Kirchenbauwerke gehören zu vielen Ortschaften. Sie sind bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke. Die Gotteshäuser haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfältige Bedeutung. Heute geht es um ein bemerkenswertes, historisches Gotteshaus in Wurzen nahe Leipzig. Der Dom St. Marien zu Wurzen ist eine besondere, evangelisch-lutherische Kirche in der Großen Kreisstadt Wurzen in Sachsen.

Als Stiftskirche des Wurzener Kollegiatsstiftes erbaut, wurde sie seit Ende des 15. Jahrhunderts, als die Bischöfe von Meißen im Wurzener Schloss ihre Residenz errichteten, als Dom bezeichnet.

Seit 1542 dient die Kirche dem evangelischen Gottesdienst. Sie wird auch wegen ihrer guten Akustik zu kirchenmusikalischen Konzerten genutzt. Das Gotteshaus ist ein bedeutendes Baudenkmal des als Wurzener Land bezeichneten Territoriums und hatte im Jahr 2014 sein 900-Jahre-Jubiläum.

Standort und Bauwerk

Der Wurzener Dom steht im südwestlichen Teil der Altstadt von Wurzen auf einem Hügel, der sich etwa zehn Meter über die sich nach Westen erstreckende Muldenaue erhebt. Nördlich des Doms steht am Schlosshof das Schloss Wurzen, das über die „Alte Kustodie“ eine bauliche Verbindung zum Dom hat; südlich liegt der Domplatz. Der Dom prägt mit seinen beiden jeweils 42 Meter hohen Türmen markant das Stadtbild von Wurzen.

Er ist ein sich in Ost-West-Richtung erstreckendes, in seinen Hauptteilen gotisches Bauwerk von 60 Metern Länge und am Mittelschiff 21 Metern Breite. Das über drei Joche reichende Mittelschiff hat zwei Seitenschiffe unterschiedlicher Höhe. Nach Osten schließt sich ein vierjochiger Chor an, der im Altarraum – einer Apsis mit 5/8-Schluss – endet. Auch nach Westen folgt auf das Mittelschiff ein Chor.

Während die meisten Bereiche im Dom ein Kreuzrippengewölbe aufweisen, besitzt der Altarraum ein Sterngewölbe und der Westchor ein aufwändiges und farbig gefasstes Zellengewölbe. An der Ostseite der Seitenschiffe steht jeweils ein Kirchturm. Damit erheben sich die Türme nahezu in der Mitte des Kirchengebäudes, sie haben barocke Hauben und Laternen und sind unterschiedlich gestaltet.

Der etwas höhere Südturm, durch den auch der Zugang in die Kirche erfolgt, ist in seinem oberen Teil stärker gegliedert. An den Südturm schließt sich im Bereich des Ostchors ein Anbau an, der die sonst sichtbaren gotischen Strebepfeiler und Fenster verdeckt.

Geschichte

Die erste Kirche als Vorgängerbau des heutigen Domes weihte am 16. August 1114 Meißens Bischof Herwig († 1119) zu Ehren der Jungfrau Maria. Sie war die Stiftskirche für das von ihm im selben Jahr gegründete Kollegiatstift Wurzen. Es war eine flach gedeckte romanische Pfeilerbasilika, die in ihrer Größe etwa dem heutigen Mittelschiff entsprach.

Die erste größere Erweiterung war um 1260 bis 1290 der Anbau der vier Joche des Ostchores. In der Mitte des 14. Jahrhunderts folgten die Einwölbung des Mittelschiffs und der Ausbau des südlichen Seitenschiffs zur Halle, bevor im Jahre 1470 ein Brand große Teile der Kirche zerstörte.

Nach dem Wiederaufbau gab es die nächsten Erweiterungen nach 1500 unter Bischof Johann VI. von Saalhausen (1444–1518). Er ließ 1503 den Westchor errichten, den er als seine Begräbnisstätte vorsah, und 1508 zwei Joche an den Ostchor anfügen, den heutigen Altarraum. Von 1491 bis 1497 hatte er das benachbarte Schloss Wurzen als Bischofsresidenz erbauen lassen: So wurde die Kirche zum Dom und das Kollegiatstift zum Domkapitel.

Obwohl bereits 1542 im Dom evangelische Gottesdienste stattfanden, bewohnten die katholischen Bischöfe noch das Schloss. Der letzte Bischof Johann IX. von Haugwitz (1524– 1595) löste mit der Übergabe an das nunmehr evangelische Domkapitel das Bistum Meißen auf. Neuer Stiftsherr in Wurzen wurde der sächsische Kurfürst August (1526–1586).

Zur Erweiterung des Platzangebots wurden 1555 im nördlichen Seitenschiff und 1593 im südlichen Seitenschiff Emporen eingebaut. Bis auf kleinere Umbauten und Reparaturen blieb der Dom dann bis 1817 unverändert. In diesem und im folgenden Jahr erfolgte eine umfassende Umgestaltung im Stil der Neugotik. Die führenden Bauherren waren dabei der Wurzener Dompropst und Bauforscher Christian Ludwig Stieglitz (1756–1836) und der Dechant des Kapitels Immanuel Christian Leberecht von Ampach (1772–1831).

Die vorhandenen Einbauten einschließlich der Emporen wurden beseitigt. Dank eines hellen Anstrichs der Wände und des Einbaus neuer Fenster wirkte der Dom insgesamt viel heller. Ein neuer Altar mit gotischem Schnitzwerk und einem großen Altarbild „Christi Taufe im Jordan“ von Friedrich Matthäi (1777–1845) sowie ein gotisches Chorgestühl wurden eingebaut. Die Orgel wurde erneuert und Fußboden und Bänke wurden ausgetauscht.

Die jüngste Umgestaltung des Innenraumes erfolgte in den Jahren 1931 bis 1932. Sie ist gekennzeichnet von der radikalen Beseitigung der neugotischen Ausstattung und der Einfügung zahlreicher expressionistischer Bildwerke des Bildhauers Georg Wrba sowie vom Einbau der Jehmlich-Orgel.

Das Mittelschiff mit Blick zum Altar. Foto: Joeb07, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6831499
Mittelschiff mit Blick zum Altar. Foto: Joeb07, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6831499

1986 übernahm Eberhard Burger, der spätere Bauleiter des Wiederaufbaus der Frauenkirche zu Dresden, als Domherr im Domkapitel des Domes zu Wurzen eine neue Aufgabe: Unter seiner Leitung wurde der Wurzener Dom, der sich seinerzeit in einem desolaten Zustand befand, von außen und innen komplett renoviert. Die Arbeiten wurden 2004 unter seiner Leitung abgeschlossen.

Domkapitel

Seit der Reformation wird der Dom von seinem Domkapitel verwaltet, dem kirchliche und weltliche Repräsentanten ehrenamtlich angehören. Aktuell gehören zum Domkapitel mehrere Domherren, eine Domherrin sowie einige Altdomherren. Stiftsherr ist traditionsgemäß qua Amt der jeweilige sächsische Landesbischof.

Historische Ausstattung

Von der Ausstattung des Doms vor der Reformation, der zu dieser Zeit allein sieben Altäre aufwies, ist wenig erhalten. Die wichtigsten Kunstwerke sind drei vollplastische Steinfiguren aus der Zeit vor 1503. Sie befinden sich jetzt mit Sockel und Baldachin an der Nordwand des Mittelschiffes, ihr Schöpfer ist unbekannt. Sie stellen Bischof Donatus von Arezzo († um 362), Kaiser Otto I. (912–973) und den Evangelisten Johannes dar. Otto I. war der Gründer des Bistums Meißen, Donatus und Johannes waren die Schutzpatrone des Bistums.

An einen Ururenkel Martin Luthers, Johan Martin Luther (1619–1669), Eigentümer des Rittergutes im benachbarten Hohburg und von 1649 bis zu seinem Tod 1669 Stiftsherr im Wurzener Dom, erinnert im Ostchor eine schwarz-weiß gefasste marmorne Gedenktafel.

Umgestaltung und Wrba-Ausstattung 1931–1932

Die jüngsten Erneuerungen 1931/1932 wurden laut Überlieferung nötig, „weil die alten Holzeinbauten nicht mehr zu erhalten waren“: Chorgestühl, Kanzel, Altar, die Betstuben im Mittelschiff und die baufälligen Holzemporen im Süd- und Nordschiff wurden beseitigt. Der Nord- und der Süd-Eingang wurden aus raumkünstlerischen und technischen Gründen (Windfang) in die Mitte des Bauwerks verlegt.

Zu sehen ist die außergewöhnliche Kanzel. Foto: Martin Geisler, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=27777163
Die außergewöhnliche Kanzel. Foto: Martin Geisler, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=27777163

An der Nordseite des Westchores, also im Schlosshof, wurde ein Treppenhaus gebaut, das den Zugang zur Nordempore ermöglicht, und im Erdgeschoss WC-Möglichkeiten geschaffen. Die großen Südfenster des Kirchenschiffes erhielten ein neues, historisch orientiertes Maßwerk. Auch wurden eine neue Heizung, Lichtausstattung, Orgelempore und Sängerbühne samt neuer Orgel eingebaut.

Die Innenausstattung – Altar mit Kreuzigungsgruppe, Domherrenstühle, Kanzel, Orgelbrüstung, Widmungstafeln, Taufbecken aus Bronze – wurde neu geschaffen. Die bauliche und denkmalpflegerische Oberleitung hatten die Architekten Emil Högg und Friedrich Rötschke.

Bildhauer Georg Wrba schuf damals seinen Zyklus spätexpressionistischer Bildwerke aus Bronzeguss: Die Kreuzigungsgruppe beherrscht den Altarraum, den Ostchor flankieren beidseitig je vier Domherrenstühle mit den Namen der damaligen Domherren.

Am auffälligsten ist die weit in den Bereich vor dem Ostchor hineinragende Kanzel – ein länglicher, bronzener Quaderkorpus, der von sieben Röhrenbündeln getragen wird. Die Apostelköpfe an der Basis des Kanzelkorbes tragen die Gesichtszüge der damaligen Domherren, des Künstlers sowie des Hauptstifters der Domerneuerung, Hermann Ilgen. Sämtliche Erzgüsse dieser Kunstwerke schuf die Erzgießerei Milde Dresden unter Leitung von Werkführer W. Philipp.

Die Sängerempore im Westchor vor der Orgel begrenzt ein Gitter mit einem zentralen Lutherbildnis und zwei seitlichen Jünglingen. Am Fuß der Orgel sind drei musizierende Engel zu sehen. Für die Kunstwerke von Wrba wurden zehn Tonnen Bronze verwendet. Dieser kirchliche Bronze-„Schatz“ konnte den Begehrlichkeiten der sogenannten „Metallspende des deutschen Volkes“ im Zweiten Weltkrieg erfolgreich vorenthalten werden – der Dom musste 1943 „nur“ eine Bronzeglocke abgeben.

Jehmlich-Orgel

Die 1931/1932 erbaute neue Orgel entspricht dem Konzept der neuen Innenraumgestaltung des Domes. Das Instrument mit Freipfeifenprospekt, elektropneumatischer Traktur und fahrbarem Spieltisch ist ein Werk der Firma Gebrüder Jehmlich, Dresden. Die Auswahl der 46 Register in ihren Klangfarben verantwortete Günther Ramin. Sie stellt eine Mischung dar zwischen „orgelbewegter“ Disposition und noch hochromantischer Pfeifenmensuration und -intonation.

Jehmlich-Orgel mit Chor-Empore, rechts an der Wand die Skulptur des Bischofs Donatus von Arezzo. Foto: Radler59, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=51333171
Jehmlich-Orgel mit Chor-Empore, rechts an der Wand die Skulptur des Bischofs Donatus von Arezzo. Foto: Radler59, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=51333171

Von 1998 bis 2001 sowie im Jahr 2007 erfolgten die schrittweise Generalüberholung, Modernisierung und Erweiterung, ausgeführt von der in Bernsdorf bei Zwickau ansässigen Orgelwerkstatt Christian Reinhold. Seit 2007 hat die Orgel 49 Register auf drei Manualen und Pedal.

900 Jahre Dom zu Wurzen

Das Domjubiläumsjahr 2014 wurde mit Festgottesdiensten, Vorträgen und Sonderkonzerten vielfältig gefeiert und gewürdigt, so mit dem Thomanerchor, den Thüringer Sängerknaben und dem Ensemble Amarcord. Anlässlich der Weihe des Domes am 16. August 1114 gab es am 16. August 2014 im voll besetzten Dom einen Abendmahl-Gottesdienst mit Mitgliedern der Domkapitel Meißen, Naumburg und Brandenburg als Ehrengäste.

Am 17. Oktober 2014 befasste sich ein wissenschaftliches Kolloquium im Schloss Wurzen mit dem Dom und seiner Geschichte.

Der Bischof, der Wurzen zum Bischofssitz machte und im Dom seine letzte Ruhestätte fand, war Thema der Ausstellung „Mein Glaube, meine Macht – Johann von Saalhausen“ in Wurzens Stadtkirche St. Wenceslai vom Mai bis Oktober 2018.

Besondere Kirchenbänke

In Gotteshäusern, wo sich Kanzel und Orgel nicht übereinander anordnen lassen, erlebt das Publikum in den Kirchenbänken die Orgel- und Chormusik meist von hinten: Mit dem Rücken zum Instrument und zum Chor – es fehlt der Blickkontakt. Im Dom Wurzen bietet das Mittelschiff 374 Sitzplätze, zusammen mit den beiden Seitenschiffen sind es 516.

Findige Handwerker hatten bei der Umgestaltung des Wurzner Doms im Jahr 1932 die Idee, die Gemeinde „um 180 Grad zu drehen“ und so zur Musik blicken lassen zu können: Für jede Kirchenbank wird die Pultleiste für die Gesangbücher dank Drehung um die Längs-Achse binnen Sekunden zur Rückenlehne. So wandelt sich – sozusagen im Pult-Umdrehen – die Predigtkirche mit Blickrichtung Osten zu Altar und Kanzel zum sakralen Musik-Saal mit Blickrichtung Westen zu Chor und Orgel.

Gegenwart

Der Dom hat keine eigene Kirchgemeinde, die auch für die Erhaltung zuständig wäre. Spenden und Fördermittel sind für seinen Erhalt erforderlich. Jedes Jahr von Frühjahr bis Herbst dient der Dom der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde Wurzen, deren Stammkirche die Stadtkirche St. Wenceslai ist, als Ort für ihre Gottesdienste.

Der Dom zu Wurzen ist regelmäßig Aufführungsstätte für Konzerte der Domkantorei St. Marien, der Jugendkantorei des Wurzener Domes und für Gast-Konzerte.

Koordinaten: 51° 22′ 9,4″ N, 12° 43′ 58″ O

Der Dom St. Marien auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Dom_St._Marien_zu_Wurzen

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