In der DDR gab es staatlich gesteuerte Kirchenbauprogramme. Mit ihnen erwirtschaftete die Staatsführung Devisen in Millionenhöhe, was auch 32 Jahre nach dem Ende der DDR wenig bekannt ist. Dafür gibt es Gründe. Sie hießen offiziell Sonderbauprogramm oder Bauprogramm „Kirchen für neue Städte“. Dabei ging es um den Erhalt und Umbau bestehender sowie die Errichtung neuer Kirchen und kirchlich genutzter Gebäude in der DDR.

Grundlage waren vertragliche Vereinbarungen zwischen der DDR-Regierung und evangelischen sowie katholischen Kirchen-Institutionen in der Bundesrepublik Deutschland.

Schwierige Ausgangslage

Die Ausgangslage war schwierig: Zwar waren die evangelischen und die katholischen Kirchenverbände in der DDR – anders als die in anderen sozialistischen Nachbarstaaten – nach dem Zweiten Weltkrieg Eigentümer ihrer Kirchen und sonstigen Gebäude geblieben. Nach dem Zweiten Weltkrieges waren etwa zwei Millionen Vertriebene in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) bzw. in die DDR gekommen, viele von ihnen mit christlichem Glauben.

Doch in den dort mehr als 4.000 evangelischen Kirchengemeinden gab es fast überall im Krieg beschädigte Gotteshäuser, Gemeindehäuser und Pfarrhäuser, für deren Wiederherstellung und Erhaltung alles damals Mögliche getan wurde, was für die tatsächlichen Erfordernisse jedoch nicht genug war:

So waren 1970, also 25 Jahre nach Kriegsende, beispielsweise im Bereich der evangelischen Kirchenverbände noch Schäden von 30 Millionen DDR-Mark geblieben. Hinzu kamen Folgeschäden wegen nicht finanzierbarer Reparaturen von 70 Millionen DDR-Mark. Diese insgesamt 100 Millionen DDR-Mark konnten die evangelischen Kirchen in der DDR aus eigener Kraft nicht aufbringen.

Auch waren die staatlichen Zuschüsse für den Erhalt denkmalwerter Kirchen – 800.000 DDR-Mark pro Jahr und mit rückläufiger Tendenz – nur der sprichwörtliche „Tropfen auf den heißen Stein“. Zudem war dieses Geld nicht dafür gedacht, um für kirchliches Leben zeitgemäße Räume zu schaffen. Und obendrein hatte die DDR-Bauwirtschaft zu wenig Kapazitäten.

Seltener Aufkleber zur Aktion, wohl um 1980. Entdeckt in Leipzig im September 2022. Foto: Ghostwriter123, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=123163710
Seltener Aufkleber zur Aktion, wohl um 1980. Entdeckt in Leipzig im September 2022. Foto: Ghostwriter123, CC BY-SA 4.0 

„Da war die Bereitschaft der EKD, die Finanzierung eines Sonderbauprogramms zu übernehmen, Rettung in aussichtsloser Lage“, erinnerte sich im Jahr 2000 Manfred Stolpe. „Es sah vor, für den Zeitraum von 1973 bis 1980 rund 55 Millionen Valutamark für ein kirchliches Sonderbauprogramm bereitzustellen. Die sich andeutende Bereitschaft der DDR-Regierung, sich auf ein derartiges Kirchenbauprogramm einzulassen, war um so erstaunlicher, als sie 1971 erklärt hatte, dass künftig nur noch Wohnungen errichtet werden dürften.“ Stolpe, im Jahr 2000 Ministerpräsident von Brandenburg, war bei den Programmen einer der einflussreichsten Akteure.

Devisen-Not machte erfinderisch

Wie kam es zu den Programmen? Die DDR-Führung war permanent auf der Suche nach neuen Devisenquellen. Der Umstand, dass wenige Jahre nach der Teilung Deutschlands die Kirchen der Bundesrepublik dauerhaft bedeutende finanzielle Unterstützung für Kirchgemeinden in der DDR leisteten – etwa über das 1956 gegründete DDR-Unternehmen Genex Geschenkdienst GmbH –, weckte geschäftliches Interesse.

Diese D-Mark-Ströme machte sich die DDR mit einem Modell aus dem Jahr 1965 zunutze. Ersonnen hatte es Ludwig Geißel (seit 9. Juni 1958 „Bevollmächtigter der westdeutschen Landeskirchen bei der Regierung der DDR“ und somit Bevollmächtigter der evangelischen Kirchen) mit seinem damaligen DDR-Verhandlungspartner Horst Roigk (Leiter der Abteilung Koordination des Ministeriums für Staatssicherheit):

Die West-Kirchen, vertreten vom Bonifatiuswerk für die Katholische Kirche in Deutschland und vom Diakonischen Werk für die Evangelische Kirche in Deutschland, lieferten von der DDR-Führung gewünschte und für sie von den Kirchen bestellte Waren und Güter direkt in die DDR.

Dank Kirchenbauprogramm bis 1991auferstanden: Dreikönigskirche Dresden. Foto: Kolossos, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3746240
Dank Kirchenbauprogramm bis 1991auferstanden: Dreikönigskirche Dresden. Foto: Kolossos, CC BY-SA 3.0 

Das waren das sogenannte Kirchengeschäft A oder A-Geschäft (mit der evangelischen Kirche in der Bundesrepublik) und das Kirchengeschäft C oder C-Geschäft (mit der römisch-katholischen Kirche in der Bundesrepublik). Das Kirchengeschäft B oder B-Geschäft beinhaltete den Freikauf von Häftlingen. Jenes System, koordiniert von Alexander Schalck-Golodkowski in der „Kommerziellen Koordinierung (KoKo)“, lief bis zum Ende der DDR 1990.

Die Anfänge

Im Bausektor entstanden zunächst Fertighäuser für kirchliche Mitarbeiter. Die Häuser wurden von DDR-Betrieben errichtet. Baumaterial und Projektierungsleistungen stammten ebenfalls überwiegend aus der DDR. Als Gegenleistung lieferten westdeutsche Kirchenorganisationen – beispielsweise das Diakonische Werk in Stuttgart – von der DDR bestellte Waren und Rohstoffe über Vertrauensunternehmen in die DDR.

Die erste Lieferung bestand 1966 aus Kaffee im Wert von 1,5 Millionen D-Mark. Die hochwertigen Rohstoffe wie etwa Kupfer, Erdöl und Rohdiamanten verkaufte die DDR im internationalen Börsengeschäft gewinnsteigernd weiter. Koordinator der Kirchengeschäfte auf DDR-Seite war ab 1966 Manfred Seidel (stellvertretender Leiter des Bereichs Kommerzielle Koordinierung (KoKo) und neben Alexander Schalck-Golodkowski der wichtigste Offizier im besonderen Einsatz (OibE) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS)).

Erstes Sonderbauprogramm 1976–1980

Dieses Programm – auch bekannt als Valuta-Bauprogramm – beschloss das Präsidium des Ministerrates der DDR in seiner 42. Sitzung am 13. Dezember 1972. Sein offizieller Titel lautete „Beschluß über die Instandhaltung und Restaurierung von Kirchengebäuden und Neubau von Gesundheitserweiterungsbauten zur Pflege von schwerstgeschädigten und geistig behinderten Bürgern sowie Fertighäuser für medizinisches Personal“. Es enthielt Hinweise und Richtlinien „zur Vorbereitung und Durchführung von Baumaßnahmen in den Jahren 1973–1975 für die evangelische und katholische Kirche in der DDR“.

Der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR hatte dafür DDR-weit 44 Objekte aufgelistet, der zugestandene Leistungsumfang betrug 19 Millionen D-Mark. Zum einen sollten denkmalswerte Kirchen restauriert werden. Zum anderen sollten beschädigte Kirchen so hergerichtet werden, dass sie mit dem Einbau moderner Funktionsräume wie Gemeindesäle, Büros und Küchen langfristig den zeitgemäßen Ansprüchen des kirchlichen Gemeindelebens entsprachen. Die katholische Kirche in der DDR verwirklichte viele kirchliche Neubauten.

Das Programm umfasste insgesamt 40 Millionen D-Mark, die jeweils etwa zur Hälfte zum Bau von Kirchen sowie zum Bau karitativer und sozialer Einrichtungen verwendet wurden.

Zweites Sonderbauprogramm 1981–1985

Geplant im Winter 1976/1977, bekräftigte Erich Honecker in der Direktive vom 2. Februar 1978: „Den von den Leitungen der Evangelischen und Katholischen Kirche in der DDR unterbreiteten Vorschlägen zur Durchführung von speziellen Baumaßnahmen in den Jahren 1980–1985 wird prinzipiell zugestimmt. Die Bezahlung von diesen Bauvorhaben erfolgt ausschließlich gegen freie Devisen im Rahmen des Exportprogramms der DDR.“ Auf der Liste der evangelischen Bauvorhaben standen 35 Kirchen in den „neuen Städten“ (= neue DDR-Plattenbauviertel), auf der katholischen 12 Sakralbauprojekte.

Drittes Sonderbauprogramm 1986–1990

Der Umfang des dritten Programms ist bislang nicht bekannt. Von den dort geplanten Kirchenbauprojekten konnten bis zum Ende der DDR am 2. Oktober 1990 nur wenige verwirklicht werden, so etwa die katholischen Kirchen in Lobenstein und in Schleiz.

Verwirklichung

Die DDR-Kirchgemeinden konnten, wenn ihr jeweiliges Bauprojekt auf die offizielle Förderliste ihrer obersten Kirchenorganisation gesetzt worden war, im Umfang der zuvor aus der Bundesrepublik transferierten D-Mark-Guthaben anteilig Bauleistungen beim DDR-Außenhandelsbetrieb Limex-Bau Export-Import in Anspruch nehmen – für bei ihnen dringend benötigte Kirchenneubauten und Kirchenumbauten, Gemeindezentren und restauratorische Maßnahmen. Dabei wurden die Leistungen im Verhältnis 1:1 in DDR-Mark verrechnet und beglichen. So wurde es auch möglich, Kirchenneubauten zu errichten.

Bei den Bauvorhaben der katholischen Kirche, die Planung, Projektierung und Bauausführung meistens von DDR-Behörden realisieren ließ, verringerten sich oft die sonst üblichen Genehmigungs- und Bauschwierigkeiten.
Dagegen kam es bei Neubauten von evangelischen Kirchen und Gemeindezentren immer wieder zu behördlichen Verzögerungen, da viele Gemeinden einen möglichst hohen Eigenanteil an Leistungen (Projektierung, Statikberechnungen, Erschließungsarbeiten für Kanäle und Stromleitungen) erbringen wollten – um so die D-Mark-Kosten zu reduzieren. Die Bezahlung erfolgte auf der Verrechnungsgrundlage „1 D-Mark = 1 DDR-Mark“, also im von der DDR festgelegten Umtauschverhältnis von 1:1.

Mit 3.770.000 D-Mark unterstützt: Kirche St. Nikolai Potsdam. Foto: Konstantindegeer, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=73633280
Mit 3.770.000 D-Mark unterstützt: Kirche St. Nikolai Potsdam. Foto: Konstantindegeer, CC BY-SA 4.0 

Seit 1966 gab es ein immer weiter spezifiziertes Verfahren über Transferleistungen mit dem Ministerium für Außenhandel der DDR, Bereich Kommerzielle Koordinierung. So wurden beispielsweise vom Deutschen Caritasverband in der Bundesrepublik Elektrolyt-Kupferbarren (wire bars) und Elektrolyt-Kupfer aus westlicher Produktion im Wert von 12 Millionen D-Mark geliefert – an das zum Bereich Kommerzielle Koordinierung gehörende Unternehmen Intrac Handelsgesellschaft mbH in Berlin-Pankow.

Im Gegenzug wurden dem Konto des Erzbischofs von Berlin bei der Deutschen Notenbank Berlin 12 Millionen Mark der Deutschen Notenbank (MDN) gutgeschrieben. Dieser Transferweg erfolgte auf Verlangen der DDR-Behörden anstelle des Bartransfers über Genex. Das Bundes-Wirtschaftsministerium in Bonn stimmte dieser Vorgehensweise zu.

Verhandlungspartner auf evangelischer Seite war der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR. Langjähriger Vorsitzender in dieser Zeitspanne war Bischof Albrecht Schönherr.

Wiederaufbau und Umbau von Kirchen

Prominentes Beispiel für den Wiederaufbau dank der Kirchenbauprogramme ist die Dreikönigskirche in Dresden: Die Entscheidung für ihren Wiederaufbau fiel 1977. Begünstigt oder auch überhaupt erst ermöglicht von den Kirchenbauprogrammen erfolgte am 31. Oktober 1984 die Grundsteinlegung an dem fast vier Jahrzehnte lang ruinösen Gebäude.

Die ursprünglichen äußeren Formen wurden weitgehend erhalten oder wiederhergestellt, während das Innere eine völlig andere Raumaufteilung erfuhr: So steht etwa für Gottesdienste nur noch ein Drittel des Vorkriegsraums zur Verfügung. Am 9. September 1990 wurde die Dreikönigskirche geweiht und 1991 endgültig fertiggestellt.

Weitere Beispiele als Übersicht (mit jeweiliger Bausumme – soweit veröffentlicht – in Valutamark laut Quellenangaben, diese entspricht jeweils exakt derselben Summe in D-Mark(DM)):

St.-Nikolai-Kirche Stralsund (1.050.000 DM), St.-Marien-Kirche Stralsund (452.000 DM), St.-Marien-Kirche Greifswald (366.000 DM), Schweriner Dom (340.000 DM), Stadtkirche Hagenow (480.000 DM), St.-Marien-Kirche Parchim (150.000 DM), St. Nikolai Quedlinburg (877.000 DM), Lutherkirche Tambach in Tambach-Dietharz (520.000 DM),

Liebfrauenkirche Arnstadt (45.000 DM), Nikolaikirche Bad Blankenburg (187.000 DM), Georgenkirche Eisenach (100.000 DM), Werner-Sylten-Gemeindehaus Eisenach (Anbau, 125.000 DM), Augustinerkirche Gotha (220.000 DM), Thomaskirche Leipzig (466.000 DM), Peterskirche Leipzig (155.000 DM), Nikolaikirche Leipzig, Stadtkirche St. Wenceslai Wurzen (70.000 DM), Matthäuskirche Dresden (872.000 DM), Schloßkirche Chemnitz (114.000 DM),

St. Marien (Dom) Zwickau (203.000 DM), Stadtkirche St. Petri Freiberg (258.000 DM), St. Annenkirche Annaberg in Annaberg-Buchholz (652.000 DM), Michaeliskirche Bautzen (208.000 DM), Alte Schule Herrnhut (285.000 DM), Nikolaikirche Görlitz (724.000 DM), Stadtpfarrkirche Peitz (446.000 DM), Christophoruskirche Berlin-Friedrichshagen (400.000 DM), St. Nikolai Jüterbog (466.000 DM),

St. Marien Bad Belzig (388.000 DM), St. Nikolai Potsdam (3.770.000 DM), Klosterkirche St. Trinitatis Neuruppin (Rekonstruktion und Ausbau zum Gemeindezentrum), Oberkirche St. Nikolai Cottbus, St. Moritz Halberstadt, Othmarskirche Naumburg (Saale), St. Katharinen Buchholz in Annaberg-Buchholz, Nikolaikirche Rostock, St. Stephan Gartz (Oder),

Pauluskirche Dessau, Herrnhuter Brüdergemeine, Augustinerkloster Erfurt (+ Tagungszentrum), Stadtkirche St. Jacobi in Wanzleben, Marienkirche Prenzlau, Französische Friedrichstadtkirche Berlin, Sankt-Gertraud-Kirche Frankfurt (Oder), Dom zu Magdeburg.

Im Zusammenhang mit den Kirchenbau-Programmen stand der staatlich gewollte Wiederaufbau des Berliner Doms – dagegen wurde die zugehörige Denkmalskirche Berlin 1975 gesprengt.

Bilanz aus DDR-Sicht: 560 Millionen D-Mark

Mit diesen „Valuta-Sonderbauprogrammen“ erwirtschaftete die DDR mit der Vertragspartnerin Evangelische Kirche in Deutschland (realisiert als Kirchengeschäft A oder A-Geschäft via Diakonie Deutschland) seit den 1970er Jahren bis 1988 rund 250 Millionen D-Mark.

Mit der römisch-katholischen Vertragspartnerin Deutsche Bischofskonferenz (realisiert als Kirchengeschäft C oder C-Geschäft via Bonifatiuswerk) waren es von 1966 bis 1988 rund 310 Millionen D-Mark. Gesamtsumme: mindestens 560 Millionen D-Mark. Ein Großteil davon waren Zahlungen aus dem Etat des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen im bundesdeutschen Staatshaushalt.

Fortsetzung folgt.

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