Für FreikäuferLZ/Auszug Ausgabe 50Weihnachten steht vor der Tür und das Jahr 1932 geht zur Neige. Der Blick der Leipziger richtet sich schon damals eher nach innen. Die große Politik ist weit entfernt und es sind echte Nöte, die die Messestadt plagen. Zum letzten Mal in ihrer damals dreijährigen Legislaturperiode kommen die Stadtverordneten zusammen. Zeit für die Leipziger Neuesten Nachrichten (LNN) mal so richtig mit der Arbeit des Stadtrates abzurechnen.

„Die drei Jahre, in denen seine Mitglieder in dem vornehm getäfelten Sitzungssaal geredet, gelärmt, getobt und manchmal auch sachlich beraten haben, umschließen die härteste Zeit, die unsere Stadt seit vielen Jahrzehnten erlebt hat. Die Stadtverordneten haben sich dieser Entwicklung nicht gewachsen gezeigt. Sie waren – na, sagen wir – zu überrascht von dem harten Start aus der Welt des schönen Scheins, als daß sie den schnellen Entschluß zu den erforderlichen Taten aufbringen konnten.“

Und verwundert es in diesen Zeiten des etwas abkühlenden, aber stets latenten Bürgerkriegs, dass bei dieser letzten Sitzung Polizisten mit Karabinern vor dem Rathaus patrouillieren? Die letzte Abstimmung des Hauses fällt zugunsten eines monumentalen Wagner-Denkmals aus. Doch die entsprechenden Mittel sollen Wagner-Freunde in aller Welt aufbringen. Vorsteher Enke beendete die letzte Sitzung schließlich mit ein paar Abschlussworten um 1 Uhr nachts.

Wie auch 2017 macht die Frage der Sperrstundenregeln die Runde. In den Kneipen und sonstigen Etablissements der Stadt ist man froh über die Kunde aus dem Polizeipräsidium. Für die Nächte zum 26./27. und 28. Dezember wird die Polizeistunde bis 2 Uhr ausgedehnt, Neujahr aufgehoben. Man verspricht sich gute Geschäfte.

Zum Jahreswechsel am Abgrund

Anderswo laufen diese schon längst nicht mehr, das Leipzig des Jahres 1932 ist mit dem heutigen kaum zu vergleichen. Es steht finanziell am Abgrund. Am Ende des Jahres legte die Stadtverwaltung noch einen Niederschlag vor. Schon 1930 hatte die Stadt 8,7 Millionen an Fehlbeträgen angehäuft, im nun abgerechneten Jahr 1931 kamen noch einmal 6,5 Millionen dazu. „Das Katastrophenjahr 1931 hat ganz ungewöhnliche Anforderungen an die Finanzen der Stadt gestellt. Möglich gewesen ist die Aufrechterhaltung der Kassenliquidität aber lediglich durch die harte Spar- und Drosselungspolitik, bei der nur ein 20stel bis ein 24stel der im Haushaltsplan für laufende Ausgaben eingesetzten Summen monatlich zur Verwendung festgegeben wurden. Hinzu kommen die besonderen Einsparungen, die die verschiedenen Notverordnungen vorgeschrieben haben.“

Unter anderem sparte die Stadt per Notverordnung 4 Millionen an Gehalt und Lohn ein. Logischerweise hat das Fürsorgewesen für die großen Engpässe gesorgt. Ursprünglich waren im Etat für das Jahr 1931 dafür 23 Millionen Mark vorgesehen, tatsächlich legte die Stadtverwaltung 34 Millionen hin. „Das ist insbesondere auf das starke Steigen der Zahl der Unterstützungsbedürftigen zurückzuführen, wie auch auf das Ausbleiben einer genügenden Reichshilfe.“

Die Kommune musste es also auf eigene Kosten lösen und es ist keine Rettung in Sicht. Die Zahl der Wohlfahrtsbedürftigen steigt weiter, die Steuereinnahmen sinken gleichzeitig. Gerade an der einst so reichen Stadt Leipzig kann man einen Grund für den späteren Jubel für den Aufstieg auf Kredit im Dritten Reich vorausahnen: „So wird man beispielsweise im Etat für 1933 bei der Einkommenssteuer nur noch mit einem Aufkommen von 3,5 Millionen rechnen gegenüber 18,7 Millionen, die diese Steuer 1929 gebracht hat“, so die LNN.

Und auch die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen ist dazu passend sehr ernüchternd. Allein in der ersten Dezemberhälfte 1932 ist diese Zahl um 250.000 Menschen reichsweit gestiegen. Dabei gab es Hoffnung in das Arbeitsbeschaffungs-Programm, was noch unter von Papen in die Wege geleitet wurde. Aber: „Die Parteien haben die Schwierigkeiten, die jedem Programm dieser Art überreich entgegenstehen, rücksichtslos für ihren Interessenkampf ausgenutzt“, so ein Redakteur der LNN.

Frohe Weihnachten - Handzeichnung aus der NLZ Bilderwoche zum Jahresende.
Frohe Weihnachten – Handzeichnung aus der NLZ Bilderwoche zum Jahresende.

Zum Jahresende gibt dann Sachsens Innenminister Dr. Richter noch einen Einblick in die Seele Sachsens und in die seinige, es ist ein rabenschwarzer: „Wir überschreiten die Schwelle des Jahres 1933 mit großer Sorge, aber auch nicht ohne Hoffnung. Es ist verständlich, daß ein Mitglied der Regierung des Landes Sachsen, des Landes, das am meisten und am längsten unter der wirtschaftlichen Depression und der Arbeitslosigkeit zu leiden hat, in erster Linie von Sorge erfüllt ist. Sie lastet doppelt schwer auf uns angesichts der engbegrenzten Möglichkeiten, die Nöte, die diese Sorge verursachen, von Landes wegen zu meistern und hieran im Reiche ratend und helfend mitzuarbeiten.“

So weit zu Sachsen und zur Not

Dr. Richter geht offenbar nicht davon aus, dass das Ruder demnächst umzureißen wäre, was unter anderem auch an der Nicht-Beteiligung an der Politik liegen könnte, seit mit Notverordnungen regiert wird.

Zur Bilanz des Jahres heißt es in den LNN fast schon lakonisch: „Ein Jahr geht zu Ende. An sich ist das keine besondere Begebenheit. Der Strom der Zeit rauscht unablässig und was ist da ein kurzes Jahr! Aber dieses alte Jahr war doch ein besonders schweres Jahr. Ein Deutsches Notjahr ist’s gewesen, wie man’s kaum ahnen konnte. Und nun, da es vorüberging, muss man wohl im Einzelnen dies und das überdenken: die unsagbare wirtschaftliche Not, die innenpolitischen Dissonanzen und Kämpfe, die Zerrissenheiten auf den Gebieten des Weltanschaulichen und wie sich das alles im persönlichen Leben und Verkehr ausgewirkt hat! Aber eine trübe und nun gar verzweifelte Stimmung soll uns dennoch nicht kommen, wenn der letzte Tag dieses 1932 uns grüßt! Es ist schon besser, wir behalten den Kopf oben und wir gedenken dankbar auch des einen und anderen Lichtblickes, der uns geworden ist.“

Die Straßenbahnen fahren innerhalb des Stadttarifes im 15-Minuten-Takt in der Silvesternacht. Nach Engelsdorf, Liebertwolkwitz, Paunsdorf, Markkleeberg, Wiederitzsch, Märchenwiese und Taucha geht es allerdings nur jede Stunde einmal. In Leipzig sind es zwischen -4 und +2 Grad. Tagsüber ist es heiter.

Einen Jahresendwunsch hat man bei den Leipziger Neuesten Nachrichten dann doch noch. Und der lässt in der Tat tief blicken auf die Art und Weise einstiger politischer Auseinandersetzungen im Neuen Rathaus. Denn am 4. Januar soll das neugewählte Leipziger Stadtverordnetenkollegium zum ersten Mal zusammentreten.

Zeit für eine weitere Abrechnung: „Man möchte wünschen, daß in den nächsten drei Jahren im Stadtverordnetensaale möglichst nicht geprügelt wird, daß auch keine faulen Eier geworfen werden, daß man bei gegenseitigen Temperamentsausbrüchen auf die Wortschaft der Zoologie nach Möglichkeit verzichtet und daß man versucht, im Kampf der Meinungen den Stimmaufwand, so gut es geht, durch Reichtum an Gedanken zu ersetzen. Kurz und gut, man möchte wünschen, daß die Stadtverordneten etwas auf Manieren halten und daß sie sich bemühen, in der Kommunalpolitik und in der Bürgerschaft wieder ernst genommen zu werden.“

Dass gewünscht und nicht gefordert wird, ist bezeichnend für die kommunalpolitische Atmosphäre der Zeit. Aber schon bevor das Gremium zusammentritt, wird es vom Redakteur der LNN an der Nase durch den Ring gezogen. Man erhofft sich endlich mehr Zugkraft von der Stadtpolitik, wenn’s im Reich schon nicht läuft. „Um in der Bürgerschaft Achtung und Anerkennung zu finden, ist es freilich mit guten Manieren allein nicht getan. Dazu muß man auch etwas leisten. Und ob ausgerechnet dieses Kollegium etwas zu Nutzen der Stadt, ihrer Bürger und ihrer Wirtschaft wird schaffen können, das darf man sicherlich bezweifeln.“

Und schuld daran sind natürlich die Roten

„Allzu pessimistisch aber sollte man bis zum Beweise des Gegenteils trotzdem nicht in die Zukunft sehen.“ Die Zweifel rühren daher, dass Kommunisten und Sozialdemokraten mit 41 Sitzen mit sieben Sitzen über der Mehrheit liegen. „Es ist schwerlich anzunehmen, daß Kommunisten und Sozialdemokraten den Hauptzweck ihres brüderlichen Daseins verleugnen und plötzlich darauf verzichten werden, sich gegenseitig die Mandate und die Wählermassen abzujagen Soviel Liebe zu dem gemeinsamen marxistischen Blut und soviel selbstlose Opferbereitschaft darf man bestimmt nicht erwarten.“

Bereits erschienene Zeitreisen durch Leipzig auf L-IZ.de

Der Leipziger Osten im Jahr 1886

Der Leipziger Westen im Jahr 1886

Westlich von Leipzig 1891

Leipzig am Vorabend des I. Weltkrieges 1914

Einblicke in die Jüdische Geschichte Leipzigs 1880 bis 1938

Leipzig in den “Goldenen 20ern”

Alle Zeitreisen auf einen Blick

Eine Zeitreise in den Dezember 1932: Kurz vor Hitler & ein Uni-Professor in Bedrängnis

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