Die gute Nachricht vom 13. März lautet: Jetzt weiß auch Leipzigs AfD, wo die Bismarckstraße in Leipzig zu finden ist. Die preußische Nachricht lautet: Das genügt ihr nicht. Sie will den Reichskanzler zentral gewürdigt sehen, beantragt die AfD-Fraktion nun. Und macht ihn gleich mal wieder zum sozialen Wundertäter.

Sie hat ihren Antrag, der zuvor noch eine nach Bismarck benannte Straße oder einen solchen Platz in Leipzig vermisste, einfach neu aufgefrischt und um den Zusatz ergänzt: “Die derzeitige Benennung einer Bismarckstraße an der Peripherie Leipzigs – in Großzschocher – entspricht örtlich in keiner Weise der bleibenden Bedeutung dieses deutschen Politikers.”

Da werden sich die Zschocherschen sicher freuen, dass sie so kurzerhand zur “Peripherie Leipzigs” erklärt werden – auch wenn sie häufig das Gefühl haben, von der Stadtpolitik oft genug so behandelt zu werden.

Aber warum sollte eigentlich ausgerechnet Bismarck wieder im Zentrum der Stadt erscheinen?

“Otto von Bismarck wurde am 1. April 1815 geboren. Er leitete als deutscher Reichskanzler politische Maßnahmen ein, aus denen sich wegweisende Modernisierungen Deutschlands entwickelten. So reagierte er z.B. auf die unsichere Lage vieler Arbeiterfamilien und führte erstmals eine gesetzliche Kranken-, Unfall- und Altersversicherung ein”, behauptet die AfD-Fraktion in ihrem Antrag kurzerhand. Und: “Bismarcks diplomatische Beharrlichkeit bezüglich maßvoller Interessenausgleiche in Europa machen ihn zu einem Vorbild auch für heutige Politiker in aktueller Situation.”

Maßvolle Interessenausgleiche? Das wird wohl der größte Teil der Historiker, die sich mit Bismarck und seiner Politik beschäftigen, so nimmermehr unterschreiben können. Die “Welt” nannte ihn 2012 so: “Otto von Bismarck, ein Genie des Machtspiels.”

“Obwohl sich Bismarck immer wieder nach Verbündeten umsah, lässt Steinberg zu Recht keinen Zweifel daran, dass der Kanzler ein Einzelgänger war, der mutig, charmant und wenn nötig erbarmungslos seine persönlichen oder politischen Interessen durchsetzte und als Politiker weder Mitleid noch Träume hatte. Wenn Bismarck ‘wir’ schrieb, dann meinte er entweder sich selbst oder Preußen”, schrieb Jaques Schuster damals zur Rezension eines der wichtigsten neuen Bücher über Bismarck in der jüngsten Zeit, Jonathan Steinbergs “Bismarck, Magier der Macht”.

Und so ein Pragmatiker der Macht war der Preuße Bismarck nicht nur im europäischen Ränkespiel – er war es auch nach innen. Das “Sozialistengesetz”, mit dem die aufkommende Sozialdemokratie niedergehalten werden sollte, ist sein Produkt.

Und wer im Geschichtsunterricht ein bisschen aufgepasst hat, der weiß, dass die von ihm 1883 angeschobene Sozialgesetzgebung sein zweiter Versuch war, die “Roten” klein zu halten. Denn 1883 war auch dem Machtpragmatiker klar geworden, dass das 1878 aufgelegte Sozialistengesetz die damalige SAPD zwar in die Illegalität zwang, ihre zunehmenden Wahlerfolge aber nicht verhinderte. Das Gesetz sollte sogar ursprünglich nur drei Jahre gelten – bis 1881. Aber die Reichstagswahlen von 1878 und 1881 zeigten dem Eisernen Kanzler, dass er die “Sozis” so nicht klein halten konnte. Und da auch die konservativen und liberalen Parteien im Reichstag fürchteten, es mit einer immer mehr erstarkenden sozialdemokratischen Fraktion zu tun zu bekommen, stimmten sie immer wieder der Verlängerung des Sozialistengesetzes zu – bis 1890 galt es. Da war dann klar, dass auch Bismarcks zweiter Schachzug, den Sozialdemokraten die Wähler abspenstig zu machen, nicht gelungen war.

Im Gegenteil.

Die Wähler der SAPD/SPD schrieben die Einführung einer Sozialgesetzgebung in Deutschland eben nicht dem Goodwill des preußischen Reichskanzlers zu, sondern dem Erstarken der sozialdemokratischen Partei, auch wenn die derlei Zugeständnissen von staatlicher Seite, die nur die soziale Lage der Arbeiter etwas erleichterten, anfangs sehr skeptisch gegenüberstand.

Diese kritische Betrachtung der bismarckschen Sozialgesetzgebung findet man freilich in den üblichen Lobgesängen auf die deutsche gesetzliche Krankenversicherung selten bis nie. Man blendet einfach die halbe Geschichte aus und tut so, als wäre gerade der Machtmensch Bismarck einfach so aus gutem Herzen auf die Idee einer Sozialgesetzgebung gekommen.

Selbst bei Wikipedia muss man sich erst mal zum Stichwort Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) durchwühlen, um den Hintergrund wenigstens angemerkt zu finden: “Bei den Reichstagswahlen von 1881 erzielte die Partei mit 6,1 % zwar erheblich weniger Stimmen als beim letzten Urnengang, aber angesichts der kaum möglichen Wahlwerbung war dies doch ein beachtlicher Erfolg. Mit zwölf Abgeordneten war die sozialdemokratische Fraktion sogar stärker als zuvor. Allerdings unterlag August Bebel in mehreren Stichwahlen und zog erst 1883 wieder in das Parlament ein. In der neuen Legislaturperiode sollte die Einführung der Sozialversicherungen auch dazu dienen, dem Einfluss der Sozialdemokraten unter den Arbeitern entgegenzuwirken. Dieser Schritt war damit auch eine indirekte Anerkennung des Staates, dass die Sozialdemokratie mit Repression allein nicht zu besiegen war.”

Und der Staat war in diesem Fall eben die bismarcksche Regierung.

Es wirkt schon tragisch, wenn die AfD nun versucht, diese halbe Sicht auf die deutsche Geschichte gar noch als Begründung für die Benennung eines zentralen Platzes in Leipzig nach Otto von Bismarck zu nehmen. Und was die AfD hier so lax als “maßvolle Interessenausgleiche in Europa” bezeichnet, interpretieren viele Historiker als eine Politik des Misstrauens, die in jene Bündnis- und Abschreckungspolitik mündete, die dann 1914 zum Auslöser des 1. Weltkriegs wurde.

Die AfD will nun unbedingt eine “Würdigung des maßgeblichen Schöpfers des ersten deutschen Nationalstaates durch Benennung eines zentral gelegenen Platzes oder einer zentral gelegenen Straße in Leipzig”.

Das klingt so harmlos.

Und verklärt auch in diesem Fall den Machtpolitiker Bismarck, der in seiner legendären “Blut und Eisen”-Rede 1862 vor dem preußischen Abgeordnetenhaus erklärte, worum es ihm ging: „Nicht auf Preußens Liberalismus sieht Deutschland, sondern auf seine Macht; Bayern, Württemberg, Baden mögen dem Liberalismus indulgieren, darum wird ihnen doch keiner Preußens Rolle anweisen; Preußen muß seine Kraft zusammenfassen und zusammenhalten auf den günstigen Augenblick, der schon einige Male verpaßt ist; Preußens Grenzen nach den Wiener Verträgen sind zu einem gesunden Staatsleben nicht günstig; nicht durch Reden oder Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden – das ist der große Fehler von 1848 und 1849 gewesen – sondern durch Eisen und Blut.“

Das ist die rein preußische Machtpolitik, die dann in die Kriege von 1866 und 1870 mündete und in die Inthronisation der preußischen Könige als deutsche Kaiser. Deswegen wetterte Bismarck so gegen die Beschlüsse von 1848/1849. Da war es das Frankfurter Parlament, das dem Preußenkönig die deutsche Krone angeboten hatte. Doch der hatte abgelehnt: Vom Volk oder irgendwelchen Parlamentariern wollten die Hohenzollern kein einiges Reich angeboten bekommen. 1866 entschied Bismarck dann ja bekanntlich mit Waffengewalt, wie die “deutsche Frage” geklärt wird: In der Schlacht bei Königsgrätz standen sich 400.000 Soldaten gegenüber, darunter auch Sachsen, die damals auf der Seite Österreichs gegen die Preußen kämpften. Eine Schlacht, die am Ende nicht nur dafür sorgte, dass Bismarck seine kleindeutsche Lösung durchsetzte, sondern die erstmals in der Geschichte auch auf ein modernes Transportmittel setzte: die Eisenbahn.

Womit auch die seltsame AfD-Argumentation von der Modernisierung Deutschlands ganz anders aussieht: Deutschland war längst in einem beschleunigten Prozess der Modernisierung. Die Industriezentren in Sachsen und im preußischen Rheinland liefen längst auf Hochtouren – und lieferten unter anderem die modernen Waffen, mit denen Bismarck seine militärischen Siege errang – mitsamt der damals auch von liberalen Zeitungen erstaunt festgestellten Tatsache, dass deutsche Waffenfabrikanten auch die Gegenseite belieferten. Irgendwie hat sich daran auch in der Gegenwart nichts geändert.

Warum gerade das im Jahr 2015 gewürdigt werden soll, ist natürlich die Frage.

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Es gibt 2 Kommentare

Von welcher Partei kommt in Leipzig gegenwärtig etwas Gescheites? Auf diese Antwort wäre sicher nicht nur ich gespannt.

Sieht so aus, als ob sich die Leipziger AfD als zweite stadtpolitische Krawallpartei neben der Leipziger CDU entwickeln wird. Von beiden Ortsgruppen kommt nix Gescheites.

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