet, wissen sie dann auch nicht. Weshalb sie wohl tatsächlich glauben, dass Chatbots das auch können, sich also einfach ans Redaktionssystem anschließen, sich mit „Ich bin der Assi!“ anmelden und dann lauter Geschichten schreiben, die die Menschen bewegen. Aufregen. Oder auch klüger machen, zuversichtlicher, neugieriger.

Ist die Espresso-Maschine unser Red-Assi?

Umso seltsamer, dass Prof. B. ausgerechnet bei uns meinte, fröhliche Erwartungshaltungen vorfinden zu können für einen Blechkopp mit „Künstlicher Intelligenz“.

„Dabei wird untersucht, welche Anwendungsmöglichkeiten der Technologie für Medienschaffende anschlussfähig sind und welche Anforderungen an die Assistenzsysteme in der Redaktionsarbeit gestellt werden“, erklärte es uns Frau G.

Da fällt mir nur eine Espresso-Maschine ein, die am Fließband lauter Tässchen Geistesvergnügen produziert und die Menschen im Nachbarzimmer bei Laune hält. Richtige Menschen, wie ich aus eigenem Erleben weiß, mit lauter komischen Fragen, Gedanken und bösen Scherzen im Kopf. Von Natur aus viel zu neugierige Menschen, die immerzu Dinge wissen wollen, die nicht in der Zeitung stehen.

Und die dann auch noch der Überzeugung sind, dass man Journalismus nicht an Maschinen delegieren kann. Dass man das gar nicht darf. Was ich übrigens auch so finde. Mal abgesehen von diesem Irrglauben an eine „Künstliche Intelligenz“, von der irgendwelche Programmierer meinen, sie wäre intelligenter als Menschen.

Die glauben das tatsächlich, obwohl sie alle wissen, wer das Zeug eigentlich programmiert hat und wie die Dingsda, die Algorithmen (Danke, Wikipedia) funktionieren.

Wer hat das geschrieben?

Und da, wo man KI schon zum Nachrichtenmachen einsetzen kann, haben wir – so leid uns das ja tut – keinen Bedarf. Und werden wir auch schon aus Überzeugung keinen Bedarf haben, weil wir – ich spreche jetzt einfach mal für die ganze Bande, die mich hier in der Kaffeeküche eingesperrt hat, bis ich fertig bin – finden, dass es beim Zeitungmachen auf allen Seiten um Menschen geht. Menschen sprechen mit Menschen, fragen Menschen, schreiben über Menschen.

Menschen lesen, was Menschen geschrieben haben, ärgern sich über Menschen oder freuen sich, dass sie das auch schon mal so gedacht haben oder erlebt. Oder freuen sich, dass eine an ihrer Stelle hingegangen ist und borstige Fragen gestellt hat.

Da hat nirgendwo ein Filter aus einer Programmierbude was zu suchen, kein Algo-Dings und kein Bot. Nicht mal in den ganzen Kanälen, wo die heutige Menschheit ihren ganzen Frust auskübelt. Wenn Ihnen da einer auf die Füße tritt oder ihren Account abklemmt, weil Sie sich verbal daneben benommen haben, dann ist das bei uns auch ein Mensch. Meistens ein völlig übermüdeter, weil die Leute immer erst anfangen rumzumosern, wenn sie selbst nicht schlafen können.

Die Artikel werden dann manchmal sehr menschlich und eigensinnig. Was dann echte Spezialisten auf den Plan ruft, die uns alle Weile erklären, dass sich Journalismus mit nichts gemein machen sollte. Aber es gibt eben nur einen Journalismus, der sich mit nix gemein macht: Roboter-Journalismus.

Und als wir uns nun vor netten 18 Jahren zusammengetan haben, anfangs ganz menschlich zu dritt beim Bierchen, haben wir uns geschworen, dass wir genau das nicht wollen: keinen Roboter-Journalismus. Nichts von dem ganzen redundanten Geplapper, von dem die Welt damals schon voll war. Mit den Bots ist es nur noch schlimmer geworden.

Bei uns sollen die Leute noch merken, dass das alles von echten Menschen geschrieben wurde – die sich über die blöde Hitze ärgern, lahmes Internet und dickköpfige Politiker, über verspätete Straßenbahnen und Hundehaufen auf dem Gehweg.

Die jeden Tag mindestens mal rauskommen aus dem Büro und eben nicht nur im viel behupten Cyberspace rumhängen. Und die das ganze Zeitungmachen für wichtig halten. Weil da Menschen mit Menschen über das reden, was Menschen so machen. Und was Menschen was ausmacht.

„Könnt ihr mich bitte wieder rauslassen?“
„…“

„Hallo!?“

Rohtext +++ Erste Person Singular +++ Betavariante Golem +++ Formatierung fehlt +++ Foto fehlt +++ VÖ 19082022 / 00800 +++ Wer ist Erste Person Singular? +++ Betreff fehlt +++ Autoname error +++

„Hallo?!“

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